Von Timo Teufert
Rauenberg. Es hätte das Jahr werden sollen, in dem sich Walldorf feiern wollte: Denn vor 1250 Jahren ist die Stadt zum ersten Mal im Lorscher Codex erwähnt worden. Doch Corona machte den Planungen einen Strich durch die Rechnung. Trotzdem war 2020 kein verlorenes Jahr für Bürgermeisterin Christiane Staab. Beim RNZ-Spaziergang berichtet sie, was im letzten Jahr in Walldorf alles bewegt wurde.
Frau Staab, das Jahr 2020 ist geprägt von der Corona-Krise. Welche positiven Aspekte nehmen Sie denn aus dem Krisen-Jahr mit?
Was Corona wirklich zu Tage gefördert hat, war ganz viel ehrenamtliches Engagement. Die kirchliche Jugend hat bei uns innerhalb von Tagen einen Lieferservice für alte Menschen auf die Beine gestellt, die nicht mehr zum Einkaufen konnten. Wir hatten Damen, die sich sofort hingesetzt haben und Masken genäht haben, die dann verschenkt wurden. Ich hatte das Gefühl, dass da ganz viel Gemeinsinn geweckt worden ist und es ganz viel Solidarität gab. Da war dieses Zusammenstehen und dieses "Wir schaffen das"-Gefühl, das durch die Querdenker leider etwas überlagert wurde.
Und was ist nicht so gut gelaufen?
Es war schon extrem bitter, dass wir unser Festjahr fast komplett absagen mussten. Wir waren alle so euphorisch und haben uns so auf dieses Jahr gefreut und es gab so unglaublich viele Menschen, die schon geplant und geschafft haben und sich zum Beispiel für den Festumzug vorbereitet haben. Auch die Partnerstädte waren alle schon eingeladen und hatten ihre Delegationen gebildet. Doch Corona hatte uns so im Würgegriff, dass wir schon im März unseren Ehrungsabend und den Unternehmerlunch absagen mussten. Da haben wir quasi das Totenglöckchen für unser Jubiläumsjahr geläutet. Monat für Monat Absagen rauszuschicken war für mich wirklich schrecklich.
Aber im Sommer haben Sie ja versucht, es ein wenig aufzufangen ...
Wir haben es versucht. Ein bisschen "Walldorfer Sommer" und "Herbst" konnten wir retten. Und mit der Reihe "Kultur trotzt Corona" im Bäderpark haben wir kurzfristig reagiert. Da haben wir am frühen Abend Künstler gebucht, die für die Badegäste gespielt haben. Durch die Aktion konnten wir Musikern einen Raum für Auftritte schaffen und auch die Badegäste haben profitiert. Denn manchmal hatte man 2020 ja das Gefühl, dass gar keine Kultur stattgefunden hätte. Deshalb haben wir versucht, Kulturschaffenden unter die Arme zu greifen: Entweder haben wir Konzerte organisiert, oder sind vertragstreu geblieben und haben Honorare trotz ausgefallener Konzerte gezahlt. Denn eines ist klar: Der Lockdown darf nicht zu Lasten der Kulturschaffenden gehen. Und bei den vielen kleinen Aktionen, aber auch beim Sommerkonzert des SAP-Sinfonieorchesters wurde spürbar, wie sich die Menschen nach Kultur sehnen.
Glauben Sie derzeit daran, dass die Jubiläumsveranstaltungen so wie geplant 2021 stattfinden können? Oder warten Sie noch 25 Jahre bis zum nächsten Jubiläum?
Der Gemeinderat hat beschlossen, einige Veranstaltungen in 2021 nachzuholen. Dazu gehört der Festumzug, die Oldtimer-Ralley und der Mittelaltermarkt. Ich habe die Zuversicht, dass wir die Veranstaltungen, die im Herbst geplant sind, auch machen können. Und ich habe die feste Hoffnung, dass im kulturellen Bereich die Beschränkungen etwas gelockert werden können. Da wo man Sitzplätze zuweisen kann, wo man weiß, wer teilnimmt und wo man einen überschaubaren Rahmen hat. So etwas wie unser Waldkonzert müsste möglich sein. Das wäre wirklich schön.
Aber es gab ja auch Lichtblicke, etwa der zweite Platz bei der Vorauswahl für den Regio-Win-Wettbewerb. Gibt es schon Signale aus Stuttgart, ob man die Projekte für Pendler unterstützen wird?
Ich habe da noch gar keine Rückmeldung bekommen. Die Metropolregion hat den Erstplatzierten und uns als Leuchtturmprojekte ans Land weitergegeben und dort wird jetzt entschieden.
Wenn das Reallabor für vernetzte Pendlermobilität nicht unterstützt werden sollte, was würde Walldorf denn selbst umsetzen?
Wir sind dran, ein Radverkehrskonzept zu entwickeln und prüfen, ob es da noch Ausbaustufen geben kann und auch die Radwegesicherheit nehmen wir in den Fokus. Mit der SAP haben wir vereinbart, die Leihfahrräder von VRN Nextbike einzuführen, auch wenn Regio-Win nicht kommen sollte. Wir möchten Stationen am Bahnhof, im Stadtgebiet und im Gewerbegebiet errichten, um für Pendler das Fahrrad attraktiv zu machen. Und beim Nahverkehr planen wir eine Busverbindung zwischen Walldorf, Nußloch und Leimen und zur Debatte stehen auch Schnellbusse in Richtung Heidelberg. Auch der geplante Ausbau der L 723 zwischen der A 6 und Walldorf muss weiter vorangetrieben werden. Grundsätzlich gilt: Das Thema Mobilität wollen und müssen wir weiter spielen.
Viele Menschen sind ja derzeit im Homeoffice, es gibt wenig Staus. Aber was ist denn mit dem Ausbau der L 723?
Da hakt es im Moment. Ich habe einen Zeitplan vom Regierungspräsidium für den Ausbau bekommen und ich sage Ihnen ganz ehrlich, der ist nicht besonders ehrgeizig. Der Endausbau ist für 2029 vorgesehen. Schnell sieht anders aus. Wir als Stadt Walldorf haben da eine ungeliebte Rolle: Wir sind außen vor, weil wir keine unmittelbare Handlungsoption haben und schauen zu, wie schnell oder wie langsam durch Dritte daran gearbeitet wird.
Dieses Los fällt Walldorf ja auch bei anderen Themen zu, wie etwa bei der Querspange zur Entlastung des Monsterknotens. Ist das nicht frustrierend?
Schon. Die Querspange wollen wir planerisch so vorbereiten, dass wir zukünftig eine Aufnahme in den Verkehrswegeplan des Landes betreiben können. Ob das greift, entscheidet am Ende aber in der Tat das Land. Das gilt auch beim Autobahnausbau: Wir werden zwar gefragt, was beachtet werden sollte, aber die Entscheidungsprozesse finden an ganz anderen Stellen statt. Unsere Aufgabe ist, die Anregungen und Wünsche zu transportieren und den politischen Druck aufrecht zu erhalten.
Wenn alle mehr zu Hause arbeiten, auch in der Zukunft, braucht man die Straßenausbauten am Ende alle gar nicht?
Das ist eine der schwersten Fragen, vor der wir gerade stehen. Vor dem Lockdown haben wir gesehen, dass wir die Infrastruktur dringend ausbauen müssen. Aber wir wissen nicht, ob wir das auch tatsächlich brauchen. Denn die Arbeitswelt ändert sich gerade radikal. Wir gehen bei den Planungen aber noch von einer sehr standortgebundenen Arbeitswelt aus. Und leider ist die Straßenplanung ein extrem langwieriger Prozess. Für dieses Dilemma habe ich – auch angesichts der hohen Kosten – keine Antwort.
Der Großteil der Verkehrsbelastung in Walldorf entsteht aber durch die Unternehmen, oder?
Der größte Teil des Verkehrs ist tatsächlich unternehmensgemacht, aber im positiven Sinne. Denn das bedeutet ja auch Prosperität für die Stadt. Deshalb können wir jetzt nur alle Vorbereitungen für den Neubau von Straßen treffen. Und wenn wir klarer sehen, können wir entscheiden, ob wir die Straße bauen, oder nicht. Wir müssen diese Entscheidungsprozesse in die Zukunft transferieren, weil wir das heute final nicht entscheiden können. Doch dem steht im Wege, dass das Land in Korridoren von 15 Jahren plant. Das passt nicht mehr in die Zeit.
Dann ist es doch schön, dass es bei Kinderhäusern und Mensen schneller geht ...
Ja, da wo die Kommune für sich selbst im Eigentum eine Entscheidung treffen und umsetzen kann, da geht es oft relativ schnell. Gerade wenn ich an das Kinderhaus im Gewann Hof denke, dass wir 2020 eröffnet haben. Da ist alles umgesetzt, was man sich unter modernem Bauen vorstellt: Luftig, licht, nachhaltig und sehr schnell.
Im zweiten Bauabschnitt des Neubaugebiets Walldorf-Süd sind die Erschließungsarbeiten fast abgeschlossen. Aber wie man hört, haben Sie dort Altlasten gefunden.
Stimmt. Das ist der Fluch unserer Generation, denn wir wissen um die Gefährlichkeit von vielen Stoffen, mit denen die früheren Generationen leichtfertig umgegangen sind. Wir haben in einem Baufeld Asbest gefunden, das dort in geschredderter Form und in Platten vergraben war. Das führt heute zu so hohen Entsorgungskosten, da könnten sie ein ganz neues Haus für bauen. Zumal es gar nicht mehr so einfach ist, diesen Sondermüll entsorgt zu bekommen. Und es sprengt uns natürlich auch den Zeitrahmen. Doch wichtig ist, dass die Menschen, die dort später leben und wohnen werden, wissen, dass sie das auf einem sauberen Grundstück tun.
Christiane Staab zeigt Timo Teufert im zweiten Bauabschnitt des Neubaugebiets Walldorf-Süd die Stelle, an der Asbest im Boden gefunden wurde. Foto: PfeiferGleich nebenan ist mit dem Haus am Kreisel ja ein wirkliches Vorzeigeprojekt entstanden.
Ja, das ist ein Gesamtobjekt für soziale Zwecke, dass von der Hopp-Stiftung gebaut wurde. Ich bin sehr dankbar dafür, was Menschen in unserer Region bereit sind zu geben. In diesem Fall Dietmar Hopp sowie Sonja und Gerd Oswald. Wir hatten keinen neuen Standort für die Plattform gefunden, bis die Idee aufkam, Plattform, Kleiderstube und Tafel an diesem Ort in einem Gebäude zu vereinen. Die Mäzene haben dann schnell ihre Unterstützung zugesagt und so sind auch noch sieben Sozialwohnungen in den Obergeschossen entstanden. Nun haben wir mitten in der Stadt ein Gebäude, dass soziale Zwecke abdeckt und damit auch sichtbar macht, dass es Menschen in Walldorf gibt, die Unterstützung brauchen. Und die nicht irgendwo an den Rand gedrängt wurde.
Man mag es kaum glauben, aber in der IT-Stadt Walldorf gibt es unzählige Mobilfunk-Löcher. In der Astor-Halle könnte man im Notfall wohl nicht mal einen Notruf absetzen. Woran scheitert der Ausbau?
An einem Gemeinderatsbeschluss von 2005. Dieser besagt, dass auf öffentlichen Gebäuden keine Mobilfunkantennen errichtet werden dürfen. Da bei uns aber diese Gebäude relativ hoch sind, würden die sich eigentlich anbieten. Der Gemeinderat hat aber bis heute diesen Beschluss nicht aufgehoben, weshalb wir Anfragen von Mobilfunkanbietern immer abschlägig bescheiden müssen. Die Verwaltung hat das Thema mehrfach mit dem Gemeinderat besprochen und auch Experten hinzu geholt. Wir müssen das Thema dringend angehen, um die Mobilfunkversorgung gerade im Norden zu verbessern. Da ist es richtig schlecht. Hierzu ging kurzfristig ein interfraktioneller Antrag aller Fraktionen ein, ich hoffe, dass nun Bewegung in die Sache kommt.
Wer hat Sie am meisten geärgert?
Die Querdenker, die jeden Montag in Walldorf demonstrieren. Das ärgert mich als Bürgermeisterin ganz besonders, weil fast die ganze Initiative von Bürgern anderer Gemeinden ausging. Die haben sich unsere Stadt – so ist jedenfalls das Gefühl vieler Walldorfer – ausgeguckt, um hier zu demonstrieren. Das ist ärgerlich, weil es mit unserer Stadt und der Haltung der Menschen hier überhaupt nichts zu tun hat. Und ich auf den Demos Haltungen zum Thema Corona gesehen habe, die mich echt sprachlos machen. Doch wir können nichts dagegen machen, da wir nicht Versammlungsbehörde sind. Wir konnten nur über Allgemeinverfügungen zum Beispiel die Maskenpflicht durchsetzen.
Was war Ihr Highlight 2020?
Da gab es trotz Corona einige. Dienstlich war die Wiederwahl von Otto Steinmann zum Ersten Beigeordneten sehr wichtig. Das war eine Anerkennung der Arbeit, die Otto Steinmann seit vielen Jahrzehnten hier leistet. Gerade in der Corona-Zeit zum Beispiel hat er die Abläufe gemeinsam mit allen Mitarbeiter, denen dafür mein herzlicher Dank gilt, organisiert und permanent angepasst. Und für mich als Bürgermeisterin ist er eine wichtige Stütze und steht mir immer mit Rat und Tat zur Seite. Privat war mein Highlight 2020, dass wir uns endlich einen Hund angeschafft haben. Darauf habe ich sehr lange gewartet.
Würden Sie diesen Satz bitte vervollständigen: Wenn ich im Gemeinderat sitze, denke ich ...
... meist nur daran, den korrekten Beschlussvorschlag zur Abstimmung zu bringen und alle Tagesordnungspunkte bis 22.30 Uhr durch zu haben. Ich denke manchmal aber auch – wenn zum selben Punkt zwei, drei Mal immer wieder die gleichen Aspekte kommen – : Es ist doch eigentlich alles gesagt.