Historische Bilder vom Hochwasser in Rauenberg am 27. Juli 1969, aufgenommen vom Fotografen Wilhelm Sautner: Landwirt Karl Greulich bringt sein Vieh in Sicherheit, der Bauernhof lag in der Ortsmitte. Fotos: Stadtarchiv Rauenberg/Repros: Pfeifer
Rauenberg. (oé) Vor 50 Jahren herrschte ein Wetter wie jetzt. Die Hitze war schier unerträglich und viele sehnten eine Abkühlung herbei, zur Not auch in Form eines reinigenden Gewitters. Was sich dann aber in der Nacht vom 26. auf den 27. Juli 1969 ereignete, das hatte sich niemand gewünscht. In jener Nacht ging über dem Tal des Waldangelbachs ein gewaltiges Unwetter mit sintflutartigem Regen nieder, was die größte Hochwasser-Katastrophe in der Region seit Menschengedenken zur Folge hatte. Wer die Ereignisse jener Nacht und der darauffolgenden Tage miterlebt hat, dem haben sie sich unauslöschlich ins Gedächtnis eingebrannt.
Das ganze Angelbachtal stand unter Wasser, der Blick geht vom Tierpark in Richtung Rotenberg. Fotos: Stadtarchiv Rauenberg/Repros: Pfeifer
Anfangs sah es noch nach einer idyllischen Sommernacht aus. So feierten etwa in Rauenberg viele Menschen mit dem Musikverein ein stimmungsvolles Sommerfest im Löwenhof. Doch dann entlud sich in der Nacht zum Sonntag das Gewitter. Die Regenmassen waren so gewaltig, dass sie am Mannaberg wie ein Sturzbach von den Rebhängen herabschossen und Erde und Geröll mit sich rissen. Ein Foto von damals gibt einen Eindruck von den Verwüstungen, die diese erste Flutwelle im Bereich des Kapellenwegs unterhalb des Mannabergs anrichtete: Die Straße ist voller Geröll und Schlamm, ein Auto wurde in den Graben gespült, Keller liefen voll.
Auch in Rauenbergs Ortsmitte stand inzwischen das Wasser knöcheltief in Straßen und Höfen. Es war aus den Abwasserkanälen getreten, die die Regenmengen der Nacht nicht mehr hatten fassen können. Als der Morgen graute, floss das Wasser jedoch zunächst ab und die Bewohner des Rauenberger Ortskerns machten sich daran, die Spuren zu beseitigen. Mit Besen und Wasserschlauch reinigten sie ihre Anwesen von Sand und Schlamm, die sich am Boden abgesetzt hatte - nicht ahnend, dass dies alles nur ein mildes Vorspiel für die eigentliche Katastrophe war. Das wurde schlagartig deutlich, als vielleicht kurz nach 7 Uhr in der Frühe ein Polizeiauto in der Rauenberger Hauptstraße hielt. "Was macht ihr denn da", sagte einer der Beamten ungläubig zu den Anwohnern, "das Wasser kommt doch erst."
Junge Leute in der überfluteten Hauptstraße; der Stecken im Wasser zeigt an, wo ein offener Kanalschacht liegt. Fotos: Stadtarchiv Rauenberg/Repros: Pfeifer
Augenzeugen erinnern sich, was dann geschah: Das Polizeiauto hatte kaum gewendet, als es einen lauten Knall gab und auf der Südseite der Hauptstraße große Scheunentore aufsprangen und hölzerne Hoftore zersplitterten. Sie wichen der Urgewalt, mit der sich eine mächtige Flutwelle in die tiefgelegene Ortsmitte ergoss. Das Wasser kam vom Oberlauf des Angelbachs und wälzte sich fast in der gesamten Breite durch das Tal. Erst erfasste die Flutwelle Mühlhausen, dann Rotenberg und schließlich Rauenberg. Die trübe, braune Brühe stieg dort in Windeseile auf knapp einen Meter an und strömte in Keller und Wohnräume im Erdgeschoss. Autos liefen voll, es war keine Zeit mehr, sie wegzufahren.
Rauenbergs Ortsmitte verwandelte sich binnen Sekunden in eine Wasserlandschaft. Hauptstraße, Bieggasse, Talstraße und andere standen knietief unter Wasser, ebenso Höfe und Gärten. Die betroffenen Anwohner versuchten, zu retten, was zu retten war. Meist vergeblich.
Bundeswehrsoldaten bei Aufräumarbeiten nach dem Unwetter. Fotos: Stadtarchiv Rauenberg/Repros: Pfeifer
Für viele Heranwachsende war das Hochwasser indes auch ein Abenteuer. Sie wateten durch die Fluten und bestaunten das dramatische Geschehen, was aber nicht ganz ungefährlich war. Denn die Gewalt des Wassers hatte die Deckel von Kanalschächten und Senkgruben weggerissen - potenziell tödliche Fallen für jeden, der sich in dem Wasser unvorsichtig bewegte. Doch zum Glück kam niemand zu Schaden. Umsichtige Mitmenschen hatten Holzstecken oder Besenstiele in die Schächte gesteckt, damit ihnen niemand zu nahe kam. Anderswo hatten sich an Engstellen regelrechte "Stromschnellen" gebildet, die metertiefe Gruben ausspülten.
Welche Verheerungen das Hochwasser angerichtet hatte, wurde erst richtig deutlich, als die Fluten zum Nachmittag hin abflossen. Straßen, Wohnräume, Geschäfte, Garagen, Backstuben, Fabrikhallen und Werkstätten - alles war überzogen mit einer dicken Schicht aus stinkendem Schlamm, Schmutz und Öl, das aus lecken Heizöltanks ausgelaufen war. Mobiliar war zerstört, Zimmer waren unbewohnbar, Geschäftsinventar unbrauchbar, Geräte und Maschinen kaputt.
Die Betroffenen begannen sofort mit den Aufräumarbeiten, hilfsbereite Menschen unterstützten sie dabei. Die Feuerwehren waren im Dauereinsatz, später kamen Bundeswehrsoldaten hinzu, die Schlamm wegschaufelten und Keller leer räumten. Begleitet waren all die Mühen von bangen Blicken nach oben und von der Sorge, dass das Wasser wiederkommen könnte. Tatsächlich gab es am Sonntagabend nach erneuten Gewittern im oberen Angelbachtal ein zweites Hochwasser, aber es war diesmal nicht so hoch wie das erste und das Wasser war auch klar. Trotzdem gab es wieder überschwemmte Keller und Wohnungen.
Die Aufräumarbeiten zogen sich danach noch über Tage und Wochen hin. Bis die durchfeuchteten Räume in den betroffenen Häusern wieder einigermaßen trocken waren, dauerte es Monate, wenn nicht Jahre. Die Schäden dürften damals in die Millionen gegangen sein, nur zum geringsten Teil waren sie über Versicherungen abgedeckt. Gegen "höhere Gewalt" gab es eben keinen Schutz. Im Rauenberger Stadtarchiv findet sich eine handschriftliche Aktennotiz, in der die Schadenssumme grob überschlagen wird: "Gemeinde: 171.000 Mark; Privat: 400.0000 Mark; Firma Bott 382.000 Mark." Macht in der Summe 953.000 Mark allein für Rauenberg.
Ein Glück in all dem Unglück gab es aber trotzdem: So groß der materielle Schaden auch war, Menschen kamen bei dem Hochwasser nach allem, was bekannt ist, nicht zu Schaden.