Von Rudi Kramer
Mühlhausen. Zu allen Zeiten war der Angelbach ein wilder Geselle. Doch seit dem Bau des Regenrückhaltebeckens im Jahr 1984 hat man den Bach gezähmt, der dem Tal seinen Namen gegeben hat. Was damals aus der Not heraus geboren wurde, hat im Lauf der Jahre eine "große ökologische Bedeutung, insbesondere für die Vogelwelt bekommen", wie Peter Groß, Naturschutzwart der Gemeinde Mühlhausen, erzählt. Über 160 Beobachtungsprotokolle hat er ausgewertet, die er seit Herbst 2006 bei Exkursionen am Rückhaltebecken zu verschiedenen Jahreszeiten erstellt hat. Danach kommt er zu einer erfreulichen Feststellung: "Durch die Artenvielfalt und die Zahl der überwinternden Wasservögel ist es trotz seiner Kleinflächigkeit das wichtigste Feuchtgebiet des gewässerarmen Kraichgauer Hügellands und deshalb von besonderer Bedeutung weit über unsere heimische Region hinaus."
Die Wasservögel nutzen das Biotop ganz unterschiedlich. Da sind zum einen die Brutvögel, zum anderen die Zugvögel, die an Wasser- und Schlammflächen als Rast- und Nahrungsplätze gebunden sind. Daraus erklärt sich auch, warum es am Regenrückhaltebecken manchmal nur so von Tieren wimmelt - über 200 Wasservögel halten sich schon mal gleichzeitig dort auf -, dann ist die Wasserfläche wieder wie ausgestorben.
Dass das Rückhaltebecken ein wichtiger Rastplatz für Zugvögel ist, hat schon Hans-Rudolf Schleeweiß in seiner Diplomarbeit von 1997 betont. "Als Nahrungsbiotop und Rastplatz für Durchzügler spielt das Gebiet eine wichtige Rolle", schrieb er. Diese Bedeutung hat sich in den letzten Jahren noch verstärkt, da die ehemals große Wasserfläche durch den vom Angelbach mitgebrachten Löß seit Jahren immer stärker verschlammt.
Vor allem während der beiden Zugzeiten im Frühjahr und im Herbst sei das Nahrungsangebot in den freiliegenden Schlammflächen mit vielen kleinen Bodenlebewesen sehr groß. Entsprechend umfangreich ist die "Gästeliste" am Mühlhausener Biotop. Allein zwölf Vogelarten, die auf der Roten Liste Baden-Württembergs verzeichnet sind, stehen auf dem Beobachtungsbogen von Naturschutzwart Peter Groß, so Löffel-, Krick-, Tafel- und Knäkente, die Wasserralle, der Gänsesäger, Zwergtaucher, Flussuferläufer, Grünschenkel, Storch, Waldwasserläufer und Flussregenpfeifer.
Durch die natürliche Verlandung sind nach den Beobachtungen von Peter Groß innerhalb der letzten fünf Jahre auch deutliche Veränderungen eingetreten. Beste Beispiele bieten Graureiher und Kormoran, die sich beide von Fischen ernähren. Durch die schrumpfende Wasserfläche ist ihre Zahl deutlich zurückgegangen. Zählte Peter Groß 2007 noch bis zu zehn Graureiher gleichzeitig, so sind es heute höchstens noch zwei Exemplare, und auch die Zahl der Kormorane hat sich deutlich von acht auf maximal drei verringert. Was aber ständig zunimmt, ist die Zahl der Watvögel, der gründelnden Enten und der "Neubürger" wie Nilgans, Rostgans und Mandarinente.
Große Bedeutung hat das Hochwasserrückhaltebecken auch als Brutgebiet. Wer dem Naturschutzgebiet derzeit einen Besuch abstattet, wird mit etwas Glück aus dem benachbarten Bruchwald den Ruf des Grünspechts oder die Melodie des farbenfrohen Pirols hören. Aus dem dichten Ufergebüsch erklingen die vielstimmigen Gesänge von Mönchs- und Gartengrasmücke, Zilpzalp, Sumpf- und Weidenmeise. Besonders beeindruckend ist der flötende Gesang der Nachtigall. Darüber hinaus gibt es weitere 50 Kleinvögel wie Mehl- und Rauchschwalbe, Sing- und Wacholderdrossel, Feldlerche, Goldammer oder Kuckuck. Eine Rarität ist der Eisvogel, der sich ständig im Bereich des Rückhaltebeckens aufhält. Aber auch größere Vogelarten wie Taube, Sperber, Habicht, Rotmilan, Elster, Rabenkrähe, Mäusebussard und Fischadler sind vertreten.
Peter Groß erklärt auch, warum die offene Wasserfläche derzeit weniger belebt ist als im Winterhalbjahr. Alle "Überwinterer" seien in ihre Brutgebiete abgezogen. Zurückgeblieben sind die heimischen Brutvögel, die aus Angst vor Räubern sich und ihre Nester gut verstecken. Am häufigsten vertreten ist die Stockente. Die Weibchen tauchen in diesen Tagen mit ihren Jungen auf, nicht selten sind es zehn Küken an der Zahl. Nur wenige davon werden überleben. Die "Herren" haben sich bereits aus der Familie zurückgezogen, "erholen sich" abseits von der anstrengenden Paarungszeit und bereiten sich auf die bevorstehende Mauser vor. Die Weibchen dagegen kümmern sich "alleinerziehend" um ihre Jungen. Deutlich sozialer geht es bei den Blesshühnern zu. Beide Partner kümmern sich um den Nachwuchs, brüten, erziehen und beschützen ihn gemeinsam. Auf Nahrungssuche kann man oft den Vogel beobachten, der gerade "dienstfrei" hat.
Seit einigen Wochen ist auch ein Flussregenpfeiferpaar anwesend. Diese seltene, vom Ausstreben bedrohte Vogelart brütet seit vier Jahren im Rückhaltebecken. Der kleine, schlanke Vogel mit länglicher Körperform baut sein Nest gerne in Wassernähe. Beobachtet hat Peter Groß das Vogelpaar, als es auf der Schlammfläche nach Nahrung suchte. Möglicherweise haben die beiden hier einen neuen Lebensraum gefunden, da der kleine Watvogel durch die Zerstörung seiner Lebensräume (Kies-, Sand- und Schlammflächen) in seinem Bestand bedroht ist. Allein 90 Exemplare der seltenen Krickente hat der Naturschutzwart in diesem Jahr am Regenrückhaltebecken gezählt. Sie haben hier überwintert, in dieser Zeit ihr Gefieder erneuert und sich gepaart.
Ergänzt wird diese Vielfalt durch andere Tierarten. So gibt es Schildkröten verschiedener Art, die wohl ausgesetzt wurden. Sieben große Exemplare konnten vor wenigen Tagen gleichzeitig beim Sonnenbaden - neben dem Fressen ihre Lieblingsbeschäftigung - auf einem umgestürzten Baum beobachtet werden. Peter Groß geht davon aus, dass deren Vorfahren wohl nicht in Europa beheimatet waren. An Kriechtieren sind die Ringelnatter, die Blindschleiche und die Zauneidechse vertreten. Am späten Abend sind Fledermäuse auf Insektenjagd. Fuchs, Marder und Iltis finden hier einen reich gedeckten Tisch. Wohl fühlen sich im Biotop auch die nordamerikanischen Einwanderer, die Bisams mit ihren Jungen. Sie könnten bei stärkerer Vermehrung einem Hochwasserdamm gefährlich werden. Über der Wasseroberfläche und an den Blüten rund um den See kann man jetzt kleine und große Libellen sowie zahlreiche Schmetterlingsarten bei ihren Flugübungen beobachten.
Bei aller Freude über dieses Naturparadies sieht Peter Groß aber auch Schattenseiten: So fehlt eine ausgeprägte Ufervegetation und die Wasserstände schwanken ständig. Aber es lauern auch Gefahren von außen: Beutegreifer wie der Fuchs, freilaufende Hunde, aber auch Menschen ohne Verständnis für die Schönheiten einer schützenswerten Natur.