St. Leon-Rot. (seb) Es blieb spannend bis zuletzt: Nach der Auszählung der acht Wahlbezirke in St. Leon und Rot war die erforderliche Mindestanzahl der Ja-Stimmen nicht erreicht. Erst mit dem Ergebnis der Briefwahl ergab sich ein eindeutiges Bild: Eine Bebauung des Areals der Kramer-Mühle ist vom Tisch.
2689 Bürger beantworteten am Sonntag die Frage "Sind Sie dafür, dass das Gelände der Kramer-Mühle nicht mit Wohnhäusern bebaut wird und alle Planungen hierzu gestoppt werden?" mit Ja. Das sind 66,5 Prozent aller, die zur Wahl gegangen sind und vor allem 25,18 Prozent der Wahlberechtigten. Damit ist die wichtigste Bedingung für einen gültigen Bürgerentscheid erfüllt, dass es nämlich eine Mehrheit gibt und die mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten entspricht. Jubelrufe und Fußgetrappel schallten durch das Rathaus, als Bürgermeister Dr. Alexander Eger das bekannt gab.
1352 Bürger (12,66 Prozent der Wahlberechtigten) stimmten mit Nein und damit für den ursprünglichen Beschluss des Gemeinderats vom Dezember 2015, die Mühle zu erwerben und Wohnungen für Obdachlose beziehungsweise Flüchtlinge oder sozial Schwache durch die Kommune bauen zu lassen. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 38 Prozent. Der Blick in die Ortsteile verrät, dass Rot bei einer Wahlbeteiligung von 23,3 Prozent mehrheitlich mit Nein stimmte (also für eine Bebauung): 801 Mal Nein bedeuten über 61 Prozent der Abstimmenden in Rot (und 14,3 Prozent aller Wahlbeteiligten). In St. Leon lag die Wahlbeteiligung bei 36,4 Prozent, 1594 Bürger (über 86 Prozent der Abstimmenden dort, 31,4 Prozent der Wahlbeteiligten) waren gegen die Bebauung. Zu berücksichtigen ist noch die Briefwahl: Hier stimmten 890 Bürger ab, 591 davon mit Ja, also zwei Drittel der Abstimmenden (5,5 Prozent der Wahlberechtigten).
"Schön, dass es eine eindeutige, verbindliche Entscheidung ist", sagte Bürgermeister Eger und gratulierte den Initiatoren des Bürgerbegehrens zum Erfolg. Er bedankte sich herzlich beim Rathaus-Team und allen Wahlhelfern. 38 Prozent Wahlbeteiligung, 25 Prozent mit Ja: "Das ist ein sehr gutes Ergebnis" - und eine gute Arbeitsgrundlage für Verwaltung und Rat. Allerdings: Was Grundstücks-Alternativen für den Bau von Wohnungen für sozial Schwache angeht, "bin ich ein bisschen ratlos". Momentan stünden keine vergleichbaren Flächen für den kommunalen Wohnungsbau zur Verfügung und neue zu entwickeln, "dauert sicher sechs bis sieben Jahre", mindestens. Eger sah beim Mühlen-Entscheid auch Parallelen zu einem weiteren Projekt: Der Gemeinderat hat für den Kauf des Pfarrhauses in St. Leon inklusive Bebauung des angrenzenden Gartens gestimmt, die Verwaltung hat den Beschluss aber noch nicht umgesetzt, weil sich Einspruch regt. Was nun? "Da muss ich eine Nacht drüber schlafen."
In jedem Fall zeigt sich für den Bürgermeister, dass die Nachverdichtung, die Bebauung freier Areale innerorts statt des weiteren Flächenwachstums einer Gemeinde, "an ihre Grenzen stößt". Immer öfter rege sich Widerstand, "die Entwicklung der Gemeinde in die Fläche ist notwendig". Was neue Baugebiete angehe, müsse das Land die in den vergangenen Jahren recht straff angezogenen Stellschrauben lockern, so Eger.
Hocherfreut zeigte sich Albert Weinlein, Mitinitiator und Vertrauensperson des Bürgerbegehrens, dem von allen Seiten die Hände geschüttelt und auf die Schulter geklopft wurde. "Wir sind froh, dass sich so viele an der Wahl beteiligten und eine so überwältigende Mehrheit für unser Begehren stimmte." Damit habe man das Ziel erreicht, das Gesamtensemble der Kramer-Mühle auch für kommende Generationen im jetzigen Zustand zu erhalten. Am Runden Tisch zur Entwicklung eines Nutzungskonzepts gemeinsam mit den Bürgern werde man sich gerne engagieren.
"Der Wähler hat entschieden, das erkennen wir an", sagte Siegfried Köck (Freie Wähler). "Wir hätten natürlich gerne gesehen, dass der einstimmige Ratsbeschluss vom Dezember 2015 bestätigt wird." Jetzt müsse man Alternativen für die dringend benötigten Gemeindewohnungen finden, doch vergleichbare Bauplätze gebe es nicht. Köck wies auf die finanziellen Konsequenzen für die Gemeinde hin: Man habe das Mühlenareal zu Baulandpreisen gekauft, nun nicht bauen zu dürfen, bedeute einen Verlust von 600.000 Euro. "Wir hätten den Bürgerentscheid lieber aufs Datum der Bundestagswahl gelegt", so Köck: "Dann hätten wir eine höhere Wahlbeteiligung und damit mehr Demokratie gehabt."
"Wir sind mit dem Ergebnis insgesamt nicht zufrieden", so Rouven Dittmann (Junge Liste). "Wir hätten uns eine sinnvolle Nutzung durch kommunalen Wohnungsbau gewünscht, wie sie ursprünglich im Rat beschlossen wurde." Das Ergebnis des Bürgerentscheids nehme man natürlich zur Kenntnis. 38 Prozent nur seien zur Urne gegangen, "das ist keine tatsächliche Bürgerbeteiligung", hätte Dittmann lieber einen Entscheid parallel zur Bundestagswahl gesehen. In jedem Fall aber "setzen wir uns weiterhin für kommunalen Wohnungsbau ein", nur müsse man jetzt leider ein anderes Gelände finden, was nicht einfach werde. "Verwundert, dass die Wahlbeteiligung so gering war", zeigte sich Udo Back (CDU), aber: "Der Bürger hat entschieden, daran halten wir uns." Wegen der Frage des St. Leoner Pfarrgartens sollte man "lieber abwarten".
"Sehr erfreut" war Prof. Wolfgang Werner (SPD/FDP), die Wichtigkeit des uneingeschränkten Erhalts des historischen Mühlenensembles betonend. Die "hohe Wahlbeteiligung" sei ein "Zeichen gelebter Demokratie". Jetzt müsse es "mit Volldampf" weitergehen, um ein Nutzungskonzept für die Mühle zu entwickeln, so Werner. Was die Bebauung des St. Leoner Pfarrgartens angehe: Der stehe nun, da die Wiese als sozialer Treffpunkt erhalten bleibe, eigentlich nichts im Wege, fand Werner.
"Das eindeutige Ergebnis muss der Gemeinderat annehmen", so Achim Schell (Union), der die Organisatoren des Bürgerbegehrens beglückwünschte. Jetzt gelte es, sich auf die nächsten wichtigen Vorhaben zu konzentrieren, etwa das Managementverfahren zur Entwicklung des Nutzungskonzepts für die Mühle gemeinsam mit der Bürgerschaft. "Hauptziel war immer ein Gesamtnutzungskonzept für die Mühle", so Norbert Knopf (Grüne). "Dafür brauchen wir das gesamte Mühlenareal." Er zeigte sich froh über das "eindeutige Ergebnis". Jetzt bleibe zu hoffen, dass die Entwicklung des Konzepts "zügig voranschreitet".