Tödlicher Unfall bei Eschelbach

Angeklagter Senior fürchtet Fahrverbot - "Dann bin ich ruiniert"

Zwei Tote und eine Vielzahl an Dramen - Im September 2019 starben zwei Frauen zwischen Dühren und Eschelbach

17.06.2020 UPDATE: 18.06.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 20 Sekunden
Das Fahrzeugwrack der beiden Unfallopfer zeugt von der extremen Wucht des Unfalls am 18. September 2019. Archivfoto: Julian Buchner

Von Tim Kegel

Sinsheim. Zwei Tote für einige Sekunden weniger Zeitverlust: Der Unfall am 18. September 2019 beim Rastplatz auf der "Eschelbacher Höhe", bei dem der damals 71-Jährige mit seinem Kleinlaster in den Ford Fiesta einer 80-Jährigen und deren 51 Jahre alten Tochter gekracht war, hat viele Menschen im Kraichgau erschüttert. Die beiden Frauen waren sofort tot, der Unfallverursacher kam mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus. Am Mittwoch wurde der Fall, mit dem eine Vielzahl persönlicher Dramen verbunden sind, am Sinsheimer Amtsgericht verhandelt.

Nur eine Sekunde dauerte der unmittelbare Zusammenstoß nach Schilderung der Staatsanwaltschaft. Der Kleinwagen der beiden Frauen – eine Rentnerin und deren schwerkranke Tochter aus Eschelbach – wurde von dem VW Crafter regelrecht "abgeschossen", sagt Richterin Tieg. 20 Meter weit flog das Auto, drehte sich um 180 Grad, stürzte eine Böschung hinab, schlug mit der Front auf einem Feldweg ein und blieb auf dem Dach liegen. Die Unfallopfer starben noch vor Ort an schweren Wirbelsäulen- und Kopfverletzungen.

Der Fahrer des Kleinlasters wollte nach einer Rast schnell wieder auf die Straße und preschte vom Parkplatz in Richtung Bundesstraße B292; hierbei schnitt er den Randstein – wie ermittelt wurde mit Tempo 59 –, verriss das Steuer und kam in den Gegenverkehr.

Der weiße VW Crafter, in dem der damals 71-Jährige saß, wird abgeschleppt.. Archivfoto: Julian Buchner

Im VW Crafter saß ein Senior, der seine Rente als Kurierfahrer aufbessert. Sein Stundensatz liegt bei 9,45 Euro, sagt er. Der gebürtige Mosbacher bat inständig darum – unterstützt von seiner Verteidigerin – seine Finanz- und Lebensumstände darzulegen, um ein drohendes dreimonatiges Fahrverbot abzuwenden: "Wenn das kommt, bin ich ruiniert." Mobil bleiben müsse er gleich aus mehreren dringenden Umständen.

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350 Kilometer lägen zwischen seinem heutigen Wohnort, einem Dorf in Nordhessen, und seinem Arbeitgeber, einem Heilbronner Kurierdienst. Der Rentner lebt unter der Woche in einem Container auf dem Gelände des Arbeitgebers, gemeinsam mit seiner schwer erkrankten Ehefrau, die dort ebenfalls kleinere Tätigkeiten auf geringfügiger Beschäftigungsbasis übernimmt. Beide sind zu 100 Prozent schwerbehindert: der frühere Maschinenbautechniker, der längere Zeit in Afrika lebte und arbeitete, wegen mehrerer Bandscheibenvorfälle und einer Autoimmunerkrankung. Seine Gattin ist zeitweise auf einen Rollstuhl angewiesen. "Sie kann nicht alleine bleiben", sagt der Unfallfahrer, weshalb sie ihn zur Arbeitsstelle begleiten dürfe.

Hohe Schulden drücken das Paar: Zum einen wegen eines nach dem Renteneintritt im Jahr 2010 gekauften Bauernhauses, welches der Mann "in Eigenarbeit" saniert; zum anderen wegen Zahnimplantaten. Außerdem sei die 43-jährige Tochter des Paars auf deren Unterstützung angewiesen: "Sie lebt in Afrika und hat drei Kinder." Von den insgesamt 2500 Euro an Renten und Einkünften blieben hierdurch unterm Strich "400 Euro, um das Leben zu bestreiten".

"Die Kündigung" sei ihm so gut wie sicher, sollte ein Fahrverbot ausgesprochen werden. Sein Nachfolger – so habe ihm der Chef signalisiert – stehe schon bereit: "Er ist 30 Jahre alt." Mobil bleiben müsse der Mann jedoch auch, um seinen Facharzt – ebenfalls in Heilbronn – aufsuchen und Einkäufe erledigen zu können: "Der nächste Einkaufsmarkt ist von dort, wo wir leben, fünf Kilometer entfernt", sagt er.

Fahrlässige Tötung in zwei Fällen – den Tatvorwurf hatte der Mann eingeräumt, dann aber im Februar vor allem dem von der Staatsanwaltschaft geforderten dreimonatigen Führerscheinentzug widersprochen und um dessen Reduzierung auf einen Monat gebeten. Eine Freiheitsstrafe – bis zu fünf Jahre Gefängnis sind möglich – stand nicht im Raum, allerdings eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu 30 Euro, bei der es letztlich blieb. "Einen erheblichen Sorgfaltspflichtverstoß" hatte die Staatsanwaltschaft zuvor in die Waagschale geworfen.

"Wissen Sie, man kann auch nicht so fahren, dass man zwei Leute abschießt, sodass diese dann sterben", sagte Richterin Tieg, dennoch um eine Lösung bemüht. Während des Gesprächs mit dem Mann war festgestellt worden, dass dieser noch zwischen 60 und 70 Tage auf dem Urlaubskonto hat. Das Fahrverbot wurde auf zwei Monate herabgesetzt: "Nehmen Sie in dieser Zeit ihren Urlaub", hieß es im Schlusswort.

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