Aus einer Spritze saugt diese Fledermaus Welpenaufzuchtmilch.
Von Sabine Hebbelmann
Sinsheim. Behutsam nimmt Jörg Fürstenberger die junge und etwas zappelige Breitflügelfledermaus in die Hand und hält ihr eine Spritze mit Welpenaufzuchtmilch vor die Nase. Rasch beruhigt sie sich und beginnt zu trinken. Der Sinsheimer ist ehrenamtlicher Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft Fledermausschutz Baden-Württemberg.
Gemeinsam mit Irmela Mikus, mit der er die Fledermäuse im Sinsheimer Raum betreut, hat er vor Jahren eine Ausbildung zum Fledermaus-Sachverständigen absolviert. Mit dem Lineal misst er die Unterarmlänge und zieht zum Vergleich eine Liste mit den Armlängen verschiedener Fledermausarten heran. Ein bisschen fehlt noch, stellt er fest, dann ist sie ausgewachsen und er kann mit dem Flugtraining beginnen. Fledermäuse sind mit Flughunden die einzigen Säugetiere, die fliegen können.
Während das Tier an der Spritze hängt und eifrig schluckt, erzählt Fürstenberger, wie er dem Jungtier demnächst das Fliegen beibringen wird. Zunächst lasse er es über weichem Untergrund aus etwa zehn Zentimetern Höhe gleiten. "Dann sehe ich: Macht es die Flügel auf, flattert es schon?" Nach einigen Übungseinheiten könne es dann schon von größerer Höhe aus segeln. "Und wenn das Tier dann bei mir im Wohnzimmer zuverlässig Achten fliegen kann, dann darf es raus", erzählt er.
Jörg Fürstenberger freut sich über jede kleine Fledermaus, der er zu einem guten Start ins Leben verhelfen kann. Fotos: zgIn den mehrtägigen Modulen hat der Naturschützer viel über Fledermäuse gelernt, über die Bestimmung der Art, Schutzmaßnahmen, Echo-Ortung, Pflege verletzter Tiere und wie man bei einer Fledermaus-Führung Begeisterung für diese faszinierenden Tiere wecken kann. Bei seinen Führungen fragt er gern danach, welche Feinde Fledermäuse haben. Da wird dann aufgezählt: Marder, Bussard, Eule … Auf die Frage "Und wer ist der größte Feind?", folgt die Antwort meist prompt: Na klar, der Mensch!
Zu den Bedrohungen gehören Insektenvernichtung und der Verlust von Lebensräumen. Wie bei den Schwalben auch verringert sich durch umfangreiche Gebäudesanierungen die Zahl möglicher Quartiere. Fledermäuse orientieren sich entlang von Leitstrukturen, doch Hecken und andere Landschaftselemente werden zurückgedrängt. Die Langohrfledermaus fliegt sehr tief, oft entlang von Leitplanken. Da kann es leicht passieren, dass sie von einem Lkw erwischt wird.
Alle auf dem Gebiet der Europäischen Union heimischen Fledermaus-Arten sind streng geschützt. Gebäude bewohnende Fledermausarten wie die Breitflügelfledermaus sind durch Sanierungen oder moderne Bauweisen gefährdet und müssen bei Baumaßnahmen berücksichtigt werden. Die heimlichen Mitbewohner suchen sich meist einen Unterschlupf im Dach.
Sie sind nützliche Insektenjäger, deren getrockneter Kot leicht zu entfernen und ein toller Pflanzendünger ist und die am Haus keine Schäden anrichten. Störungen der Wochenstuben, in denen die Weibchen zwischen Mai und Juli die Jungen aufziehen, sind unbedingt zu vermeiden. Fürstenberger hat schon erlebt, dass der Zugang zum Quartier verschlossen wurde und Junge qualvoll verendet sind oder den Weg ins Haus gesucht haben. Sorgen, dass heimische Fledermäuse Covid-19 übertragen könnten, muss man nicht haben. Einheimische Fledermäuse sind nicht mit SARS-CoV-2 infiziert und können einen Menschen somit nicht anstecken, betont der Fledermausexperte. Trotzdem rät er, wie beim Umgang mit allen Wildtieren, grundsätzlich zu Hygienemaßnahmen, wie dem Tragen von Handschuhen – vor allem um die Tiere zu schützen.
Als Regionalbetreuerin für den Rhein-Neckar-Kreis ist Brigitte Heinz die offizielle Anlaufstelle für gefundene Exemplare. Schon seit 1994 betreut die Biologin als Fledermaus-Sachverständige für die Schlossverwaltung und das Regierungspräsidium Karlsruhe die bekannten Fledermausquartiere und berät in allen Fragen rund um den Fledermausschutz - etwa bei Sanierungsarbeiten und Veranstaltungen am Heidelberger Schloss.
Findet man ein Fledermausbaby ist meist schnelle Hilfe gefragt. Dabei versucht man zunächst, das Kleine an die Mutter zu vermitteln. Jörg Fürstenberger empfiehlt, es mit dem "Flaschentrick" zu probieren. Hierbei stellt man eine Flasche mit warmem Wasser in eine Wanne, zieht eine Socke über den Flaschenhals und setzt das Kleine oben drauf. Die Jungtiere haben einen eindeutigen Ruf, den die Mutter erkennt und können sich mit ihren langen Krallen gut festhalten. Die Chancen stehen gut, dass die Mutter ihr Junges nach Einbruch der Dämmerung abholt.
Funktioniert die Rückvermittlung nicht, etwa weil die Mutter vertrieben wurde, kommt das Jungtier in die Obhut des regionalen Fledermausexperten, der es mit viel Geduld so lange päppelt, bis es fliegen und in die Freiheit entlassen werden kann.
Info: Wer Fledermäuse findet, sollte unter Telefon 06221/182631 den zuständigen Fledermausbeauftragten informieren.