Kreative Köpfe: Vladimir Rannev (re.) und Erwin Schaffer. Foto: Tim Kegel
Von Tim Kegel
Sinsheim. Avantgarde an der Elsenz, Teil zwei: Nach der Zusammenarbeit mit dem Komponisten und Experimentalmusiker Christoph Ogiermann und dem Netzwerk Neue Musik bei dessen "Spurensuche"-Projekt im Mai 2016, arbeitet Erwin Schaffers Vokalensemble zur Zeit an einer neuen Kooperation für das frühe Heimattagejahr 2020: Vladimir Rannev gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der russischen Avantgarde. Gemeinsam mit dem Chor und dem Bremer Ensemble "Klank" arbeitet der 48-jährige gebürtige Moskauer an einem Werk, das in der bis dahin neu eröffneten Stadthalle uraufgeführt wird.
Erwin Schaffer, Musikalischer Leiter des Vokalensembles, geht davon aus, dass das Projekt, das zu den ersten Veranstaltungen in der Dr.-Sieber-Halle zählt, ein Medieninteresse und ein Fachpublikum bis weit über die Grenzen Sinsheims hinaus zuteil werden wird. Rannevs Musik wird in namhaften Konzert- und Opernhäusern in St. Petersburg und Moskau gespielt. Der Musiker, der in Sankt Petersburg lebt und zu den Pionieren der Neuen Musik wie auch der elektronischen Musik zählt, ist Gewinner des bedeutenden Kompositionswettbewerbs des Vereins "Musik der Jahrhunderte" und des "Netzwerks Neue Musik Baden-Württemberg" mit Sitz in Stuttgart. Das Sinsheimer Vokalensemble wiederum wurde in einer landesweiten Ausschreibung ausgewählt, Rannevs Werk uraufzuführen, welches er als Preisträger komponieren und mit dem Chor und dem Ensemble "Klank" in Sinsheim erarbeiten wird. Die Uraufführung wird am 26. Januar 2020 in Sinsheim stattfinden; das Konzert wird am 4. Februar 2020 im Theaterhaus Stuttgart im Rahmen des international besetzten "Eclat"-Festivals wiederholt werden.
Zurzeit ist Rannev als Gastkomponist am Nationaltheater Mannheim tätig und betreut dort die Uraufführung seiner Musik zum Schauspiel "Ansichten eines Clowns" von Heinrich Böll.
Ziel des mit den Sinsheimer Akteuren uraufgeführten Werks solle es laut dessen Konzeption sein, "dem Gedanken der Heimat in einer sich global verändernden Welt ein europäisches Gesicht zu geben". Vom regionalen Heimatverständnis als Ausgangspunkt soll der Blick auf die Hymne des geeinten Europas gelenkt werden: "Freude, schöner Götterfunken" und "Alle Menschen werden Brüder", Friedrich Schillers Worten in der Vertonung von Beethoven. Rannev will dabei "Menschen zu Wort kommen lassen, die ihre lokale Welt als eine Wechselbeziehung zu einer größeren Heimat, nämlich der Europa, verstehen". Die große Heimat Europa sichere die Heimat der Menschen in ihren verschiedenen Regionen.
Wie das dann am Ende klingt? "Ich weiß es wirklich noch nicht", schmunzelte Vladimir Rannev beim Ortstermin in der Dr.-Sieber-Halle. Auch Sinsheim müsse er erst "ein bisschen kennen lernen", sei es doch im Moment "höchstens die Kenntnislosigkeit von dieser Stadt", die ihn inspirieren könne. Der Nüchternheit der Halle könne er viel abgewinnen, es sei "ein Ort wie eine Blackbox". Neue Musik könne hier "besser wirken als in einem Rokokosaal".