Im Dunkel des Rathaus-Vorbaus steht Jörg Albrechts Auto. Foto: privat
Sinsheim. (tk) Man muss ja zurzeit höllisch aufpassen wegen "Fake News", Falschnachrichten, die im ersten Moment ganz plausibel klingen. Eine ziemlich besondere davon ist in diesen Tagen in Sinsheim kursiert: Jörg Albrechts "Quarantänebruch".
Stellen wir uns also vor, es wäre echt so gewesen: Jörg Albrecht, Sinsheims positiv auf das Corona-Virus getesteter, kurz erkrankter und Stunden später laut Kollegen am Telefon "fidel" wie eh und je klingender Oberbürgermeister – er soll Quarantänebruch begangen haben.
Alles klar? So machte es jedenfalls die Runde. Der Karriereknick sei jetzt so gut wie sicher. Sicher werde die Stadtverwaltung auch in Voll-Quarantäne gesteckt werden müssen. Und nicht auszudenken, wenn er am Ende auch noch Feuerwehrleute getroffen hat. Oder Polizisten. Das hat er doch bestimmt.
Zwischen Entsetzen und heimlicher Zustimmung schwankte nun das heitere Landstädtchen: "Ist halt auch nur ein Mensch, der Jörg", sagten die einen. "Aber wenn er die Mutation hat?", die anderen. Die meisten waren jedenfalls in irgend einer Form empört. Ein paar wenige wetzten auch Messer und rieben sich die Hände.
Ein Ausnahmezustand im Ausnahmezustand. Alles so passiert in den vergangenen Tagen. Wie kam’s? Nun gut, Albrechts A-Klasse wurde am Rathaus gesichtet, was nicht unbemerkt blieb, so unauffällig der Wagen auch ist. Und in der Stadt sah man ihn – also den Mini-Van – zu allem Elend auch noch herumfahren. Und da war er wieder: zwischen Sinsheim und Albrechts Wohnort Mauer. Der "OB", rief es von allen Seiten, dreht in der Quarantäne seine Runden um den Block.
Warte, warte, gemach, gemach: "Fake News", bestätigt Matthias Freymüller. Er ist Hausmeister der Stadtverwaltung und jener Mann, der zwei Tage lang Jörg Albrecht war.
Furchtbar muss das gewesen sein: So schildern es nicht nur der Hausmeister, sondern auch Stellen, bei denen die Vergehen der Corona-Zeit eintrudeln: schlittenfahrende Kinder, sich zu nah am Zaun begegnende Nachbarn, die Hinweise zahlreicher "Maskenzähler". Doch ein wie wild Quarantäne brechender OB – so etwas hätte noch einmal eine ganz andere Qualität. Dies zeigt auch, dass Anrufer selbst bei Kämmerer Ulrich Landwehr aufgeschlagen sind, sagt Albrecht und lacht. Beiläufig klingt bei ihm aber auch Enttäuschung durch: "Würd’ mich schon interessieren", sagt er, "wer mir das zutraut."
Was wirklich passiert ist, ist so banal, "dass einem das Blech wegfliegt", sagt Albrecht: Als Oberbürgermeister gebe es eine Menge Dinge, die man nicht digital erledigen kann: Das beginne bei persönlicher Post und ende bei Unterschriften. Für den Corona-Fall hat sich auch in anderen Rathäusern ein kontaktloser Bring- und Abholservice mithilfe einer Postbox bewährt. Ein logistisches Wunder: "Man klingelt und stellt sie vor die Tür", sagt Albrecht. Und weil man nicht von innen nach außen klingeln kann, habe sich im umgekehrten Fall "moderne Kommunikationselektronik aka Handy als praktikabel erwiesen".
Und um diese Aufgabe kümmert sich – richtig – Hausmeister Freymüller. Als Albrecht in Quarantäne ging, ließ er sich abholen, der Dienstwagen blieb zurück. "Nehmen Sie meinen", habe Albrecht zu Freymüller gesagt, als er durchs Fenster sah, "das der immer mit dem Privatfahrzeug vor der Tür" stand. Das sei wirtschaftlich, und nebenher könne man ja noch "eine kleine Reparatur an der Scheibe machen". Freymüller fuhr zu "Carglass" in der Neulandstraße – der Anfang vom Ende.
Ein letztes Mal schaffte es Freymüller mit Albrechts Auto nach Mauer, nahm dann am nächsten Tag wieder sein eigenes: "Was ist los?", fragte Albrecht. "Was los ist?", schoss es aus Freymüller heraus: "Es ist furchtbar. Das geht auf keinen Fall", die Telefonleitungen im Rathaus würden glühen und es gebe "nur ein Thema": Albrechts vermeintlicher "Quarantänebruch". Die Mitarbeiter erklärten sich den Mund fusselig.
Albrecht geht es gut. Seit Dienstag ist er wieder regulär im Dienst. Seit Montag durfte er wieder arbeiten. Nach einer Nacht mit "rasenden Kopfschmerzen" hätten sich er und seine Frau schnell erholt, es gab Vitamine, Ingwertee und am Abend auch mal Albrechts geliebtes Kristallweizen. Das Gerücht sieht er mit Humor und muss laut lachen: "Glaubt ihr echt, ich bin so blöd?"