Die Chihuahua-Geschwister „Tommy“ (rechts) und „Sally“. Jetzt starb der zehnjährige Rüde nach dem BIss eines anderen Hundes. Foto: privat
Von Tim Kegel
Sinsheim. Ein frei laufender Schäferhund greift ein Pärchen Chihuahua-Zwillinge an. Der zehnjährige "Tommy" stirbt durch Genickbruch, seine Schwester "Sally" flieht in den Wald. So endete am 21. Juni der Ausflug von Esther Grahm am Immelhäuser Hof noch bevor er angefangen hatte. Der Schäferhund gehört einem erfahrenen Hunde-Ausbilder aus dem Sinsheimer Raum.
"Rausgeschossen" aus dem Wald sei das Tier und habe "ohne großes Bellen" ihren "Tommy" angegriffen, sagt Esther Grahm. Der Vorfall ereignete sich gegen 19 Uhr. Der Besitzer sei dem Schäferhund hinterher geeilt, habe es geschafft, die Tiere zu trennen. "Er war nicht angeleint", sagt Grahm über den Schäferhund, dessen Besitzer ihr vorgeworfen habe, "Tommy" und "Sally" ebenfalls frei laufen gelassen zu haben. "Wir waren gerade ausgestiegen", rechtfertigt sie sich. Der Vorfall sei "für alle ein Schock" gewesen, beschreibt sie die Atmosphäre am Waldparkplatz.
Chihuahua-Dame "Sally" war in den Wald geflüchtet. Gemeinsam warteten Esther Grahm, der Besitzer des Schäferhunds und dessen Begleiterin noch eine ganze Zeit lang. Als man zur Überzeugung kam, dass "Sally" wohl so lange nicht aus der Deckung komme, bis Ruhe eingekehrt ist, wurden Nummern ausgetauscht. Esther Grahm wartete allein weiter "bis es dunkel wurde" und fuhr dann in die Stadt zurück. Zuhause angelangt – die Erleichterung: "Sally" saß vor der Haustür. Das kleine Wesen hatte alleine den rund vier Kilometer langen Weg zurück in die Stadt geschafft.
Der Besitzer des Schäferhunds ist Martin P. (Name von der Redaktion geändert), erfahrener Hunde-Ausbilder und Schutzhund-Kenner: "Uns geht es richtig schlecht seither", sagt er über sich und seine Frau. Am Abend, an dem der Angriff passierte, seien P. und seine Frau von einer Mountainbike-Tour durch den Großen Wald zurück gekehrt. Kurz vor dem Parkplatz habe sich sein Hund, der zu diesem Zeitpunkt "angeleint neben dem Fahrrad gelaufen" sei, "ruckartig losgerissen", sodass P. über sein Fahrrad stürzte als er die Verfolgung aufnahm. "Es waren zuerst keine Hunde zu sehen", beteuert P. Nach einigen Metern habe er gesehen, was passiert war, und "versucht, zu retten, was geht".
Doch das war nicht sonderlich viel: Kleine Chihuahuas wie "Tommy" und Schwesterchen "Sally" sind Schoßhündlein, kaum ein Kilo leicht. Der Schäferhund-Rüde von P., ein schlanker, muskulöser "Hundesportler" hatte – so schlimm das klingen mag – leichtes Spiel. P. habe Esther Grahm noch geraten, "zum Tierarzt zu gehen", er selbst würde so lange am Parkplatz warten. Minuten später dann die Einsicht, "dass auch ein Tierarzt nichts mehr tun kann".
Was für Martin P. und seine Frau folgte, beschreibt er als "Hetzjagd", wegen der vor allem die Frau "nachts nicht schlafen kann" und "dem Nervenzusammenbruch nah ist": Sie hätten inzwischen aufgehört, "die bösen E-Mails und Facebook-Zuschriften" zu lesen, die sie täglich während der vergangenen Woche erreicht hätten. Die Tier- und Hundefreundeszene könne "knallhart und schonungslos" sein, habe einen regelrechten Shitstorm vom Zaun gebrochen. "Wer nicht dabei war", ist P. überzeugt, "der kann’s nicht beurteilen; der hat’s nicht so erlebt wie wir alle."
Wie es zum Angriff gekommen ist, kann P. sich nicht erklären: "Ich habe meinen Hund nicht mehr erkannt." Das verstörende Erlebnis kann er sich nur damit erklären, dass dieser "Tommy" mit "einer Katze, einem Hasen oder einem anderen Wildtier verwechselt hat". Mehrfach mit Preisen ausgezeichnet "und mit Hunden und Menschen super sozialisiert" gehe der Rüde bei der Hunde-Ausbildung eigentlich mit gutem Beispiel voran, schildert P.; er gehorche "aufs Wort" und lasse sich üblicherweise "immer sofort abrufen".
Lebendig wird "Tommy" dadurch nicht mehr. Sein Schwesterchen "Sally", die seit beider Geburt vor zehn Jahren nichts anderes kannte als ein gemeinsames Hundeleben, sei jetzt "total verstört", sagt Esther Grahm. Sie fresse kaum, sei weniger lebhaft, dämmere vor sich hin "und versteckt sich im Schuhschrank". Trotz des Schocks, den das Ereignis nicht nur ihr, sondern auch Martin P. und seiner Frau versetzt hat, hat sie Anzeige erstattet, hofft auf Schadenersatz und eine Art Wiedergutmachung: "Und wenn’s nur dafür ist, dass Sally bis an ihr Lebensende das beste Futter bekommt", sagt sie. Dass P. sich trotz ausgetauschter Nummern nicht nach "Sally" erkundigt habe, liegt Esther Grahm etwas im Magen, sagt sie.
Im Gespräch mit der RNZ jedoch erkundigt sich P. nach wenigen Sätzen nach der Hündin. Als er von "Sallys" Rückkehr erfährt, sagt er "Gott sei Dank". Er wolle "volle Verantwortung übernehmen", auch wenn ihn die Anzeige genauso "überrascht hat", wie dass der Fall in Sozialen Netzwerken öffentlich gemacht wurde: "Nutzt das was? Die Bilder gehen doch keinem von uns aus dem Kopf", sagt P.
Die Attacke ist der zweite in Sinsheim bekannt gewordene Fall binnen weniger Wochen, bei dem ein Hund einen anderen Hund tödlich verletzt hat. Erst im April wurde in Eschelbach Dackeldame "Emma" von zwei frei laufenden Schäferhunden regelrecht zerfleischt.