An der 18-köpfigen Gruppe, die vor der Dr.-Sieber-Halle Polonaise tanzt, hat die Künstlerin Christel Lechner (Mitte) ein Jahr gearbeitet. Mittanzen ist erwünscht, dafür hat sie extra eine Lücke gelassen – hier gefüllt von Oberbürgermeister Jörg Albrecht. Fotos: Christian Beck
Von Christian Beck
Sinsheim. Eine Frau hebt ihr Kleid bis über die Knie, es scheint, als kühle sie sich gleich die Füße im Brunnenwasser in der Bahnhofstraße. Vor der Dr.-Sieber-Halle tanzen 18 Senioren Polonaise. Und in der Allee haben Frauen Wäsche aufgehängt. Lebendig sind sie alle nicht, doch sie beleben die Innenstadt. Seit die "Alltagsmenschen" genannten Skulpturen am Dienstag aufgebaut wurden, bleiben immer wieder Leute davor stehen und lassen sich mit ihnen fotografieren. Am Mittwochvormittag wurde die Ausstellung offiziell eröffnet.
Die Skulpturen sind Teil dessen, was von den abgesagten Heimattagen in diesem Jahr übrig geblieben ist. "Die Leute lechzen danach, etwas zu erleben", meint Oberbürgermeister Jörg Albrecht – da komme diese Ausstellung gerade recht. 50 Skulpturen sind an 16 verschiedenen Orten bis 25. Oktober zu sehen.
Die "Alltagsmenschen", die die Künstlerin Christel Lechner gemeinsam mit ihrer Tochter Laura Lechner und deren Mann Jan Illerhus fertigt, sind in der Stadt keine Unbekannten. Im Jahr 2011 wurden fünf Figuren vor der Volksbank Kraichgau aufgestellt. Als Sponsor unterstützt das Geldinstitut die Ausstellung mit einem großen Betrag. Denn der stellvertretende Vorstandssprecher Thomas Geier hat beobachtet, dass Frauen und Männer beim Blick auf die Skulpturen immer wieder ein Lächeln auf den Lippen haben.
Die Frauenskulptur auf der Bank vor der Volksbank soll dort eine dauerhafte Heimat finden.Das ist ganz im Sinne von Christel Lechner. Denn zum Hintergrund der "Alltagsmenschen" sagt sie: "Wir müssen lernen, im Alltag zu lachen." Dass ihre Skulpturen mittlerweile in ganz Deutschland ausgestellt werden, hätte sie vor 25 Jahren selbst nicht gedacht. Die ersten beiden Figuren seien aus einer Art Spaß entstanden: Herr und Frau Bornemann – ein in ihrer Heimat, dem Ruhrgebiet, verbreiteter Name. Die weibliche Figur wirke resolut, der Mann ist eher klein und trägt der Frau die Tasche.
Diese beiden Skulpturen sind in Sinsheim nicht zu sehen. Dafür viele, die so arrangiert wurden, als hätte sie die Künstlerin eigens dafür angefertigt. Was sie nicht getan hat – die Stadtverwaltung entschied, welche Figur wohin kommt. "Wir hätten gerne noch mehr nach Sinsheim geholt", sagt der OB. Dann wäre es in der Bahnhofstraße aber an manchen Stellen zu eng geworden.
Doch die 50 Skulpturen sind immerhin ein Drittel aller Figuren, die Christel Lechner besitzt. Denn bis ein "Alltagsmensch" fertig ist, braucht es Zeit: Allein an der Gruppe vor der Dr.-Sieber-Halle hat sie ein Jahr gearbeitet. Ihr Innenleben besteht aus einem Kunststoffteil, das in Form geschnitzt wird. Die Oberfläche modelliert sie aus einem speziellen Beton. Er trockne innerhalb kurzer Zeit, deshalb müsse das Gesicht sehr schnell modelliert werden.
Empfindlich sind die "Alltagsmenschen" durchaus. Alle Beteiligten hoffen deshalb, dass keine Skulpturen beschädigt werden. Die Ausstellung soll aber zum Mitmachen anregen: Bei der Polonaise-Gruppe hat die Künstlerin extra eine Lücke gelassen, in die sich jeder einreihen kann. Und auf einer Bank vor der Volksbank kann man sich neben eine Frau namens Claudia setzen. Diese Bank samt Skulptur gefällt Thomas Geier so gut, dass sie dort dauerhaft bleiben soll.
So ist es auch bei weiteren "Alltagsmenschen" geplant: "Wir hoffen auf gute Gespräche, dass Sie nicht so viele wieder abtransportieren müssen", sagte Albrecht mit Augenzwinkern zur Künstlerin. Wie viele und welche Skulpturen auch über den Oktober hinaus in der Stadt bleiben, ist noch nicht entschieden. Der OB kann sich vorstellen, dass die Sinsheimer hier mitentscheiden dürfen, beispielsweise per Umfrage.