Social Media. Symbolfoto: dpa
Sinsheim/Kraichgau. (tk) Der ins Becken geworfene Schwimmmeister im Sinsheimer Freibad; die kürzlich auf der Autobahn
A6 an einer Unfallstelle bespuckten Feuerwehrmänner. Fälle in jüngster Zeit, bei denen es an Respekt gefehlt hat und die die Leser der RNZ beschäftigt haben. "Die Kurve geht nach unten, und zwar drastisch", sagt Sinsheims Oberbürgermeister Jörg Albrecht. Seit drei Jahren hat Albrecht in seiner Neujahrsansprache immer wieder auf einen rauer werdenden Umgang unter der Bevölkerung hingewiesen.
"Es klingt zu einfach", sagt Sinsheims OB, "aber es scheint so zu sein": Albrecht, wie auch seine Amtsleiter, Ortschafts- und Stadträte sowie Verwaltungsmitarbeiter "vom Gärtner übers Baurecht bis hin zum Ordnungsdienst" stellten in jüngeren Jahren eine Verrohung der Sprache, "eine Forderungsmentalität" und eine "schnelle Erregbarkeit" unter den Menschen fest.
"Speziell in der Anonymität sozialer Netzwerke" sowie in Internet-Diskussionsbeiträgen werde unreflektiert drauflos "abgeurteilt und beleidigt", schildert Albrecht. Einmal, als es ihm zu bunt wurde, schaltete er sich auf Facebook selbst in die Diskussion ein. Seither lade er hartnäckige oder auch nur unüberlegte Kritiker städtischer Projekte "zu uns ins Rathaus ein".
Doch die Angebote von Vier- oder Sechs-Augen-Gesprächen mit Albrecht und seinen Dezernatsleitern seien "in den allermeisten Fällen ausgeschlagen worden", berichtet Albrecht - "ohne Rückmeldung".
Albrecht, der als volksnah und beliebt, bisweilen hemdsärmelig gilt, weiß aber auch: "Ich bin da nicht klassisch"; persönliche oder gar tätliche Angriffe, wie sie bei Bürgermeisterkollegen in anderen Städten und Bundesländern für Medienecho sorgten, kenne er nicht. Dass "distanzierter wirkende Kollegen" verunsichert seien, hält Albrecht für beunruhigend. "Bis vor Kurzem war das nicht vorstellbar", glaubt er.
Verfolgungsfahrten durch die Rettungsgasse; ein Lkw-Fahrer, der Rettungskräfte bespuckt hat - zwei aktuelle Begebenheiten, von denen Feuerwehr-Einsatzkräfte kürzlich berichtet haben. Jörg Albrecht, der als starker Förderer der Feuerwehr bekannt ist und so oft es geht auch nächtliche Einsätze besucht, verweist an Thorsten von Hausen, Kommandant der Kernstadt-Wehr. Mangelnder Respekt gegenüber Einsatzkräften, sagt von Hausen, sei "ein Thema, das auf uns zukommen wird". Allerdings habe die Feuerwehr "im ländlichen Raum noch relativ hohes Ansehen".
Klar, da war der Fall, von dem auch Jörg Albrecht berichtet, als der Einsatzzug in der Silvesternacht "mit Feuerwerkskörpern beschossen" wurde. In Hilsbach sorgte vor einiger Zeit ein renitenter Zeitgenosse für Ärger: In seinem Garten brannte es. Der Mann ging auf Polizisten und Feuerwehrmänner los. Letztere hätten sich "gegenseitig unterstützen müssen", um den Mann zur Besinnung zu bringen. Trotzdem: "Tätliche Angriffe hatten wir in der Abteilung Stadt noch nicht", fasst Thorsten von Hausen zusammen.
Sebastiano L. (Name geändert) spürt als Busfahrer in Sinsheim "massive Veränderungen" im Verhalten großer Teile seiner Passagiere. Zu Streit komme es oft "mehrmals täglich", etwa wegen gefälschter oder nicht mitgebrachter Dauerkarten. Er berichtet von "Provokationen" - mehrfach habe L. gerade in jüngster Zeit erlebt, dass Einzelfahrten "mit 100-Euro-Scheinen und größer" bezahlt werden sollten.
Eine Masche - verbunden mit "arrogantem Machogehabe und frechem Ton" - die er bei Fahrgästen erlebe, die männlich und jung sind "und einen Migrationshintergrund" hätten. "Ich will das nicht so sagen", betont L., der selbst einen italienischen Pass besitzt. "Aber so beobachte ich es."
Respekt, Respektverlust - für Laura Olbert, Sozialarbeiterin bei der Sinsheimer Mobilen Jugendarbeit "JuMo" ein "unbefriedigendes Thema". Die Debatte führe "schnell ins Schwarz oder Weiß", schüre Vorurteile, "ohne dass es pauschale Lösungen gibt". Doch auch die 27-Jährige erlebt, dass der Ton rauer geworden ist. Sie führt dies zurück auf "die Schnellebigkeit" und "dass man meint, sich für ein Thema keine fünf Minuten Zeit mehr nehmen zu können".