Von Tim Kegel
Sinsheim-Waldangelloch/Hilsbach. Ein verzweifelter Anruf aus Waldangelloch erreicht die Redaktion: "Die machen meine Hecke weg", sagt der ältere Herr am anderen Ende der Leitung, hörbar den Tränen nahe. "Nach über 40 Jahren", ist der Mann außer sich; er habe sich immer an den Insekten und Vögeln in seiner Hecke erfreut: "Hier leben sogar die Nachtigall und der Zaunkönig", sagt er.
Der Mann ist der Nachbar des Sportplatzes von Waldangelloch am Dorfrand in der Götzenbergstraße. Seine Hecke schließt direkt an ein Kleinspielfeld an, das zur Zeit mit Geldern der Stadt Sinsheim, des Badischen Sportbunds und der Dietmar-Hopp-Stiftung zu einem Spielfeld aus Kunstrasen umgebaut wird. Der TSV Waldangelloch erhofft sich von der rund 240.000 Euro teuren Maßnahme einen besseren Trainingsbetrieb bei Nässe und im Herbst und Winter.
Herbst und Winter wäre auch die Zeit, in der man Hecken schneiden darf. Dann, wenn in den Pflanzen die Säfte nicht mehr steigen, wenn Tiere nicht mehr brüten oder ihre Jungen aufziehen, wenn sie in der Winterruhe sind.
Geregelt wird dies im Landesnaturschutzgesetz, demzufolge zwischen dem 1. März und dem 30. September keine Hecken, lebenden Zäune und Gebüsche gerodet, auf den Stock gesetzt oder in anderer Weise geschnitten werden dürfen. Das Gesetz bezieht sich auf besiedelte und nicht besiedelte Bereiche. Entsprechend zeitig sollten Gemeinden deshalb ihrer Verkehrssicherungspflicht nachkommen, heißt es in den Erläuterungen zu dem Gesetz. Behutsame Pflegeschnitte seien jedoch erlaubt.
Hiernach habe es in Waldangelloch jedoch nicht ausgesehen: Sportplatzbauer waren mit Traktoren und Planiergerät zugange, die direkt ans Spielfeld angrenzende Hecke wurde bei den Arbeiten drastisch gestutzt. Teile des Grünzugs seien jetzt unwiederbringlich zerstört, fürchtet der Nachbar; der Naturschutz sei eingeschaltet.
Und auch Oberbürgermeister Jörg Albrecht vermutete kurz nach Bekanntwerden der Stutz-Aktion zunächst "einen Fehler", dessen Zustandekommen man im Rathaus untersuchen wolle. Kommenden Freitag sollen Sportplatzsanierung und Bau des Kunstrasenfelds offiziell mit einem Festakt starten.
Eine Diskrepanz, sagen Naturschützer und verweisen auf die tonnenweise in Kunstrasenplätze eingebrachten Kügelchen aus Kunststoffgranulat. Studien zufolge spielten jene bei der Verschmutzung von Meeren und Gewässern mit Mikroplastik eine Rolle. Wo einst der Zaunkönig brütete, wanderten nun bald in Schuhsohlen und Trikotfalten geschlüpfte Gummikügelchen über Kanalisation und Flüsse ins Meer.
Die Hecke in Hilsbach vor dem Stutzen. Foto: PrivatHecken-Ärger auch in Hilsbach, wo sich Hagen Jourdan empört an die RNZ gewandt hat: Dort sei eine "von einem Sinsheimer Bürger, der selbst Naturschutzbeauftragter ist", über Jahre hinweg gepflegte, rund 50 Meter lange Vogelschutzschecke ohne Begründung "brutal mit schwerem Gerät misshandelt und zerstört" worden, so Jourdans Zuschrift.
Die Hecke habe zwei Aufgaben erfüllt und "spielende Kleinkinder vor einem Sturz in den Bach" unterhalb des Gebüschs bewahrt und gleichzeitig der heimischen Vogelwelt "ein Eldorado als Nist-, Brut- und Aufenthaltsrefugium" gegeben. Als Verursacher dieser, so Jourdan, "Freveltat" bezichtigt er ein von der Stadt Sinsheim beauftragtes Unternehmen. "Schande über den Verursacher", flucht Jourdan. Er sei "zutiefst betroffen" und hat Vorher-Nachher-Bilder der Hecke angefertigt.
Die Hecke in Hilsbach nach dem Stutzen. Foto: PrivatAndere Versionen schildert Bernd Kippenhan, Infrastrukturamtsleiter der Stadtverwaltung: Beide Hecken, die "auf städtischem Grund" stünden, würden im kommenden Jahr wieder wie gewohnt austreiben. Er spricht in Waldangelloch von einem im Zuge der Bauarbeiten notwendigen Rückschnitt, da die Hecke einen "maroden Zaun umwuchert" habe.
Nach Beendigung der Baumaßnahmen sei es nach Kippenhans Schilderung "schlicht nicht mehr möglich", jenen Zaun abzubauen. Kippenhan lege "größten Wert" darauf, "dass keine Hecke wegen des Vorhabens der Stiftung weichen" müsse. Im Vorfeld der Maßnahme sei das Gebüsch auf Vogelnester überprüft worden - laut Kippenhan "war da gar nichts, sonst hätten wir nie geschnitten".
Bei der Hecke in Hilsbach sei ein Pflegeschnitt erfolgt, der "nach einer Überprüfung legitim" sei. Rechtlich sei es unbedenklich, "den jährlichen Zuwachs auch zur jetzigen Jahreszeit zu entfernen". Nach Kippenhans Schilderung wäre der Rückschnitt von Hecken auf städtischen Flächen "seit Jahren vernachlässigt" worden.
Die Beschuldigungen ärgerten Kippenhan, der sagt, dass sein Amt "auf grüne Themen großen Wert" lege. Zwar gehe man, so Kippenhan, "manchmal durchaus heftig ans Werk", andernorts würden jedoch Biotope geschaffen und vernetzt, etwa entlang des Ilvesbachs.
Einen "gesellschaftlichen Trend" glaubt Kippenhan ebenfalls zu erkennen: "Zur Durchsetzung persönlicher Interessen" müsse immer öfter das Naturschutzgesetz herhalten, welches hierdurch seiner Ansicht nach "ausgehöhlt wird". Es gehe oft nicht um das Vogelnest im Gebüsch, "sondern generell gegen ein gewisses Vorhaben oder um Sicht- oder Lärmschutz", so Kippenhan.
"Entnervt" sei der Amtsleiter, wie er sagt, und gibt ein Beispiel "aus der Berufspraxis" zum Besten: "Erst kommen tausend Beschwerden, warum wir Hecken nicht schneiden. Dann schneiden wir. Dann kommen tausend Beschwerden, weil wir’s machen."