Polizeistreifen hatten ein Auge aufs Geschehen. Foto: Tim Kegel
Von Tim Kegel
Sinsheim. Mittwoch. Jeder will der erste sein: Einige der rund 27 Millionen Personen, die bis zum Jahresende drei kostenlose FFP2-Masken abholen dürfen, stehen in langen Warteschlangen vor den Apotheken. Der begehrte Mundschutz soll über 60-Jährige und Risikogruppen vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus schützen.
Der Andrang ist riesig, nicht überall ist es jedoch auch die ausgelieferte Masken-Menge. Und so ärgern sich die Frau und ihr Ehemann, als es heißt, dass alle Masken "aus" sind. Eine halbe Stunde seien sie vorher in der Schlange gestanden. Und das darf man ja nicht.
Zumindest nicht vor Carmen Medinis "Bücherland": Die Buchhändlerin und ihre Kollegin sind jetzt der eigene Notdienst, notdürftigst eingerichtet. Im Halbdunkel der weihnachtlich geschmückten Buchhandlung arbeiten sie Berge von Bestellungen ab. Bis zuletzt hatte man gehofft, die Kunden mittels einer Schleuse ohne größeres Infektionsrisiko bedienen zu können.
Doch die "Click & Collect"-Variante wurde gesetzlich gekippt, weil sich Schlangen bilden könnten. Nun liefern sie aus, organisieren möglichst effiziente Touren durchs stillgelegte Land und ein Bestelltelefon. Bis kurz vor Weihnachten können sie Bestellungen annehmen und ausliefern.
Auch Klaus Gaude von der "Buchhandlung Doll" macht es so. Und nahezu jeder Sinsheimer Einzelhändler, etwa "Lederwaren-Gmelin", ältester Familienbetrieb Sinsheims. Mit hastig ausgedruckten Aushängen in der Tür werden Liefermöglichkeiten beworben. Auch der "Hornbach-Markt" in der Dührener Straße will laut Plakat künftig ausliefern.
Ähnlich wie der „Hornbach“-Baumarkt. Foto: Tim KegelEin Problem, das die Drogeriemärkte nicht haben – die einzigen Orte, an denen sich Sinsheimer, denen der Sinn danach steht, mit so etwas wie Luxus versorgen können. Der Andrang am Mittwochmittag hält sich in Grenzen. Auch der Innenstadtverkehr hat spürbar abgenommen; am Dienstagvormittag war es – auch wegen der Sperrung der Waidbachtalbrücke – zu chaotischen Szenen stadteinwärts und im Zentrum gekommen.
Dem Lockdown zugrunde liegt ein dürftiger Informationsfluss: Carmen Medini hat über ihren Fachverband und "überwiegend aus der Presse" erfahren, was ab Mittwoch erlaubt ist. Die Regeln selbst seien "zu ertragen", findet sie. Noch am Dienstagabend hörte man im Sinsheimer Einzelhandel den Satz: "Ich mache so lange weiter, bis jemand kommt und sagt, was ich darf."
Doch auch Sinsheims Oberbürgermeister Jörg Albrecht wusste am Dienstagabend noch nicht wirklich viel Präzises: Es ist schon Mittwoch, als die "Zweite Änderungsverordnung" der Landesregierung zu den Corona-Richtlinien auf Albrechts Smartphone eingeht. Sein Posteingang zeigt 0.26 Uhr am Mittwochmorgen, noch vor 3 Uhr in der Frühe versendet er an Amtsleiter und Krisenstabsmitglieder diverse Weiter- und Anleitungen.
Vorausgegangen war ein hektischer Dienstag mit Einkaufstrubel an vielen Orten – und Hochbetrieb bei den Friseuren. Auch Kunden aus dem Nachbar-Landkreis steuerten Sinsheim an. Auch Albrecht gibt auf Nachfrage zu, dass er noch einmal "nachschneiden" war – man würd’s ihm ja sowieso ansehen.
Sinsheim fährt runter: Hinter den Kulissen herrscht aber Hochbetrieb, etwa im „Bücherland“ (rechts oben), das auf Lieferbetrieb umstellen muss. Foto: Tim Kegel"Menschlich, aber eigentlich ungeschickt", sei das, räumt Albrecht ein. "Genaugenommen", sagt er, "müsste man so was am Abend beschließen und am Tag danach durchziehen." Viel Vorlaufzeit sei "in Krisenphasen kontraproduktiv", meint der OB und geht "leider" davon aus, dass die Zahlen der positiven Corona-Tests und der Erkrankten deswegen noch bis "weit nach Weihnachten" steigen dürften. Es hätte wohl mehr Entscheidungsfreude bedurft, um effektiv gegenzusteuern, fürchtet Albrecht: "Jeder gute Einsatzleiter wird das bestätigen."
Dezent, aber doch präsent geht die Polizei an die Arbeit. Zivil- und Fußstreifen sind unterwegs. Die Maßnahmen, so lautet jedenfalls Albrechts "erster Eindruck und noch recht frisch", wurden "weithin akzeptiert". Schon am Dienstagabend hatte Sinsheim "einer Geisterstadt" geglichen. Dies alles gibt – das sagt auch Albrecht – ein "trauriges Bild ab". Die einsamen Bratwurststände, die Weihnachtsmusik in der Luft, die geschmückten Läden ohne Lichter vermittelten eine Stimmung, "dass man heulen könnt’".