Selten, aber es gibt sie rund um Sinsheim: Blutströpfenfalter, auch Widderchen genannt, hier fotografiert am frühen Morgen auf einer Weilerer Waldlichtung. Fotos: Tim Kegel
Von Tim Kegel
Sinsheim. Flora und Fauna rund um Sinsheim sollen bei den Landesheimattagen stärker in den Blick der Bevölkerung rücken: Im hypermodernen Ambiente der Klima-Arena wurde jetzt "Vielfalt des Kraichgaus – Kulturlandschaft mit wildem Herz" eröffnet, eine Sonderausstellung, die sich Tier- und Pflanzenarten widmet; die Landschaftstypen, deren Gefährdung und deren Schutzmaßnahmen zeigt. Und die die Menschen zu Wort kommen lässt, die sich um sie kümmern.
Wildorchideen, Schmetterlinge, Bienenarten und bodenbrütende Vögel, die nur in speziellen alten Landschaftsformen überleben können: in Feucht- und Trockenwiesen, Magerrasen und Streuobstanlagen, in Mauern ohne Mörtel. Oder am Waldboden, als blühende Überbleibsel der Siedlungen aus römischer Zeit: Buschwindröslein, Blutströpfchenfalter und langschnäbelige Waldschnepfen, riesige blaue Holzbienen, kleine Feuerfalter, Mausohrfledermäuse und Mauersegler, Ragwurzen, Rotkehlchen und Wasseramseln, possierliche Gartenschläfer – "das wilde Herz" des Kraichgaus ist vom Zusammenleben von Mensch und Tier geprägt. Es ist reichhaltig, gefährdet und schützenswert.
So lautet die Botschaft der Ausstellung und ihrer geplanten Projekte. Ein sinnlich-freundlicher Streifzug mit Lokalkolorit ist entstanden und ein Kompendium über die Kraichgauer Natur, wie es dieses bislang nicht gegeben hat. Ausstellungsmacher sind der Nabu Sinsheim, der Landschaftserhaltungsverband Rhein-Neckar (LEV), die Stadtverwaltung und die Klima-Arena.
Seit ihrer Jugend für die Natur begeistert ist Anja Hoffmann vom Nabu Sinsheim.Mit liebevollem, positiv gehaltenem Blick ist "das wilde Herz" mit seinen rund 30 aufwendig gestalteten und recherchierten Stationen familienfreundlich. Leicht verdaulich und doch mit der gebotenen Tiefe kann Wissen erworben und vertieft werden. Digitale Zusatz-Infos via QR-Code leiten zu Filmen, Einspielern und anderen Hintergründen weiter.
Am Ausstellungskonzept beteiligt war Anja Hoffmann, Mitgründerin des Nabu Sinsheim, Biologin und Mitarbeiterin der Klima-Arena. Die Sinsheimerin hat sie noch erlebt: Große Kiebitz-Populationen rund um Sinsheim, etwa im Wiesental; Wiedehopfe im Gewann Lettengruben am Stadtrand mit seinen Hohlwegen. Hoffmann kümmert sich heute, wie zahlreiche andere, um eine echte Besonderheit der Sinsheimer Gegend: Die große Salamander-Wanderung am Hoffenheimer Ursenbach; ein deutschlandweit extrem seltenes Naturschauspiel – zu trauriger Berühmtheit gelangt durch unwissende oder rücksichtslose Autofahrer, die über Jahre in den Frühjahrsnächten regelrechte Lurch-Massaker veranstalteten. Die Populationen von vielen Wildvögeln, Kleinnagern und Insekten seien seit 1992 "um bis zu 90 Prozent zurück gegangen", sagt Hoffmann. Fragt man sie nach einer Einschätzung über den Zustand der Natur rund um Sinsheim auf einer Skala von eins bis zehn, wobei zehn "schlecht" bedeutet, sagt Hoffmann "sechs bis sieben". Ein hoher Flächenverbrauch, "intensive land- und forstwirtschaftliche Systeme", invasive Tier- und Pflanzenarten "und zunehmend auch der Klimawandel" bedrohten Kraichgauer Lebensräume und deren Bewohner.
Doch "das wilde Herz" betreibt keine umweltschützerische Schwarz-Weiß-Malerei. Die Ausstellung lobt lieber, als dass sie verurteilt und setzt Schwerpunkte auf gelungene Projekte und bemerkenswerte Initiativen: Den Salamanderschutz, der jetzt in Hoffenheim mithilfe eines Teichs – und massiver Sperren – effizienter denn je gestaltet werden soll; die LEV-Pflegeprojekte in den Steinsfurter Brühlwiesen, die Schafs-Beweidung des Steinsberg-Streuobsts, die Artenschutztürme auf den Dörfern oder mitten in der Sinsheimer Weststadt, das Wiedehopf-Projekt in Ehrstädt, die so genannten Lerchenfenster, Blühwiesen und Biotope, die Bauern, Förster und Jäger in den vergangenen Jahren angelegt haben – oft in direkter Zusammenarbeit mit der Stadt Sinsheim, mit Nabu und LEV, mit Partnern in Schulen und Vereinen, aber auch in Eigeninitiative. Mehrere Exkursionen sollen übers Heimattagejahr Interessierte zu diesen und weiteren Schauplätzen führen. Über ein Dutzend solcher Ausflüge sind geplant.
Besucher erfahren außerdem, wie sie selbst im Hausgarten oder auf dem Balkon Lebensräume schaffen und mit welcher Blühmischung auch die Stadt Sinsheim ihre Grundstücke aufwertet. Die Ausstellung, die bis 30. April in der Klima-Arena zu sehen ist und dann auf Wanderschaft geht, gibt Tipps und lässt Kenner der Materie zu Wort kommen: Etwa Holger Brom, Naturschutzexperte beim Sinsheimer Amt für Stadtentwicklung, oder Dietmar Weiland, erfahrener Forstmann und Revierleiter im Großen Wald, der über den Klimawandel in den Wäldern schreibt. Anja Hoffmann denkt positiv: "Ein Aufhalten oder gar eine Umkehr des negativen Trends ist möglich."