Das ist er: Der Verehrer der Meise neckt diese mit all seinem Papageiencharme. Foto: Christiane Barth
Von Christiane Barth
Sinsheim. Dass sich ein Buntschnabel in eine Meise verguckt, ist wohl eher selten. Doch der farbenfrohe Vogel, der in der Sinsheimer Krebsgrundsiedlung nicht müde wird, sein Glück als Eroberer zu versuchen, weiß entweder nichts davon, dass er ein Papagei ist, oder er ist wild entschlossen, den plötzlichen Verlust seines Partners so schnell wie möglich mit einer neuen Liebe zu überwinden. Denn das Männchen gehört einer Art an, die eigentlich nur zu zweit geht: Man nennt sie Unzertrennliche, weil sie ihrem Partner ein Leben lang treu bleiben.
In der Fachsprache der Ornithologen haben sie natürlich auch einen Namen: Agapornis. Aber egal, ob man die lateinische Artbezeichnung wählt oder die umgangssprachliche, die letztlich mehr über das Wesen dieser Vögel aussagt, steht es fest: Haben sich einmal zwei der Tierchen gefunden, die gut miteinander auskommen, so bleiben sie beisammen. Für immer. Die Zoohaltungen geben diese geselligen afrikanischen Papageien mit dem starken Hang zur Paarbindung nur als Duo ab. Die neue auserkorene Lebensgefährtin des Buntschnabels in der Krebsgrundsiedlung allerdings, scheint als rechtschaffene Meise jedoch wenig begeistert von dessen aufdringlichem Balzverhalten.
Wie das Männchen, das sich bei Silke und Markus Stricker so vehement an die Flügel des Singvogels heftet, die Meise niemals aus den Augen lässt und sie gar bei der Futtersuche hartnäckig verfolgt, alleine in die Alte Daisbacher Straße 28 gelangen konnte, ist ihnen ein Rätsel. Dass der Liebesvogel, wie der Papagei gerne auch genannt wird, jedoch dringend Gesellschaft sucht und die Meise nun mit der Aufbietung all seines schillernden Papageiencharmes an sich binden will, ist offensichtlich: "Die wird den jetzt nicht mehr los", ist Stricker sicher. Mag sein aufforderndes Rufen die Meise zuweilen auch etwas ermüden, dieser derart um die Gunst des Sperlingsvogels Bemühte scheint sich zu dem zu entwickeln, was man unter Menschen einen "Stalker" nennen würde.
Ob die Meise genervt ist? Zumindest hat sie anderes im Sinn, als sich mit einem Kleinsittich einzulassen, denn sie muss Futter besorgen für ihre Jungen. Ungestört ist sie dabei jetzt allerdings nicht mehr. Egal, wie weit sie das Nest im Garten der Strickers auch hinter sich lässt. Das vehemente aufdringliche Balzverhalten des Liebesvogels und die hektischen Flügelschläge der Meise, die zwischen Kirschbaum, Hauswand und Satellitenschüssel Schneisen sucht, um ihrem Verehrer zu entkommen, beschäftigt die Familie Stricker seit vielen Tagen schon.
Silke Stricker hat nun einen Vogelkäfig auf der Terrasse stationiert, als unmissverständliche Aufforderung, bestückt mit appetitlichen Vogel-Keksen, die Tür steht einladend offen. Dies scheint den unglücklichen Single jedoch wenig zu interessieren. Silke Stricker vermutet, dass er irgendwo ausgebüxt ist, möglicherweise von seinem Halter schmerzlich vermisst wird – von seinem rechtmäßigen gefiederten Partner ganz schweigen.
Dass sich Meise und Sittich paaren, hält Walter Edler, ein erfahrener Hobbyornithologe aus Helmstadt-Bargen, für sehr unwahrscheinlich. Zwar habe auch er einmal in seinen Volieren Stieglitz und Kanarienvogel zu einer Hochzeit verholfen. "Man nennt diese Kreuzungen dann Bastarde", erklärt Walter Edler, "und es waren farblich wunderbare, singfreudige Vögel", erinnert er sich. Paarungen zwischen Meise und Unzertrennlichen sind ihm jedoch nicht bekannt. "Aber heutzutage weiß man ja nie", zwinkert Edler. Doch selbst wenn es möglich sein sollte: "Arten sollten nicht verfremdet werden", meint Edler.
Ob das den Liebesvogel interessiert? Edler vermutet, dass er irgendwann weiterziehen wird. "Die Unzertrennlichen sind sehr gute Flieger", gibt er zu bedenken. Zudem habe der Vogel derzeit keine Schwierigkeiten, Nahrung zu finden, werde sich wohl an den Sonnenblumenkernen laben. Dass der Agapornis hierzulande in Freiheit lebt, ist dem Hobbyornithologen allerdings nicht bekannt. Anders als die Alexandersittiche oder die Halsbandsittiche, die in Heidelberg in Scharen vorkommen, seien die Unzertrennlichen keine Vögel, die in diesen Breiten wild zu finden seien. Was ganz darauf hindeutet, dass der Sittich von seinem Besitzer vermisst werden könnte. Oder war er etwa mit der Partnerwahl, die der Tierhalter – wo auch immer dieser wohnen sollte – für ihn getroffen hat, nicht ganz einverstanden und hat deswegen die Flucht ergriffen? Dafür spricht, dass er nun ganz vernarrt ist in die Meise.
Wie es mit dem tragischen Verehrer nun weitergeht? Silke Stricker hofft, dass sich sein Besitzer doch noch ausfindig machen lässt. Bei den Zoohandlungen hat sie schon angerufen. Dort habe man ihr unter anderem auch den Vorschlag gemacht, einem möglichen Kunden, der sich nur ein einzelnes Exemplar der Unzertrennlichen kaufen möchte, als Partner den Meisen-Stalker anzubieten. Dann wäre für die Liebesvögel der Bund fürs Leben neu arrangiert – und die Meise hätte endlich ihre Ruhe. Allerdings müsste man den Casanova vom Krebsgrund dann erst noch fangen. Und darin sieht Walter Edler gewisse Schwierigkeiten.