Das Rathaus kurz vor dem Umbau. Nach einer wechselhaften Geschichte kaufte die Gemeinde das Gebäude vor wenigen Jahren zurück, gestaltet es für eine gastronomische Nutzung um und schuf so ein neues Element für den attraktiven Dorfmittelpunkt. Foto: Guzy
Ittlingen. (rnz) Die Zahl "1816" ist zwar in das Metallgeländer des Rathausbalkons eingearbeitet und verweist auf das Baujahr, war den Ittlingern dann aber irgendwie doch nicht wirklich im Bewusstsein. Erst bei der Wiedereröffnung des Rathauscafés vor wenigen Wochen erinnerte man sich an das verpasste Jubiläum: Das Rathaus steht seit nunmehr 200 Jahren (und ein paar Monaten) in der Ittlinger Ortsmitte. Heimatvereinsvorsitzender Michael Hauk hat die Geschichte des Gebäudes recherchiert und um persönliche Erlebnisse ergänzt.
Laut der Ortschronik gab es in Ittlingen schon vor dem Dreißigjährigen Krieg ein Rathaus, das wohl 1622 durch Truppen des Feldherrn Tilly niedergebrannt wurde. Diese hatten zuvor die befestigte Stadt Hilsbach erobert und zerstört. Um 1648 wurde ein neues Rathaus errichtet, das wohl wie ein einfaches Bauernhaus gebaut war und auf das im Jahr 1795 ein Türmchen zur Unterscheidung aufgesetzt wurde. Im Erdgeschoss befand sich die "Metz", in dem die jüdischen Metzger die Tiere auf rituelle Art schlachteten und dafür eine Gebühr entrichten mussten. Wo sich dieses Gebäude im Ort befand, geht aus den alten Unterlagen nicht hervor.
Bis zum Jahr 1811 tagten in diesem Rathaus die damaligen Ortsorgane, dann war das Gebäude so baufällig, dass es wegen Einsturzgefahr nicht mehr genutzt werden konnte und durch einen Neubau ersetzt wurde. Dazu prüfte das großherzoglich-badische Bezirksamt Eppingen zunächst, ob die Gemeinde überhaupt finanziell in der Lage war, ein neues Rathaus zu bauen. Erst als die Gemeinde nachweisen konnte, dass das benötigte Bauholz aus gemeindeeigenem Wald im Weisenberg entnommen werden konnte, wurde die Genehmigung erteilt und ein Plan von Baumeister Weis von der Bausektion des Innenministeriums entworfen. Nach Meinung des Ministeriums sollte sich ein Rathaus von Bürger- und Bauernhäusern unterscheiden und "einem geläuterten Schönheitsideal" entsprechen. So entstand das Gebäude im Weinbrennerstil mit einem Untergeschoss aus Stein und einem Obergeschoss aus ausgemauertem Holzfachwerk und mit einem "Balkon aus Eisenmaßwerk".
Im Erdgeschoss gab es eine Arrestzelle. Im Rathaustürmchen hing neben der heute noch die Zeit anzeigende Rathausuhr die Sturmglocke, die bei Feuer und sonstigen Gefahren geläutet wurde. Diese Sturmglocke hängt heute im Treppenhaus des Bürgerhauses.
In diesem Rathaus war nun der Sitz der Ortsverwaltung und der Bürgervertretung. Im Jahr 1831 waren im Großherzogtum Baden ein Bürgerrechtsgesetz und eine Gemeindeordnung in Kraft getreten, nach der Bürgermeister und Gemeindevertreter nicht mehr ernannt, sondern gewählt wurden. Schon zuvor waren die jahrhundertelang nebeneinander - oft wohl auch durcheinander bestehenden Ämter und Amtspersonen der Grundherrschaften und der Gemeinde vereinheitlicht oder abgeschafft und eine straff organisierte, moderne Verwaltung geschaffen worden.
Bis zum Jahr 1976 wurde das Rathaus von der Verwaltung genutzt, dann folgte der Umzug in die ehemalige Schule. Das "alte Rathaus" wurde 1979 verkauft und als Drogerie und Eiscafé genutzt. Nach längerem Leerstand kaufte es die Gemeinde zurück und renovierte es aufwändig. Im Obergeschoss entstand eine Wohnung, das Erdgeschoss wurde zum Rathauscafé umgebaut. Heute bildet es mit dem neu gestalteten Dorfplatz den attraktiven Mittelpunkt der Gemeinde.
Zu seinen mit dem Bauwerk verbundenen Kindheitserinnerungen schreibt Michael Hauk: "Ich erinnere mich als erstes an die eindrucksvoll, bei jedem Schritt knarrenden Bodendielen im Ratssaal und an die Ortsausrufanlage, in die der ’Oberamtsmeister’ (den Titel gab es wirklich) Artur Mayer die Bekanntmachungen sprach. Zuvor hatte der jeweilige Ortspolizeidiener diese an bestimmten Stellen im Dorf ’ausgeschellt’. Nach dem Krieg übernahm das die technische Anlage, überall im Dorf hingen dazu Lautsprecher. Vor Beginn der Bekanntmachungen wurde zuerst ein Marsch gespielt. Gab es im Laden Kolb frische Fische zu kaufen, war anstatt des Marsches das Lied "Die Caprifischer" zu hören. War jemand gestorben, ertönte vor den Bekanntmachungen ein trauriges Trompetensolo und zum Abschluss das Volkslied "Im schönsten Wiesengrunde". So war jedermann im überschaubaren und beschaulichen Ittlingen schnell und bestens informiert."