Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Von Oliver Schmale
Stuttgart. Der Vorstoß von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) für kürzere Sommerferien, um gezielt Wissenslücken zu schließen, ist bei Lehrern und beim baden-württembergischen Kultusministerium auf deutliche Ablehnung gestoßen. Eine Sprecherin des Ministeriums von CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann sagte am Donnerstag, dies sei nicht der richtige Weg, um pandemiebedingte Lerndefizite aufzuholen. "Wir sollten nicht ein Problem lösen, indem wir neue Probleme schaffen." Auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE) sowie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisierten den Vorschlag.
"Man könnte an den Ferien ein bisschen was abknapsen, um Unterrichtsstoff nachzuholen", hatte der Grünen-Regierungschef zuerst dem "Mannheimer Morgen" gesagt. Auf Nachfrage hatte er ergänzt, über kürzere Sommerferien "könnte man mal nachdenken". Am Donnerstagmittag ruderte er aber zurück. "Da habe ich laut gedacht. Das sollte man als Ministerpräsident übrigens nie machen", sagte er. Zunächst müsse man die Betroffenen, Eltern und Lehrkräfte, intensiv befragen und die Idee mit anderen Möglichkeiten abwägen.
Das Kultusministerium hatte zuvor mitgeteilt, Kretschmanns Vorschlag könne vermuten lassen, Schüler und Lehrkräfte hätten durch die lange Zeit der coronabedingten Schließung bereits genug Ferien gehabt. Schulschließungen bedeuteten aber keine Ferien.
Der Vize-Chef des VBE, Dirk Lederle, sagte: "Es zeigt, wie viel Ahnung der Ministerpräsident von der schulischen Realität hat." Die Lehrkräfte und die allermeisten Schüler seien hart am Arbeiten, auch in der schulfreien Zeit. Zudem gebe es derzeit mit Fern- und Präsenzunterricht sowie der Notbetreuung eine "enorme Dreifachbelastung" für Lehrkräfte und Schulleitungen. "Vor diesem Hintergrund wäre eine Kürzung der Sommerferien nicht nur unverschämt, sondern eine grob fahrlässige Verletzung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers", so Lederle.
Auch die GEW kritisierte den Vorstoß von Kretschmann als "zu kurz" gedacht. Landeschefin Monika Stein sagte: "Wir brauchen Förderkonzepte mindestens für die nächsten beiden Schuljahre, und damit diese funktionieren, brauchen wir mehr Personal." Im Juli würden wieder Tausende Bewerberinnen und Bewerber vor allem für Gymnasien keine Stelle erhalten, obwohl sie in den Klassenzimmern aller Schularten dringend gebraucht werden könnten.
Ralf Scholl vom Philologenverband wies darauf hin, dass auch die Gymnasiallehrer "schlicht am Limit" seien und die Oster- und Pfingstferien voraussichtlich mit Korrekturen verbringen müssten, "da ja viele Klassenarbeiten zeitlich nach hinten geschoben wurden". Sollte Kretschmann aber gemeint haben, dass er zusätzlich Fördermaßnahmen wünsche, die von Lehrkräften für Schüler auf rein freiwilliger Basis angeboten werden, "dann ist dieser Vorschlag nachvollziehbar". Falls der Ministerpräsident aber habe testen wollen, wie die Bürger auf eine Ferienverkürzung reagierten, so müsse man das wohl "als billige Wahlkampfmasche" einordnen.
Der Landeselternbeirat forderte eine gezielte Förderung, um Defizite zu beheben. "Man muss aber auch zugeben, dass das vergangene Jahr alle Beteiligten enorm strapaziert hat und nun eine Reduzierung insbesondere der Sommerferien vielleicht nicht das geeignete Mittel ist."
Das Kultusministerium wies ferner darauf hin, dass in den Sommerferien spezielle Förderkurse angeboten würden, damit Schülerinnen und Schüler Wissenslücken schließen und gezielt an Problemen mit dem Schulstoff arbeiten könnten. Bereits im vergangenen Sommer hätten 61.500 von ihnen das Angebot der sogenannten Lernbrücken genutzt. Geprüft werde zudem, ob diese Nachhilfe auf freiwilliger Basis bereits in den Pfingstferien angeboten werden könne.
Update: Donnerstag, 4. März 2021, 19.12 Uhr