Rassismus-Debatte

Das sagen die Pfarrer der Region Heidelberg zum "Ulmer Melchior Fall"

Eine "Karikatur als Krippenfigur" verbietet sich für so manchen Pfarrer. Aber nicht nur deswegen gibt es immer weniger schwarz bemalte Sternsinger.

16.10.2020 UPDATE: 18.10.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 40 Sekunden
Die „grotesk überzeichnete“ Figur des Melchior aus dem Ulmer Münster. Foto: dpa

Von Lukas Werthenbach und Benjamin Miltner

Region Heidelberg. Mit ihren "dicken Lippen und der unförmigen Statur" sei ihre Krippenfigur Melchior "voller Klischees und grotesk überzeichnet" dargestellt: Weil sie dies aus heutiger Sicht als rassistisch empfindet, hat die evangelische Münstergemeinde in Ulm wie berichtet entschieden, ihre Heiligen Drei Könige in diesem Jahr nicht zu zeigen.

Dieser Schritt löste bundesweit Empörung aus. Daraufhin stellte die Gemeinde klar, dass man sich nicht wegen der schwarzen Hautfarbe dazu entschieden habe – sondern eben aufgrund der "herabsetzenden Art und Weise der Darstellung". Wie sehen die Krippenfiguren in den Kirchen rund um Heidelberg aus? Und was halten die Pfarrer von der Diskussion? Die RNZ hat nachgefragt:


Karlheinz Gaiser.

> Karlheinz Gaiser, katholischer Pfarrer im Steinachtal, sagt deutlich: "Eine Karikatur hat in einer Krippe überhaupt nichts zu suchen." Auf keinen Fall dürfe mit der Darstellung eine Herabwürdigung von Dunkelhäutigen stattfinden: "Melchior muss optisch auf der gleichen Ebene sein wie die anderen Figuren." So sei es auch in den Kirchen im Steinachtal: Die Heiligen Drei Könige beständen aus einem weißen Mann, einem "mit arabischen Zügen" und einem schwarzen. Von den Sternsingern im Steinachtal soll übrigens niemand mehr wie früher als Melchior im Gesicht schwarz angemalt werden. "Das lassen wir besser, damit es niemand falsch versteht", fasst Gaiser die Entscheidung seiner Gemeinde zusammen. "Aber wenn man es richtig verstehen würde, wäre es auch in Ordnung." Schließlich sei gerade der Sinn der unterschiedlichen Darstellung der Heiligen Drei Könige, dass sich alle Kulturen vertreten fühlen. "Aber auf dem Gebiet sollte man sehr viel Fingerspitzengefühl zeigen und vorsichtig sein", so Gaiser.


Johannes Beisel.

> Johannes Beisel, evangelischer Pfarrer für Gaiberg und Leimen-Gauangelloch, erinnert zunächst daran, dass in der Bibel nirgends von den "Heiligen Drei Königen" die Rede ist. Überliefert sei demnach nur, dass Jesus nach der Geburt von "Hirten, Wissenschaftlern und Sterndeutern" besucht wurde. Lediglich die drei Geschenke Myrrhe, Weihrauch und Gold ließen auf diese Zahl schließen. Dabei betont Beisel, dass die Besucher "von weit her" kamen, indem sie den Sternen folgten – "und zwar nicht aus dem Westen oder dem Abendland, sondern aus dem Morgenland, also aus dem Osten". So könne "sich jeder glücklich schätzen, der zu Jesus an die Krippe durfte". Letztlich sei "versucht worden, es so zu deuten, dass die Besucher von drei Kontinenten kamen". Im Ulmer Fall will er den Produzenten der aus den 1920er Jahren stammenden Melchior-Figur keine Karikatur unterstellen. "Eine Karikatur als Krippenfigur verbietet sich ein Stück weit", stellt der Pfarrer klar. "Wenn sich dunkelhäutige Menschen nicht wiedergegeben fühlen, muss man die Figur austauschen." In den Kirchen von Gauangelloch und Gaiberg gebe es keine derart überzeichnete Melchior-Figur, berichtet Beisel.

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Arul Lourdu.

> Arul Lourdu, katholischer Pfarrer der Seelsorgeeinheit Leimen-Nußloch-Sandhausen, hebt die Weltoffenheit des Christentums hervor: "Jesus Christus ist nicht für ein bestimmtes Volk geboren, sondern für alle Menschen." Lourdu erklärt, dass er von der Diskussion in Ulm nichts mitbekommen habe und die Figur nicht kenne. "Aber eine Figur einfach herauszunehmen, sehe ich als fatale Entscheidung." Wenn durch die Melchior-Figur ein Volk oder eine Kultur herabgewürdigt würden, müsse man sie durch eine andere, ebenfalls dunkelhäutige Figur ersetzen, findet der Pfarrer. Auch in den Kirchen seiner Seelsorgeeinheit gebe es keine ähnlich dargestellte Figur wie jener "Ulmer Melchior". Anders als im Steinachtal sollen laut Lourdu einige Sternsinger in seinen Gemeinden auch weiterhin als Melchior schwarz geschminkt werden, wenn sie das wollen. "Ich bin ja selber braun und ich bin froh, wenn jemand so aussieht wie ich", sagt der Pfarrer mit indischen Wurzeln. In Rassismus-Debatten allgemein beobachtet er: "In manchem Kindergarten meiner Gemeinden gibt es teilweise 20 verschiedene Nationen, das ist dort nie ein Problem. Nur wir Erwachsenen sind so doof, dass wir Menschen ausgrenzen."


Ronny Baier.

> Ronny Baier, katholischer Pfarrer der Seelsorgeeinheit Schriesheim-Altenbach-Dossenheim, hat die Debatte in Ulm ebenfalls nicht verfolgt. Er betont jedoch: "Bei unserer Krippe in Dossenheim werden auch dieses Jahr schwarze Könige mit dabei sein." Die Könige seien jedoch allesamt ästhetisch und ansprechend dargestellt, sodass sich daraus keine Minderwertigkeit oder Überlegenheit einer Bevölkerungsgruppe oder Hautfarbe ableiten lasse. Baier berichtet, dass er zudem moderne Krippen kenne, in denen auch Indianerstämme und weitere Kulturen als Vertreter aller Kontinente bei den Königen auftauchen. Was die Sternsinger betrifft, so betont er, dass in Dossenheim schon länger nicht mehr Kinder im Gesicht schwarz angemalt werden. "Wo das aber Tradition ist, sehe ich keinen Grund, diese abzuschaffen", so Baier.


Matthias Weber.

> Matthias Weber, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Dossenheim, betont: "Klischees müssen raus aus unseren Köpfen." Wenn eine Gruppe von Menschen durch eine Karikatur wie in Ulm verunglimpft werde, befürwortet Weber, dass die dortige Kirchengemeinde darauf reagiere. Dies müsste aber nicht zwangsläufig das Entfernen der strittigen Figur zu Folge haben. "Eine andere Möglichkeit ist es immer, historische Dinge in der Öffentlichkeit zu belassen und sie mit einem entsprechenden Kommentar in ihren Kontext einzuordnen", so Weber. In der Literatur würden ja auch nicht alle heute nicht mehr korrekten Begriffe aus historischen Schriften wie in sozialistischen Ländern herausgestrichen, gibt er zu Bedenken.


Der sogenannte "Nickneger"

In den Gesprächen der RNZ mit Pfarrern über die Diskussion um die Melchior-Figur in Ulm haben gleich drei der Geistlichen an eine umstrittene Figur aus ihrer Kindheit erinnert: der sogenannte "Nickneger". Diese Missionsspardosen befanden sich früher in katholischen wie evangelischen kirchlichen Einrichtungen, oft auch an den Krippen, und stellten eine schwarze Person dar. Legte man eine Münze in die ausgestreckte Hand der Figur, dankte diese mit einem Kopfnicken. "Manchmal hat die Figur auch Musik gespielt", erinnert sich etwa der Dossenheimer Pfarrer Ronny Baier. "Die Figuren sind seit Jahrzehnten nicht mehr üblich", berichtet Pfarrer Karlheinz Gaiser aus dem Steinachtal. In der Tat verschwanden die meisten Figuren in den 60er Jahren, als in der Gesellschaft das Bewusstsein für deren diskriminierenden Charakter wuchs. "Ich habe vor einigen Jahren noch so eine Figur an einer Krippe im Elsass gesehen", erzählt Pfarrer Matthias Weber.

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