Eppelheim

Eine Zugreise in den Tod

1941 wurde die Eppelheimer Jüdin Rosa Piotrokowsky in Richtung Riga deportiert. Über ihr Schicksal gab es einen Geschichts- und Filmvortrag.

11.05.2022 UPDATE: 12.05.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 15 Sekunden
Als noch alles gut war: Die Aufnahme zeigt Rosa Piotrokowsky (Mitte) vor dem Jahr 1940 inmitten zweier Freundinnen. Foto/Repro: Geschwill

Von Sabine Geschwill

Eppelheim. Über 80 Jahre liegen die Deportationen im Zweiten Weltkrieg zurück. Die Schicksale der Deportierten aber berühren bis heute. Das wurde in der Stadtbibliothek anhand der Biografie der jungen Eppelheimer Jüdin Rosa Piotrokowsky eindrücklich vor Augen geführt. "Spuren des Holocaust in Eppelheim" hatte der Förderkreis der Stadtbibliothek als Titel für diesen Vortrags- und Filmabend gewählt, der eigentlich schon am 1. Dezember – dem 80. Jahrestag der Deportation jüdischer Frauen, Männer und Kinder vom Stuttgarter Killesberg – hätte stattfinden sollen. Pandemiebedingt wurde der Vortragsabend verschoben. Nun aber konnten Bibliotheksleiterin Elisabeth Klett und Förderkreis-Vorsitzender Martin Gramm gut 30 Interessierte zu dieser bedrückenden Geschichtsstunde begrüßen.

Helmuth Lechner, Altgemeinderat aus Eppelheim, hat zusammen mit Joachim Dahlhaus sehr akribisch die Lebensgeschichte von Rosa Piotrokowsky recherchiert, die zu den vielen Opfern des Holocaust gehörte. Er zeigte in seinem Vortrag die Spuren auf, die Piotrokowsky in ihrem kurzen Leben in Eppelheim und anderswo hinterlassen hat. Weil über diese junge Frau offiziell nie viel bekannt wurde, war es aus Sicht von Lechner und Dahlhaus an der Zeit, ihres Lebens und Schicksals zu erinnern.

Helmuth Lechner hielt den Vortrag. Foto: Geschwill

Wie die biografischen Daten belegen, wurde Rosa Piotrokowsky am 26. November 1908 in Mannheim geboren. Sie kam im August 1911 auf Veranlassung des Jugendamtes in Pflege bei den Eheleuten Johann und Gottliebin Karle. Im Februar 1918 übersiedelten die Eheleute Karle mit ihrem Pflegekind nach Eppelheim, wo sie etwa ab 1925 in einem eigenen Haus in der Hauptstraße 29 lebten. Das Gebäude wurde später abgerissen. An seiner Stelle steht heute eine Trafostation der Stadtwerke Heidelberg. An der Fassadenfront zur Straße hin wurde im November 2020 zur Erinnerung an die Eppelheimer Jüdin eine Gedenktafel angebracht, um ein sichtbares Zeichen gegen das Vergessen zu setzen.

Rosa wohnte in Eppelheim, hatte Arbeit bei der Zigarrenfabrik Liebhold im Heidelberger Stadtteil Pfaffengrund, lebte in geordneten Verhältnissen und hatte einen guten Leumund. Doch all das war nichts wert, wenn man als "getaufte Jüdin" in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland leben und glücklich werden wollte. 1934 beantragte sie erfolglos ihre Einbürgerung. Das Bezirksamt Heidelberg lehnte diese mit dem Verweis auf die anstehende Änderung des "Reichsangehörigkeitsgesetzes" im Rahmen der Nürnberger Rassengesetze ab. Im Juni 1934 schlug auch ihr Versuch fehl, die polnische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Im Jahr 1941 kam sie nach Ammertsweiler, wo ihre Pflegeeltern mittlerweile lebten. Die Krankheit ihres Pflegevaters, um den sie sich kümmerte, hatte sich verschlimmert.

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Die junge Frau musste sich bald, wie viele andere Juden, Ende November 1941 auf dem früheren Gelände der Reichsgartenschau auf dem Killesberg in Stuttgart einfinden. Von dort sollte sie fahrplanmäßig am 1. Dezember 1941 vom Nordbahnhof Stuttgart in Richtung Riga deportiert werden. Mit dem Postbus und etwas Gepäck habe sich Rosa noch voller Zuversicht auf den Weg gemacht, wie damals eine Zeitzeugin berichtete. Nur weil sie eine Jüdin war, habe sie fortgemusst. Dabei hätten Rosa alle sehr gern gehabt…

Nach dem Krieg offiziell für tot erklärt

Lechners Ausführungen wurden ergänzt durch filmische Kurzaufnahmen aus dem Sammellager, das für Juden in der Zeit des Nationalsozialismus auf dem Killesberg eingerichtet war. Den Besuchern war während der Vorführung die Betroffenheit anzusehen. Die historische Einordnung des achtminütigen Films von der Deportation rund 1000 jüdischer Bürger – darunter Rosa Piotrokowsky – gab Dr. Günter Riederer vom Stadtarchiv Stuttgart. Die Deportation war für die Handelnden nicht mehr als ein "bürokratischer Akt". Man hätte meinen können, es handle sich um eine Gruppenreise. Doch diese Zugreise war für die Juden eine Fahrt in den sicheren Tod. Wohl auch für Rosa Piotrokowsky: Sie lebte gesichert noch bis 1944. Im Jahr 1950 wurde sie mit Wirkung vom 8. Mai 1945 offiziell für tot erklärt.

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