Das Glockenspiel der Meißener Porzellanmanufaktur erklingt seit 2007 hinter Glas. Foto: Alex
Von Nicolas Lewe
Leimen-St. Ilgen. Es ist ein ganz besonderes Symbol der Ost-West-Beziehung und doch vielen als solches gar nicht bekannt: Seit fast 30 Jahren ist die Stadt Leimen stolze Besitzerin eines von weltweit weniger als 50 Glockenspielen der berühmten Porzellanschmiede aus dem sächsischen Meißen bei Dresden. Zu finden ist das Spiel mit seinen 13 Glocken im mittleren Fenster des zweiten Geschosses beim historischen Rathaus im Stadtteil St. Ilgen.
Die offizielle Einweihung erfolgte ein Jahr nach der deutschen Wiedervereinigung am 31. August 1991. Dies geschah im Zuge der 1200-Jahr-Feier Leimens und der gleichzeitigen 860-Jahr-Feier St. Ilgens im Rahmen der Neueröffnung des umgestalteten Willi-Laub-Platzes unweit des Rathauses. Zu dem Fest unter der Ägide des damaligen Leimener Oberbürgermeisters Herbert Ehrbar kamen einige hundert Zuschauer. Zur Einweihung erklang auf den Porzellanglocken das St. Ilgener Heimatlied.
Klingt alles sehr harmonisch. Doch das war es nicht. Denn die Geschichte, wie das Glockenspiel nach Leimen kam, weist einige Misstöne auf. In einer denkwürdigen Sitzung im November 1990 stimmte der Gemeinderat mit knapper Mehrheit von 13 zu zwölf Stimmen gegen die Anschaffung des Meißener Porzellanmeisterwerks. Außer den Spezialisten aus Sachsen ist es bislang keiner anderen Manufaktur gelungen, ein solches Instrument aus dem fragilen Material zu fertigen. Doch Qualität hat ihren Preis. 120.000 Deutsche Mark sollte der Kaufpreis betragen – eine Summe, die den Gemeinderat spaltete in Befürworter des Schmuckstücks und in Gegner, die anführten, es gebe wichtigere Brennpunkte in Leimen, für die man stattdessen lieber das Geld einsetzen sollte.
Der knappe Entscheid gegen einen Erwerb hätte der Schlusspunkt dieser Geschichte sein können – wäre nicht kurz darauf der Verdacht aufgekommen, dass mit der Fertigung des Glockenspiels bereits weit vor dem ablehnenden Votum des Gemeinderats begonnen worden war. Im Gespräch mit der RNZ erinnert sich der Grünen-Stadtrat Ralf Frühwirt daran, wie er eigens die Reise in den Osten antrat und dort die für Leimen gefertigten und bereits vollendeten Glocken vorfand. Bürgermeister Ehrbar leugnete dies zwar nicht, betonte aber, dass der Meißner Handwerksbetrieb ohne einen Auftrag aus Leimen mit der Herstellung begonnen hat: Die Firma habe eben damit gerechnet, dass der Gemeinderat positiv entscheidet und der Auftrag schon erteilt werde. Nur dank privater Spenden, so stellte es Ehrbar damals dar, habe das Glockenspiel dann doch noch seinen Weg nach Westdeutschland gefunden. Frühwirts Zweifel an der Korrektheit der Finanzierung blieben bestehen. So oder so hatte Ehrbar sein Ziel erreicht: Der Eklat war gerade noch abgewendet worden.
Heute sind die Dissonanzen von damals Geschichte. Finden nicht gerade wie zuletzt Bauarbeiten am St. Ilgener Rathaus statt, ertönt das Glockenspiel viermal täglich mit Melodien, die jahreszeitlich angepasst werden. Das Programm des Glockenspiels bietet über 60 Lieder. Wie Stadtsprecher Michael Ullrich berichtet, sollen künftig in Zusammenarbeit mit der Musikschule neue Stücke für das Glockenspiel erarbeitet werden. "Technisch hat sich seit 1991 ein bisschen etwas weiterentwickelt", meint der Stadtsprecher.
Apropos weiterentwickelt: Seit Januar 2007 sind die wertvollen Meißner Glocken hinter einer speziellen durchsichtigen Glasvorrichtung "in Sicherheit gebracht". Zweimal binnen eines Jahres waren die Glocken 2006 zum Ziel von Vandalen geworden, die mit Steinen und Schusswaffen Schaden in Höhe von mehreren Tausend Euro verursacht hatten. Die Gemeinde sah sich gezwungen zu reagieren – dieses Mal ließ das Votum des Rates keinen Zweifel an der Notwendigkeit aufkommen.
Das Glockenspiel und Leimen, Ost und West: Was lange währt, wird endlich gut.
Im Mittelfenster des St. Ilgener Rathauses nimmt das Glockenspiel einen Ehrenplatz ein. Foto: Alex