Perspektiven, Prozesse, Politik

Mit den Haßmersheimern hat Bürgermeister Michael Salomo viel angestoßen

Der 2014 als jüngster Bürgermeister Deutschlands angetretene Salomo hat eine zweite Amtsperiode im Blick. Der Rathauschef im RNZ-Interview.

12.10.2020 UPDATE: 13.10.2020 06:00 Uhr 6 Minuten, 6 Sekunden
Blick vom anderen Neckarufer auf Haßmersheim: Hier lief in den vergangenen Jahren einiges und vieles läuft aktuell. Foto: Ursula Brinkmann

Von Ursula Brinkmann

Haßmersheim. Vor gut sechs Jahren wusste man plötzlich überall in Deutschland, wo Haßmersheim liegt. Denn mit Michael Salomo hatte die Gemeinde am Neckar den seinerzeit jüngsten amtierenden Bürgermeister der Bundesrepublik gewählt. 25 Jahre jung war der gebürtige Allgäuer damals. 2020 sind Dreiviertel der Amtszeit Salomos um und eine Menge ist passiert. Die RNZ war im Rathaus in Haßmersheim und fragte nach, wie der Blick zurück ausfällt, welche Ideen entwickelt und realisiert wurden und was in Zukunft bestimmende Themen sein werden.

Anfang 2014 waren Sie der jüngste Bürgermeister – nicht nur im Neckar-Odenwald-Kreis, sondern in der Republik. Der Wirbel war beträchtlich. Wie ging es Ihnen, wie ging es Haßmersheim mit dieser Popularität?

Diesen Rummel habe ich so nicht abschätzen können. Das Interesse an der Gemeinde Haßmersheim und meiner Arbeit, der eines Bürgermeisters in einer durchschnittlich großen Kommune in Baden-Württemberg, freut mich natürlich. Es waren sieben Fernsehsender, darunter SWR und NTV vor Ort sowie über 50 Printmedienvertreter.

Michael Salomo freut sich, in Haßmersheim gestalten zu dürfen. Foto: Brinkmann

Hat die Gemeinde von diesem Rummel profitiert?

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Die Gemeinde Haßmersheim wurde über Nacht bekannt. Darüber hinaus entstand das bundesweite, überparteiliche Netzwerk "Junge Bürgermeisterinnen und Bürgermeister" mit knapp 400 Kollegen, zu dessen Sprecher ich gewählt worden bin. Dadurch ist es möglich, direkten Kontakt zum Bundespräsidialamt wie auch zu verschiedenen Bundesministerien zu pflegen. Diese Kontakte kommen der Gemeinde nach wie vor zugute.

Seinerzeit wurde ein Gemeindeentwicklungskonzept mit fachlicher Unterstützung sowie solcher aus der Bürgerschaft erarbeitet. Was ist der Kern des Konzepts?

In diesem Prozess wurden die Bürger eingeladen, mit dem Gemeinderat, der Gemeindeverwaltung und einem Stadtplanungsbüro Spaziergänge durch die jeweiligen Ortsteile zu machen. In einer Gemeinde ist viel voneinander abhängig. Es galt, an mehreren Stellen anzusetzen. Wenn wir zum Beispiel Baugebiete entwickeln, dann hat das Auswirkungen auf den Verkehr, die Schule, das Einkaufen und, und, und … Aus den Handlungsempfehlungen wurde unter anderem abgeleitet, die Einkaufssituation zu verbessern, bezahlbaren Wohnraum sowie Einrichtungen für pflegebedürftige Menschen zu schaffen, den Ortskern von der zu hohen Verkehrsbelastung zu befreien, neue Gewerbeflächen herzustellen, Hochhausen eine attraktive Ortsmitte zu geben und die Ortsstraße in Neckarmühlbach zu sanieren. Dieses Gemeindeentwicklungskonzept hat der Gemeinderat beschlossen. Es wird nun Zug um Zug umgesetzt. Als Bürgermeister sehe ich mich ganz klar in der Rolle desjenigen, der für die gesamtheitliche Entwicklung der Gemeinde zuständig ist.

Hintergrund

Die indiskreten 13

1 Erinnern Sie sich noch an ihren ersten Tag als Bürgermeister?

Oh ja, es gab ja einen großen Medienrummel, über den ich sehr erstaunt war. Zu diesem Zeitpunkt war mir noch gar nicht bekannt, dass ich

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Die indiskreten 13

1 Erinnern Sie sich noch an ihren ersten Tag als Bürgermeister?

Oh ja, es gab ja einen großen Medienrummel, über den ich sehr erstaunt war. Zu diesem Zeitpunkt war mir noch gar nicht bekannt, dass ich Deutschlands jüngster Bürgermeister war.

2 Welchen Job außer Bürgermeister könnten Sie sich noch vorstellen?

Das Interessante am Amt des Bürgermeisters ist die Vielseitigkeit und Komplexität des Berufsfeldes. Ich liebe die verantwortungsvolle Aufgabe, für alle Lebenslagen Konzepte für die Bürgerinnen und Bürger zu erarbeiten. Ich finde, da gibt es nicht viele vergleichbare Jobs.

3 Wenn Sie Ihre Gemeinde mit drei Schlagworten beschreiben müssten, welche wären das?

Liebenswert, innovativ, zukunftsfähig.

4 Und sich selbst mit drei Eigenschaften…

Zielstrebig, vielseitig interessiert, mit Blick für das große Ganze.

5 Bleiben wir bei drei: Ihre drei Lieblingssongs?

Die allgemeinen deutschen Charts und klassische Musik.

6 Worüber können Sie lachen?

Ãœber Missgeschicke, die mir selbst im Alltag passieren.

7 Und was finden Sie zum Weinen/was macht sie traurig?

Wenn Menschen nicht bewusst leben. Viele haben ein Haus, gesunde Kinder, gehen jedes Jahr in Urlaub – und sind trotzdem unglücklich, weil sie es nicht fühlen; weil sie nicht wahrnehmen, wie gut es ihnen eigentlich geht.

8 Wovor haben Sie Angst?

Aktuell mache ich mir Sorgen, dass wir gesellschaftlich und politisch in eine Zeit rutschen, wie es sie in der Weimarer Republik gab.

9 Ihre größte Leidenschaft?

Einen schönen Abend mit Freunden zu verbringen.

10 Und Ihre größte Schwäche?

Leidenschaftlich zu diskutieren.

11 Mit welcher Person der Zeitgeschichte würden Sie gern mal einen Kaffee/ein Bier trinken?

Vera F. Birkenbihl (eine deutsche Managementtrainerin und Sachbuchautorin).

12 Was bedeutet für Sie Glück?

Bewusst zu leben.

13 Gibt es so was wie ein Lebensmotto für Sie?

Das Leben mit allen Höhen und Tiefen zu genießen.

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Junger Bürgermeister, junge Verwaltung – es hat gerade in jüngerer Zeit einige Wechsel gegeben …

Gerade in Zeiten des demografischen Wandels, wo immer weniger junge Menschen nachkommen und immer mehr ältere Mitarbeiter sich in den Ruhestand verabschieden, wird sichtbar, dass der öffentliche Dienst deutlich zu wenig ausgebildet hat. In den nächsten Jahren werden rund 730 000 Stellen im öffentlichen Dienst unbesetzt sein. Die Konsequenz daraus ist, dass übergeordnete Behörden mit deutlich besseren Stellenangeboten locken, und es somit auch in Zukunft in allen Behörden zu einem häufigen Wechsel kommen wird. Verwaltungen wandeln sich, werden jünger. Die jetzige Generation versteht ihre Aufgaben mehr als ein Gestalten denn als ein Verwalten. Mir selbst macht Gestalten unheimlich viel Spaß.

Ist Ihr Rathausteam gut aufgestellt?

Mit der aktuellen Projekt- und Aufgabenlage sind wir (rund 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung) voll ausgelastet. Ich bin stolz auf das, was wir hier miteinander schaffen. "Team" verstehe ich jedoch über die Rathausmauern hinaus. Das sind auch Menschen in anderen Institutionen, Organisationen und Unternehmen.

Unter "aktuelle Projekte" steht auf der Internetseite der Gemeinde dreimal das Wort neu: neuer Rewe-Markt, neue Pflegeeinrichtung, neues Gewerbegebiet. Neu geschaffen werden aktuell 88 Bauplätze. Dass Haßmersheim gewaltig wächst, passt nicht allen Bürgern, zumal mit der neuen "Ortsrandentlastungsstraße" einige so ihre Probleme haben ...

Haßmersheim wandelt sich, und Veränderungen in einer Demokratie basieren auf Mehrheitsentscheidungen. Dass direkte Anwohner von den Maßnahmen nicht alle begeistert sind, ist durchaus verständlich und nachvollziehbar. Jedoch wurde das Gemeindeentwicklungskonzept von der Bevölkerung erarbeitet, vom Gemeinderat als zukünftige politische Ausrichtung beraten und beschlossen und letztendlich umgesetzt. Ich bin zu 100 Prozent davon überzeugt, dass die aus dem Gemeindeentwicklungskonzept erwachsenen Maßnahmen Haßmersheim voranbringen.

Immer wieder wird in Gemeinderatssitzungen angeregt und gefordert, die alte Ortsmitte um die Theodor-Heuss-Straße nicht zu vernachlässigen. Was kann die Verwaltung, was kann der Bürgermeister hier tun?

Teile Haßmersheims waren viele Jahre Sanierungsgebiet. In diesem Zusammenhang wurde die Sanierung vieler Häuser an der Theodor-Heuss-Straße finanziell unterstützt. Hier sehen wir jetzt genau die Zusammenhänge, nämlich, dass die Maßnahme, die die Situation weiter verbessern wird, woanders geschieht: mit der Ortsrandentlastungsstraße werden wir den Verkehr im alten Ortskern deutlich verringern.

Nur wenige Kommunen im NOK "leisten" sich Kindergärten in eigener Trägerschaft. In Haßmersheim gingen Betriebsträgerschaft aller vier evangelischer Kindergärten sowie Grund- und Gebäudebesitz an die Gemeinde über. Als Eigenbetrieb kam die Sache aber nicht zustande. Nun sind die Kindergärten und die Mitarbeiterinnen Teil der Verwaltung. Ein gutes Modell?

Mit den Kindergärten ist der Mitarbeiterstab auf knapp 100 gestiegen. Kindergartenplätze müssen von Kommunen angeboten werden. Viele Kommunen lassen diese Aufgaben durch Dritte erfüllen, müssen jedoch für diese Dienstleistung genauso bezahlen. Da hätten wir uns einen Eigenbetrieb sehr gut vorstellen können. Aufgrund rechtlicher Änderungen konnte dies jedoch nicht unmittelbar umgesetzt werden.

Mit einem Sanierungsvolumen von 4,6 Mio. Euro gehört auch die Gemeinschaftsschule zu den dicken Projekt-Fischen. Kürzlich hat der Gemeinderat eine wegen geänderter Brandschutzauflagen teurere Verglasung bewilligen müssen. Stecken da noch mehr Unwägbarkeiten drin?

Das geänderte Schulkonzept der Gemeinschaftsschule erforderte eine größere Investition, da unsere Kinder inzwischen durch Lehrkräfte auf drei unterschiedlichen Niveaus – Haupt-, Real- sowie Gymnasialstufe – unterrichtet werden. Um diesen differenzierten Unterricht anbieten zu können, will die Gemeinde als Träger der Schule den Kindern heimatnah eine bestmöglichste Schulbildung bieten. Zudem hat insbesondere die Sicherheit in öffentlichen Gebäuden höchste Priorität. Insgesamt bleiben wir kostenmäßig unter dem Ansatz, und das zählt.

Apropos Gemeinderat: in den (oft ausgedehnten) Sitzungen in Haßmersheim wird gern eifrig und kritisch nachfragend das Wort ergriffen – da geht’s manchmal um ein paar Cent. Würden Sie sich nicht manchmal ein Gremium wünschen, das die Beschlussvorlagen der Verwaltung weniger genau unter die Lupe nimmt?

Da sehen wir, dass die Gemeinderäte mit Eifer und vollem Einsatz bei der Arbeit sind und das Gremium funktioniert. Eine Demokratie lebt von freier Meinungsäußerung und Kritik, man muss sich jedoch dessen bewusst sein, dass die eigene Meinung nicht immer auch die der Anderen ist. Im Allgemeinen ist es wichtig, das große Ganze zu sehen, um dann im Detail zu Lösungen zu kommen.

"Social Distancing" ist nicht gerade das, was das erklärte Streben nach Bürgernähe befördert. Wie wurde die Coronakrise in Haßmersheim bisher bewältigt?

Die Coronakrise ist ein Test für die ganze Gesellschaft, die zeigt, wie wichtig persönliche menschliche Verbindungen sind. Ich denke dabei besonders an die Älteren, die allein zu Hause sitzen, aber auch an Familien mit Kindern. Wir sind von Anfang an dabei, die Bevölkerung über ausführliche Amtsblattartikel, unsere Homepage und Facebook sowie die Rhein-Neckar-Zeitung über die anstehenden Projekte zu informieren.

Sie sind der Sprecher des "Netzwerks Junge Bürgermeister*innen". Machen Ihre Kolleginnen und Kollegen ähnliche Erfahrungen wie Sie? Was beschäftigt die jungen Rathauschefinnen und Rathauschefs?

Trotz oder gerade wegen geografischer Entfernungen herrscht Vertrautheit. Wir ticken ähnlich, diskutieren mit den Verantwortlichen auf Bundes- und Landesebene über gesellschaftliche Veränderungen und wie Kommunen in Zukunft aufgestellt sein müssen, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden.

Als Bürgermeister einer kleinen Gemeinde agiert man nahe am Puls der Menschen und der Zeit. Was kann die große Politik von der kleinen lernen?

Das ist in unserem Netzwerk immer wieder Thema. Als Bürgermeister wünsche ich mir mehr direkte Zuweisungen von Bund und Land und weniger Sanktionierung der örtlichen Politik durch die sehr komplexen Förderprogramme. Es kann beispielsweise nicht sein, dass der Bund mit freien Mitteln ein Förderprogramm für Kinos in Städten mit über 25.000 Einwohnern auflegt, für die er nicht zuständig ist, wo anderenorts das Geld zur Sanierung der Schulen, der Kindergärten oder der Schwimmhallen fehlt. Hier sollte deutlich mehr Vertrauen in die örtlichen Zuständigkeiten gelegt werden und diese mit einem größeren finanziellen Spielraum ausgestattet werden.

Vor größeren und großen Projekten sind Sie nicht zurückgeschreckt. Die sind entweder angestoßen oder in Arbeit oder realisiert (wie Rathaussanierung, Bürgerbus). Was geht Ihnen für die nächsten fünf Jahre im Kopf herum? Die Frage schließt ein, dass Sie in zwei Jahren wieder kandidieren …

Für eine zweite Amtsperiode fallen mir tausend Dinge ein, doch die erste war mit großen infrastrukturellen Anstößen ziemlich fordernd. Deshalb würde ich in einer zweiten Amtszeit eher eine Konsolidierungsphase sehen, in der das Angeschobene umgesetzt, verstetigt und verbessert wird. Das Gemeindeentwicklungskonzept sieht vor, sich noch intensiver mit den Themen Wirtschaft und Vereinsleben auseinander zu setzen, sowie mit der Frage: Wie wollen wir gemeinsam leben?

Sehenswerte Ortsteile: Neckarmühlbach hat seine Burg, Hochhausen ein Schloss. Foto: Brinkmann

Wie wichtig sind die Ortsteile Hochhausen und Neckarmühlbach für die Gemeinde Haßmersheim?

Jeder Ortsteil hat seinen Charme; Hochhausen das Schloss, die Notburga-Kirche, das Freibad, Neckarmühlbach die Burg Guttenberg mit der Greifvogelwarte. Jeder der drei Ortsteile trägt dazu bei, dass die Gesamtgemeinde Haßmersheim lebens- und liebenswert bleibt. Hochhausen und Neckarmühlbach sind Bestandteil des schon genannten Gemeindeentwicklungskonzepts. Die Ortsstraße in Neckarmühlbach wurde für eine Million Euro saniert. In Hochhausen sind wir an der Gestaltung einer neuen Ortsmitte dran und nehmen dafür eine ähnlich große Summe in die Hand.

Wenn Sie sich von den Haßmersheimern etwas wünschen dürften, wäre das …

…, dass wir gemeinsam die Früchte der politischen Arbeit, die wir jetzt leisten, ernten, dass wir vom wirtschaftlichen Aufschwung des Heilbronner Raumes etwas mitnehmen und dass dies auch positive Auswirkungen bis in den Neckar-Odenwald-Kreis hinein hat.

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