Bertram ter Horst zeigt in eines der Vorklärbecken. Der sich hier ablagernde Klärschlamm wird direkt in den Faulturm (Gebäude Mitte hinten) gepumpt. Das erzeugte Biogas deckt rund 60 Prozent des Energiebedarfs der Kläranlage. Foto: Caspar Oesterreich
Von Caspar Oesterreich
Mosbach/Obrigheim."Man könnte mich durchaus als Massenmörder bezeichnen", sagt Bertram ter Horst und grinst. "Ich bringe jeden Tag Milliarden von Bakterien um." Der Zweck heiligt für den Geschäftsführer des Abwasserzweckverbandes (AZV) Elz-Neckar aber die Mittel. Denn ohne die Mikroorganismen würde nicht viel passieren in der Kläranlage Obrigheim. Schließlich besteht die Aufgabe der winzig kleinen "Mitarbeiter" darin, die im Abwasser enthaltenen Schmutzstoffe, die organischen Kohlenstoffverbindungen, aufzufressen und abzubauen. Bis zu 70 Millionen Liter Wasser können die Mikroorganismen wieder sauber machen – und zwar jeden Tag.
Der dabei anfallende Klärschlamm wird zur eigenen Energiegewinnung "verfault" und die Restmasse hinterher verbrannt. "Zuerst ersticken die Bakterien, danach fackel ich sie ab", erklärt ter Horst. "Ein Doppelmord sozusagen ..."
Unaufhörlich fließe "frisches Abwasser" aus Mosbach mit den Stadtteilen Neckarelz, Diedesheim, Lohrbach, Sattelbach, Nüstenbach und Reichenbuchen, aus Obrigheim mit Mörtelstein, aus Neckarzimmern, Hochhausen und Binau sowie vom Zweckverband Interkommunales Gewerbegebiet Elz-Neckar (GENO) in die zahlreichen Becken der Anlage. Die Gesamtmenge, immerhin 4,5 Millionen Kubikmeter im Jahr, setze sich dabei zu gleichen Teilen aus Abwässern von Haushalten und Firmen, aus Regen- sowie durch eindringendes Fremdwasser ins 37 Kilometer lange Kanalnetz zusammen, wie ter Horst erklärt. Voll ausgelastet ist die Kläranlage jedoch nicht, weshalb auch Haßmersheim, Neckarmühlbach, Neckargerach und Katzenbach noch angeschlossen werden sollen.
Mehrmals wurde die im Juni 1976 eingeweihte Kläranlage umgebaut und erweitert. 2015 ging die Faulungsanlage in Betrieb, ein paar Monate später folgte der Anschluss ans Blockheizkraftwerk. 250 Kilowattstunden Strom und zusätzlich 360 kWh Wärmeenergie wird aus dem Biogas direkt im Klärwerk erzeugt, was 60 Prozent des gesamten Energiebedarfs deckt.
"Theoretisch wären auch 100 Prozent möglich", sagt ter Horst stolz, doch dafür fehle es schlicht am Material. Um den Klärschlamm ein wenig "aufzupimpen", mische er gerne Fettschlamm im Faulturm dazu, den der Eberbacher Gelatinehersteller "Gelita" regelmäßig zur Verfügung stelle. "Da steckt unglaublich viel Energie drin", freut sich der AZV-Geschäftsführer.
Auf seinen zwei Bildschirmen hat der 60-jährige Verfahrensingenieur alles im Blick. Nicht nur die genaue Temperatur und Gasmenge im Faulturm, auch die Fließgeschwindigkeiten des Wassers in den verschiedenen Klärstufen oder die Daten der Räumbrücken, die an der Wasseroberfläche sowie am Boden den Klärschlamm zusammenkratzen – um nur einige Parameter zu nennen. Verändert ter Horst mit ein paar Mausklicks zum Beispiel den Sauerstoffgehalt im Belebungsbecken, berechnet das Programm in sekundenschnelle automatisch, wie sich das auf die anderen Werte auswirkt. Fast 10.000 Sensoren speisen das Kontrollprogramm ununterbrochen mit einer Flut aus Daten. Selbst aus den angeschlossenen Pumpwerken strömen sie in den Server im Verwaltungsgebäude in Obrigheim.
Die Software dahinter hat ter Horst zum Großteil selbst programmiert und sogar kleine Animationen eingebaut. "Mir ist es wichtig, dass alles intuitiv sichtbar wird, da hilft die Visualisierung". Die zunehmende Digitalisierung bringt viele Vorteile, hat jedoch auch Nebenwirkungen: Von ursprünglich 18 Stellen in der Kläranlage sind noch elf übrig. Die verbleibenden Mitarbeiter sind in der Verwaltung tätig oder kümmern sich hauptsächlich um die Instandhaltung der Anlage. Die Abwasseraufbereitung läuft fast vollständig automatisch ab. Die Nutzung verschiedener Netzwerke und weitere Maßnahmen, die ter Horst aus guten Gründen nicht verraten will, sollen vor Hackerangriffen schützen. "Unser System ist so sicher wie es geht", sagt der Verfahrensingenieur. Den Server hat er sogar an einem besonders ungewöhnlichen Ort in der Anlage versteckt.
Seit 1994 ist ter Horst beim Abwasserzweckverband Elz-Neckar verantwortlich für die Kläranlage. Für Probleme findet der 60-Jährige meist pragmatische Lösungen. Wie man es sich eigentlich vorstellt riecht es auf der Anlage keineswegs – weil ter Horst die stinkende Luft aus den Klärschlammpressen zurück ins Belebungsbecken leitet, in der die Bakterien fleißig ihre Arbeit tun. Bis zur Rente will der AZV-Geschäftsführer die Anlage noch einmal erweitern, eine vierte Reinigungsstufe bauen. Dann werde das Wasser, das am Ende in den Neckar geleitet wird, auch von Medikamentenrückständen und Mikroplastik befreit. Momentan gelangen diese Schadstoffe zum Großteil noch ins Flusswasser.