Neckargerach/Guttenbach

Die Geschichte des Neckars reicht Jahrmillionen zurück

Die Lebensader vor der Haustür - Bis heute macht er mehr als nur das Erscheinungsbild von Neckargerach aus

08.06.2020 UPDATE: 09.06.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 52 Sekunden
Der Wanderweg zur Margaretenschlucht Neckargerach zeigt den herrlichen Blick auf Guttenbach und den „Mittelberg“, den früheren Umlaufberg des Ur-Neckars, dahinter. Zur Eiszeit flossen die Wassermassen vor Guttenbach im Krebsbachtal nach Neckarkatzenbach, wo sie an den Hängen abprallten und um den Berg herumströmten. Foto: Norman Link

Von Noemi Girgla

Neckargerach/Guttenbach. Flüsse sind seit jeher "Lebensadern" für menschliche Siedlungen. Um sich dessen bewusst zu werden, muss man gar nicht ins ferne Ägypten und an den Nil blicken. Auch im Neckar-Odenwald-Kreis hat man ein solches Beispiel direkt vor Augen.

"Es ist kaum zu glauben, dass der heute friedlich dahinfließende Neckar einst als wildester Strom Deutschlands bezeichnet wurde", erzählt Peter Kirchesch, der ehemalige Bürgermeister von Neckargerach und Zwingenberg. Er hat sich lange mit der Geschichte des Flusses und der von ihm geprägten Landschaft befasst. Von seinem Haus blickt er direkt auf den Mittelberg.

"Der Ur-Neckar floss vor Millionen Jahren um diesen sogenannten Neckarumlaufberg. Damals wälzte sich der Fluss völlig ungezügelt, in großen Schleifen durch die Landschaft. Die Trockentäler, die heute bei Guttenbach um den Mittelberg herumziehen, zeigen unverkennbar ein längst ausgelaufenes Neckarbett", erläutert Kirchesch. "Als das ,Urtal’ des damaligen Laufes ausfloss, hinterließ es fruchtbare Acker- und Wiesenböden." Die Grundlage für eine (viel) spätere Besiedlung durch den Menschen.

"Doch nicht nur fruchtbare Böden hinterließ der Fluss, er formte auch die Landschaft, grub sich über Jahrmillionen in sein Flussbett ein, und schuf so durch den Anprall an den jeweiligen Berghängen gravierende Taleinschnitte", berichtet Kirchesch weiter. "Ein besonderes landschaftliches Kleinod ist der Ort Guttenbach, der seit 1973 zu Neckargerach gehört." So sahen das wohl auch die Adligen des Mittelalters, die hier hoch am Hang die Minneburg errichteten.

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Ihre Ursprünge sind nicht gänzlich geklärt. Fest steht, dass ihre Lage strategische Vorteile mit sich brachte. Weit kann man von der Minneburg ins Neckartal blicken und durch den steilen Hang, an dem sie liegt, war sie nicht leicht einzunehmen. Geschenke des Neckars, die der Mensch sich zu Nutzen machte. "Hier sind insbesondere die Herren von Habern im 16. Jahrhundert zu nennen, unter denen die Minneburg ausgebaut wurde", erzählt Peter Kirchesch. "Sie herrschten über Guttenbach und weitere Gemeinden."

Neben dem "edlen Rittertum" beherbergte die Minneburg eine Zeit lang auch Raubritter, sehr zum Schrecken der Bevölkerung und der Kaufleute, die ihre Waren neckarauf- und abwärts transportierten. "Der Neckar war für die Neckardörfer jahrhundertelang der einzige, wenn auch oft beschwerliche Verbindungsweg in die ,weite Welt’", so Kirchesch weiter. "Die Holzflößer waren vor fast 700 Jahren die ersten Schiffer, die berufsmäßig den Neckar hinabfuhren. Holz aus dem Odenwald war ein begehrter Artikel am unteren Neckar, am Rhein und in Holland", blickt er auf die Geschichte der Neckarflößerei zurück. "Erst später kamen Schiffe und Kähne dazu, die bis ins 18. Jahrhundert durch Menschenkraft, danach von Pferden gezogen wurden."

1878 revolutionierte die Kettenschleppschifffahrt den Verkehr zu Wasser. Mit lautem Gerassel fuhren lange Schleppzüge von Mannheim bis Heilbronn. Als 1927 der Neckarkanal eröffnet wurde, brach eine neue Zeit an. Die Schlepperkette wurde 1935 aus dem Neckar genommen, die Ära der Motorschifffahrt begann.

"Der höchste Punkt des Ur-Neckars lag etwa 45 bis 65 Meter über dem heutigen Niveau", erklärt der Altbürgermeister. Und weiter: "Mitte der 1920er-Jahre, vor der Neckarkanalisation und dem Bau der Schleusen, konnte man den Neckar mit kurzen Hosen überqueren, ohne dabei nass zu werden. Würde man heute den ,alten Neckar’ wiederherstellen und dabei alle Schleusen öffnen, würde ein müder, träger Flusslauf Richtung Mannheim fließen." Die Konsequenzen wären laut Kirchesch weitreichend: "Es wären keine Frachten in den mittleren Neckarraum mehr möglich, und die Kraftwerke, insbesondere die Wasserkraftwerke zur Stromerzeugung an den Schleusen, müssten abgeschaltet werden. Auch auf Flora und Fauna entlang der Wasserstraße wären die Auswirkungen immens."

Baden im Neckar in den 1950er Jahren – hier im damaligen Luftkurort Zwingenberg. Das lebhafte Treiben herrschte auch an den Badeplätzen von Neckargerach und Guttenbach. Foto/Repro: Gemeinde Zwingenberg/Peter Kirchesch

Für Kinder und Ausflügler spielte der Fluss bis Anfang der 1960-er-Jahre noch eine andere Rolle. In den damaligen Luftkurorten Neckargerach und Zwingenberg gehörte für die zahlreichen Kurgäste Sonnenbaden zum beliebten Programm. Peter Kirchesch lernte, wie viele Neckaranwohner, dort das Schwimmen. Noch heute erinnert er sich: "Für uns Jungs war es eine Gaudi, auf die langsam fahrenden, schwer beladenen Schleppkähne zu schwimmen. Meistens hatten die Schiffskapitäne keine Einwendungen. Die Fahrt ging dann bis zur Nachenfähre oder zur Schleuse Guttenbach, um dann auf einen talfahrenden Kahn zu wechseln. Wenn ein Schiff frisch geteert oder geölt war, mussten wir am Körper eine ,schwarze Bescherung ertragen’.

Riesige Freude bereitete es auch, auf die Guttenbacher Neckarseite zu schwimmen und sich dort an Kirschen, Beeren oder Frühäpfeln zu laben. Die Badeplätze in Neckargerach und Guttenbach wurden damals intensiv genutzt. Durch die Verschmutzung des Neckars ging die Idylle, eine ideale Sport- und Bademöglichkeit dann leider verloren."

Die Erinnerungen und Geschichten sind nicht verloren, sie bleiben erhalten. Von der grauen Vorzeit bis heute. Und bestimmt kommen in der malerischen Flusslandschaft auch in Zukunft noch einige weitere hinzu ...

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