Von Rüdiger Busch
Neckar-Odenwald-Kreis. In den kommenden Jahren werden zwischen 4500 bis 5000 Gaststätten im ländlichen Raum in Baden-Württemberg ihre Türen für immer schließen, weil die Betreiber keine Nachfolger finden. Diese Prognose hat der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) kürzlich öffentlich gemacht. Das notorische Personalproblem, die starren Arbeitszeitvorgaben und ein verändertes Freizeitverhalten der Bevölkerung machen den Gastronomen das Leben immer schwerer. Wie ist die Situation bei uns im Neckar-Odenwald-Kreis? Wir haben mit Paul Berberich, dem Dehoga-Kreisvorsitzenden, gesprochen.
Wie geht es der Gastronomie im Kreis?
Die Auslastung ist generell gut, aber die Erträge halten mit der guten Entwicklung nicht Schritt. Denn die Kostensteigerungen sind höher als die Preissteigerungen. Dies hat bei vielen Betrieben zu einem Investitionsstau geführt, da sie über Jahre nicht die Einnahmen hatten, die nötig wären. Die Gäste werden sich daran gewöhnen müssen, dass unsere Dienstleistung deutlich teurer wird - sonst gibt es uns eines Tages nicht mehr.
Und wie ist die Lage bei den Hotels?
Der Bedarf wächst, das Angebot sinkt aber leider. Die Zahl der Feriengäste steigt, weil immer mehr Menschen erkennen, wie schön der Odenwald ist. Wir haben aber auch Zuwächse bei den Geschäftsreisenden, denn die Firmen in der Region boomen.
Weshalb finden viele Betriebe keine Nachfolger?
Am fehlenden Willen liegt es nicht: Die junge Generation ist auch bereit, viel zu arbeiten. Aber: Es muss sich für sie lohnen. Und das ist vielfach in der Gastronomie oder im Hotelgewerbe nicht der Fall. Außerdem gibt es leider hohe bürokratische Hürden.
Zum Beispiel ...
Wenn ich allein an die Dokumentationspflicht denke. Wie sinnvoll ist es, jeden Reinigungsvorgang dokumentieren zu müssen? Für mich ist das schlicht Wahnsinn. Ein weiteres Problem tritt bei Betriebsübergaben auf: Mit der Übergabe erlischt bei älteren Gebäuden häufig der Bestandsschutz, und so müssen plötzlich Auflagen, etwa beim Brandschutz, erfüllt werden, die schnell eine sechsstellige Summe ausmachen können. Ich habe das Gefühl, dass wir in Deutschland nicht daran denken, welche Konsequenzen manche Gesetze oder EU-Vorgaben für den Einzelnen oder ganze Branchen mit sich bringen.
Ein vom Dehoga immer wieder angeführtes Problem ist das Arbeitszeitgesetz. Wo liegt hier der Knackpunkt?
Die jetzige Auslegung ist weltfremd, denn die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden stellt uns vor große Probleme. Ich weiß von Kollegen, die große Feierlichkeiten wie Hochzeiten deshalb absagen mussten, andere haben den Mittagstisch gestrichen. Außerdem gehen uns Aushilfen verloren, die früher nach ihrem normalen Arbeitstag noch ein paar Stunden als Bedienung gearbeitet haben, um sich etwas hinzuzuverdienen. Dies ist in vielen Fällen nicht mehr möglich.
Wie ließe sich das Problem lösen?
Wir fordern flexiblere Handhabungen, etwa die Umstellung von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit. So können Arbeitszeiten besser an den Bedarf angepasst werden. Das ist übrigens auch der Wunsch unserer Mitarbeiter. Die möchten den Gast ja auch nicht nach Hause schicken, bloß weil ihre zehn Stunden jetzt um sind.
Findet das Gastgewerbe mit seinen Vorschlägen Gehör?
Wir haben das Gefühl, dass in der Politik ein Umdenken stattgefunden hat. Viele Politiker, die sich unsere Argumente anhörten, haben Verständnis für unsere Sicht der Dinge. Zuletzt hat uns der baden-württembergische Tourismusminister Guido Wolf zugesichert, dass er sich für Änderungen beim Arbeitszeitgesetz einsetzen wird. Das Problem ist nur: Durch die langwierige Koalitionssuche im Bund hängt alles in der Luft.
Wie schwer ist es generell, geeignetes Personal für Küche und Service zu finden?
Sehr schwer! Der Arbeitsmarkt ist fast leergefegt. Aber das geht aktuell den meisten Branchen so.
Ein weiterer Aufreger in der Gastronomie ist die ungleiche Besteuerung von Essen ...
In der Tat: Für Speisen im Restaurant wird der volle Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent fällig. Wenn sich dagegen jemand an der heißen Theke etwas zum Mitnehmen holt, gelten nur sieben Prozent. Das ist ein knallharter Wettbewerbsnachteil für unsere Branche. Die Wirte werden dadurch seit Jahren abgestraft, und es ist überfällig, dass sich hier etwas ändert. Wir fordern, dass Essen steuerlich gleich behandelt wird, unabhängig von der Art der Zubereitung und des Verzehrortes (siehe auch Info-Kasten "Hätten Sie’s gewusst?", Anm. d. Red.).
Wie stark sind wir im Landkreis eigentlich vom Gasthaussterben betroffen?
Massiv! Allein in den letzten acht Jahren mussten ungefähr 50 Betriebe im Neckar-Odenwald-Kreis für immer schließen, da sich kein Nachfolger gefunden hat. Und diese Entwicklung geht weiter. Wenn ich mich in meiner Umgebung umschaue, sehe ich mehr Häuser, die mittel- bis langfristig schließen müssen, als welche, bei denen es weitergehen wird.
Welche Konsequenzen wird dies für unsere Gesellschaft haben?
Wenn es das Gasthaus im Ort nicht mehr gibt, geht ein Stück Kultur verloren. Wo trifft sich der Verein, wo der Stammtisch, wo findet die Familienfeier statt? Wir haben schon mehrere Kommunen ohne Gastronomie. Als Konsequenz erleben die Betriebe in den Nachbarorten dann einen Nachfrageboom, den sie häufig kaum bewältigen können.
Gibt es Lösungen?
Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen in der Gastronomie von ihrer Arbeit gut leben können. Der Wert der Dienstleistung, die wir erbringen, wird häufig nicht hoch genug wertgeschätzt. Viele schauen nur auf den Preis der Rohware. Welcher Aufwand dahinter steht, wird leider häufig übersehen. Aber ich bin zuversichtlich, dass auch hier ein Umdenken stattfinden wird: Regionale Produkte in hoher Qualität zu genießen, das ist auch in Zukunft hoffentlich immer mehr Menschen etwas wert.
Was stimmt Sie noch zuversichtlich?
Der Tourismus in Deutschland boomt. Und der Odenwald kann davon enorm profitieren. Wir haben super Chancen durch die schöne Landschaft, die kulturellen Sehenswürdigkeiten oder die gute Luft. Wir selbst registrieren gar nicht, wie schön es bei uns ist. Viele Gäste sagen uns: "Sie wissen schon, dass Sie im Paradies leben?" Wenn wir diese Chancen künftig noch besser nutzen möchten, dann muss die gastronomische Infrastruktur erhalten werden.
Info: Wir möchten in einer Artikelserie verschiedene Aspekte rund um die Gastronomie beleuchten. Anregungen sind erwünscht: Tel.: (0 62 81) 52 40 50, E-Mail: red-buchen@rnz.de oder red-mosbach@rnz.de.