Von Stephanie Kern
Neckar-Odenwald-Kreis. Selbst Herzogin Catherine gab es am Montag zu: Das Homeschooling, also der Hausunterricht für ihre Kinder, zehrt an ihren Nerven. Da dürfte die Frau des britischen Thronfolgers nicht alleine sein. Auch hierzulande wird nach inzwischen sechs Wochen Schulschließungen die Situation für viele Familien immer anstrengender.
Tanja Bayer ist Vorsitzende des Mosbacher Gesamtelternbeirats. Auch sie hat zwei schulpflichtige Kinder zu Hause, sie und ihr Mann arbeiten. "Vom Gesamtpaket her machen die Schulen es gut, denn es kam ja auch für sie überraschend", sagt Bayer. Aber: Jede Schule handhabe die Vermittlung von Lerninhalten anders. Das merkt sie schon im eigenen Haushalt: Der eine Sohn besucht das Gymnasium, der andere die Realschule. Am Nicolaus-Kistner-Gymnasium werden Lerninhalte und Pakete meist über eine Plattform verteilt, an der Pestalozzi-Realschule läuft das per E-Mail. Und dann gebe es da auch noch große Unterschiede zwischen den einzelnen Fächern. "Man sieht schon, welche Lehrer sich richtig ins Zeug legen", meint Bayer.
Sie ist vor allem diejenige, die die Kinder beim Lernen unterstützt. "Der Große macht vieles sehr selbstständig. Aber bei dem Kleinen muss man doch sehr hinterher sein", beschreibt Bayer die Situation zu Hause. "Es ist zwischenzeitlich schon sehr nervenaufreibend, aber keiner hat sich diese Situation ausgesucht." Größtes Problem: Die Motivation. Denn nicht alle Lernpakete würden kontrolliert, und auch das Nachvollziehen der richtigen Lösungen muss zum Teil alleine geleistet werden. Bayer: "Ich persönlich kann das leisten, immer wieder zu kontrollieren, immer wieder anzutreiben. Aber das kann nicht jeder. Deshalb ist meine größte Befürchtung, dass hier nicht alle Kinder die gleichen Chancen haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jeder Schüler alle Lücken aufholen kann."
Tanja Bayer möchte sich über die Situation nicht beschweren, "es belastet mich nicht", sagt sie. "Aber ich bin mir auch bewusst, dass wir in einer sehr guten Ausgangslage sind. Wir haben keine finanziellen Sorgen, ich bin selbstständig tätig und kann mir meine Zeit frei einteilen – und das auch noch im eigenen Haus. Aber es gibt mit Sicherheit auch viele Eltern, denen es ganz anders geht." Sie persönlich habe dieses Schuljahr abgehakt. "Aber im nächsten Schuljahr kommt dann bestimmt der Hammer, wenn alle Schüler auf einen Stand gebracht werden müssen", meint Tanja Bayer. Dennoch: Eine Schulöffnung zu erzwingen, hält Bayer für den falschen Weg. Sie kommt aus dem medizinischen Bereich, hilft auch in der Sichtungsstelle des Roten Kreuzes. "Ich sehe auch die andere Seite und die Schulen sollten nur dann geöffnet werden, wenn es medizinisch vertretbar ist."
Positive Erfahrungen macht Tatjana Lubianski. Ihre Tochter besucht die erste Klasse einer Grundschule. "Bei uns läuft es ganz gut", meint Lubianski. Die Aufgaben für die Tochter kommen wöchentlich per E-Mail, dazu kommen Erklärvideos für Mathe und Deutsch per WhatsApp. "Aber natürlich braucht sie meine Unterstützung." Den ganzen Vormittag über wird im Hause Lubianski gelernt – da muss das Kindergartenkind auch mal zurück stecken. "Die Motivation ist abhängig von der Tagesform. Aber ich merke schon, dass es schwieriger wird, sie zu motivieren", erzählt Tatjana Lubianski. Eine schrittweise Schulöffnung, wie sie ja auch geplant ist, wäre ihrer Ansicht nach gut für die Schüler. "Ich kann nicht alles leisten, ich gebe mein Bestes aber ich bin nun mal keine Lehrerin", so Lubianski.
Eine Mutter aus der Region, die lieber anonym bleiben möchte, sieht die Situation nicht ganz so entspannt. Sie betreut zwei Kinder im Grundschulalter sowie ein Kindergartenkind. "Grundsätzlich habe ich mich sehr auf den Hausunterricht gefreut, weil ich das Konzept schon immer interessant fand. Ich bin dann allerdings schnell an Grenzen gestoßen", sagt die Mutter. Und diese Grenzen wurden von der eigenen Berufstätigkeit und der Arbeit des Mannes gesetzt. "Ich bin oft in der Situation, dass ich den Kindern helfe und nebenbei arbeiten muss - und das Gefühl habe, weder dem einen noch dem anderen wirklich gerecht werden zu können."
Auch hier läuft schulisch viel per E-Mail, ab und an auch über das Telefon oder per Videokonferenz – Situationen, bei denen die Eltern zumindest technische Unterstützung leisten müssen. "Wenn die Lehrer anrufen, können die Kinder das schon selbst entgegen nehmen. Aber ansonsten läuft jede E-Mail, jeder Ausdruck, jede Web-Konferenz über uns", berichtet die Mutter. Sie arbeitet zwar im Homeoffice, aber Abgabetermine und -fristen gibt es auch dort. "Die Herausforderung ist ja auch, dass die Schule nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung, sondern auch ein Ort der Betreuung ist." Dabei hat sie durchaus Verständnis für die Situation der Lehrer, die vielleicht selbst auch kleine Kinder betreuen müssen. "Ich habe auch kein Patentrezept. Aber was im Moment passiert, ist eine gedankliche Entfernung der Kinder von der Schule, die wir als Eltern nur bedingt auffangen können." Die Situation sei für sie als Eltern sehr kräftezehrend. "Im Großen und Ganzen geht es uns gut, deshalb traue ich mich fast nicht, mich erschöpft zu fühlen. Aber wir als Eltern müssen uns doch sehr ins Zeug legen, damit alles irgendwie funktioniert." Ihre Hoffnung, so sagt sie, liege in den vorgesehenen zeitweisen Schulöffnungen nach den Pfingstferien - und damit einer Rückkehr zu einem Stückchen Normalität.
Eine gewisse Entfernung und zumindest schwer schwankende Motivation hat auch die Mutter eines Fünftklässlers aus einem Mosbacher Gymnasium ausgemacht. Auch sie hat zwar Verständnis für die außergewöhnliche Situation, sagt aber zugleich: "Ich finde, dass mit dem Videounterricht zu spät angefangen wurde." Auch die unterschiedlichen Plattformen – Cloud, Mail, WhatsApp – zur Aufgabenvermittlung findet sie kontraproduktiv: "Wieso kann man das nicht einheitlich auf einem Weg machen?"
Marco Schirk ist Leiter der Pestalozzi-Realschule in Mosbach und auch geschäftsführender Schulleiter der Mosbacher Schulen. "Ich würde schon sagen, dass die Kollegen vieles tun." Aber er räumt auch ein: "Es gab auch Beschwerden von Eltern, die auf Aufgaben und Lernpakete für die Schüler warten mussten. Ich merke, dass die Regelung, nicht benoten zu dürfen, der Motivation nicht gerade zuträglich ist." Denn in manchen Klassen sei die Zahl der zurückgegebenen Lernpakete "teilweise erschreckend". In einer Klasse habe gerade mal ein Viertel der Schüler die Aufgaben zur Korrektur zurückgegeben.
Damit die Schüler möglichst viel lernen können, seien die Kollegen angehalten, möglichst konkrete Aufgaben zu stellen. "Aber natürlich müssen die Eltern das kontrollieren. Wir sind uns bewusst, dass das schwierig ist", meint Schirk. Er persönlich hätte sich aber auch gewünscht, dass man bei der Digitalisierung etwas weiter ist, auch um eine Kontrolle der Lehrer durch den Schulleiter zu ermöglichen. "Ich kann nicht abschätzen, wie die Aufgaben sind, ich muss meinen Kollegen da vertrauen", erklärt Schirk – der seinen Kollegen aber auch den Rücken stärkt. Gezieltes (telefonisches) Nachfragen bei jedem Schüler, das könne man schlichtweg nicht leisten. Über E-Mail werde aber nachgefragt und jedem Schüler stehe es offen, die betreuenden Lehrer anzurufen. Und auch er stehe im Kontakt mit den Eltern. Einige denken darüber nach, ihre Kinder die Klassenstufe wiederholen zu lassen. "Ich denke schon, dass einige darauf zurückgreifen könnten", so Schirk.
Eine Verkürzung der Sommerferien schätzt Schirk übrigens als schwer umsetzbar ein. "Ich sehe das auch ein bisschen kritisch. Aber wenn es gefordert wird, sind wir da." Auch er selbst hätte eine Forderung an die Regierung für die kommenden Wochen: "Es wäre uns wichtig, dass nicht alle Schulen sich ihre Konzepte für diese Zeit selbst überlegen müssen. Klare Vorgaben von der Landesregierung würden uns da sehr entlasten." Bis jetzt habe jede Schule ihr eigenes Bier gebraut, ein einheitlicher Rahmen, in dem sich alle bewegen könnten – auch angesichts der anstehenden schrittweisen Schulöffnungen – wäre mehr als wünschenswert. "Auch wir als Schulen fühlen uns teilweise wie im Regen stehen gelassen."
Was alle betroffenen Eltern bemerken: Den Kindern fehlen die sozialen Kontakte, ihre Freunde. Und auch Marco Schirk merkt, dass immer mehr Eltern die Notbetreuung in Anspruch nehmen. "Es sind Wünsche da, dass der Unterricht wieder vor Ort stattfindet. Und viele Eltern sagen auch, dass sie nicht mehr können, dass sie Job und Kinder nicht mehr vereinbaren können", erklärt Schirk. Im Gespräch mit der RNZ brachte es eine Mutter auf den (wunden) Punkt: "Das Pensum darf nicht mehr werden."