Tim-Thilo Fellmer lernte erst mit Mitte 20 Lesen und Schreiben. Im Mehrgenerationenhaus berichtete er über sein Leben und Wege zur Alphabetisierung. Foto: Peter Lahr
Mosbach. (lah) Bereits 2016 begann die "Nationale Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung", eine Gemeinschaftsaktion von Bund, Ländern und weiteren Partnern. Dem Bündnis gehören Kirchen und Gewerkschaften an, Kreise und Städte, die AOK und die Agentur für Arbeit. In Mosbach initiierte das Mehrgenerationenhaus (MGH) schon ein regionales Bündnis zur Alphabetisierung. "Wir wollen für das Thema sensibilisieren, ein Lerncafé eröffnen und ein Kursangebot mit der Volkshochschule auf den Weg bringen", fasste Michaela Neff, Geschäftsführerin des MGH, dieser Tage die ehrgeizigen Ziele zusammen.
Über "Die späte Liebe zum geschriebenen Wort", berichtete Tim-Thilo Fellmer vor einem doch recht überschaubaren Publikum. "Vom Analphabeten zum Kinderbuchautor" lautete der Untertitel des autobiographischen Vortrags im MGH. "Das Thema liegt mir sehr am Herzen, denn es hat mich das ganze Leben begleitet. Ich habe erst als Erwachsener Lesen und Schreiben gelernt", begann Fellmer. Mit einer Analyse der aktuellen Situation startend - "7,5 Mio. Menschen in Deutschland zwischen 18 und 64 Jahren sind funktionale Analphabeten" - kam er auf die bisherigen Kampagnen und Hilfsangebote zu sprechen. Erst im April sei ein neues, überarbeitetes Lernportal der VHS ins Netz gestellt worden (vhs-lernportal.de/schreiben). Gut angenommen werde auch das "Alpha-Telefon" in Münster, Tel.: (08 00) 53 33 44 55.
"Selbsthilfestrukturen sind für mich wichtig", unterstrich Fellmer: "Denn wer das Thema durchlebte, hat ein Fachwissen, das kein anderer hat." Derzeit sei auch ein Dachverband im Aufbau, der die bislang mangelnde Vernetzung der Akteure bewerkstelligen soll. Seit 2010 engagiert sich Fellmer zudem bei der "Lega Kids Stiftung" (www.legakids.net). Denn ausgehend von seinen Erfahrungen, hat er schnell gemerkt: "Lernen darf Spaß machen!" Auch er habe sich zunächst auf die Schule gefreut, erinnerte sich der Redner. Doch hätten eine strenge Lehrerin, eine zu große Klasse und die für ihn unpassenden Methoden dafür gesorgt, dass er bald eine große Schul- und Lernangst entwickelte. "Ich habe es den Lehrern auch nicht leicht gemacht, mich zu unterstützen", gab er selbstkritisch zu. Denn als Reaktion auf das Gefühl, untalentiert und dumm zu sein, entwickelte er sich zum Klassenclown. Später kompensierte er seine Gefühle und wurde Bodybuilder. Mit vielen Hilfsmitteln und "Tricks" gelang Fellmer eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker.
"Zum Glück hatte ich die richtigen Menschen, die an mich glaubten", kam er auf seine Eltern und eine Freundin zu sprechen. Letzterer gelang es, ihn mit Mitte 20 zu einem Kurs an der VHS zu ermuntern.
"Dann habe ich die Buchwelt für mich entdeckt und wurde eine Leseratte." Nach zehn Jahren traute sich Fellmer, die ersten Texte zu verfassen - und er träumte davon, Schriftsteller zu werden. Aus dieser Imagination, seinem "Buchtraum", las er nun ebenso vor, wie aus seinem Kinderbuch-Erstling "Fuffi der Wusel", einer spannenden Fantasy-Geschichte. Über seine Arbeit als Moderator lernte Fellmer den Bestsellerautor Sebastian Fitzek kennen. Den Thrillerexperten hat Fellmer regelrecht "infiziert" für das Thema: "Er will etwas daraus machen." So viel dürfe er schon jetzt sagen: "Im Oktober wird der neue Roman veröffentlicht. Die Hauptperson ist ein Analphabet." Mit Einstein und Fitzek ist Fellmer einer Meinung bei der Einschätzung "Jeder ist ein Genie! Aber wenn du einen Fisch danach beurteilst, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben lang glauben, dass er dumm ist."