In der alten Turnhalle beim Landratsamt waren in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs italienische Militärinternierte untergebracht. Foto: Noemi Girgla
Mosbach. (gin) Die KZ-Gedenkstätte in Neckarelz ist in Mosbach und Umgebung ebenso bekannt wie der "Goldfischpfad" in Obrigheim. Zahlreiche Schicksale sind mit diesen Orten verknüpft. Was jedoch die wenigsten wissen, die damals noch nicht auf der Welt waren, ist, dass auch die alte Turnhalle beim Landratsamt in Mosbach in Verbindung zu dem Rüstungslagerprojekt Goldfisch steht.
"Dort wo heute das City-Parkhaus ist, stand während des Zweiten Weltkriegs die alte Wilhelm-Stern-Schule" berichtet die Vorsitzende des Vereins "KZ-Gedenkstätte Neckarelz", Dorothee Roos. "In dieser und in der Turnhalle, die heute noch steht, waren ab 1944 italienische Militärinternierte, also Zwangsarbeiter, untergebracht." Als Italien 1943 aus dem Krieg ausstieg, erzählt Roos, seien zahlreiche Soldaten des ehemaligen Verbündeten von der deutschen Wehrmacht gefangen genommen worden.
Um die 600.000 Männer habe man nach Deutschland gebracht und in der Rüstungsindustrie eingesetzt, denn dadurch, dass die meisten deutschen Männer im Krieg waren, herrschte Arbeitskräftemangel. "Da viele die zuvor Verbündeten nun als Verräter ansahen, ließ man ihnen eine sehr schlechte Behandlung zukommen", so Roos weiter. Und als das ursprüngliche Daimler-Benz-Motorenwerk, das für die Wiederaufrüstung Deutschlands kriegswichtig war, von Genshagen in Brandenburg an den Neckar umzog, seien die Zwangsarbeiter mit verlagert worden.
"Die Quellenlage hierzu ist relativ dünn", meint die Vorsitzende des Gedenkstättenvereins. Lediglich drei Geschichten seien gut bekannt. Nicht zuletzt, da 2015 die Enkelin eines Internierten mit dem Tagebuch ihres Großvaters im Arm in die Gedenkstätte nach Neckarelz kam. "Der Zeitzeuge, Attilio Iori, schreibt in seinem Tagebuch, dass er gemeinsam mit vielen Kameraden in einer Schule beim Mosbacher Bahnhof untergebracht gewesen sei", fasst Roos zusammen. Damals habe es drei Lager für die Zwangsarbeiter gegeben: das in der Schule, das Lager "Hohl" in Neckarelz und in Obrigheim das Lager "Wohlgelegen".
Fast 680 italienisch klingende Namen konnten Roos und ihre Mitstreiter in den Goldfisch-Listen ausfindig machen. "Die Arbeiter waren nämlich, was relativ unbekannt ist, auch sozialversichert. Erst im März 1945 wurden sie abgemeldet", erläutert sie. Daraus ließe sich schließen, dass etwa zwölf bis dreizehn Prozent der "Belegschaft" des Motorenwerkes italienischer Abstammung waren.
In Ioris Tagebuch ist zu lesen, dass er im Oktober 1944 in den "Zivilstatus" versetzt wurde. Er durfte sich damit in einem Umkreis von zehn Kilometern um seine Unterkunft in der alten Schule bewegen. Zu Anfang soll die Bevölkerung den Männern nicht allzu freundlich gegenübergestanden haben. Diese Haltung änderte sich aber wohl im Lauf der Zeit, und Iori und seine Kameraden konnten sich bei den Bauern in der Umgebung etwas Essen hinzuverdienen. Einer blieb nach dem Krieg sogar hier und heiratete ein Mädchen aus der Umgebung.
Als sich die Bombardements verschärften und auch die Zuggleise in Mosbach angegriffen wurden, setzte man die Zwangsarbeiter auch für Räumarbeiten rund um den Mosbacher Bahnhof ein. "Man muss sich dazu auch vor Augen halten", wirft Roos ein, "dass es auf dieser Seite der Elz keinen Luftschutzbunker gab. Die Leute – und eben auch die Internierten – flohen in den Wald und versteckten sich da."
Im März 1945 kam die Arbeit im unterirdischen Rüstungswerk langsam zum Erliegen, Ende März erhielten die italienischen Militärinternierten den Befehl zum Aufbruch, weg von der Front. Einige Trupps seien schon nach wenigen Tagen auf die Amerikaner gestoßen, lässt Dorothee Roos wissen, womit ihre Kriegsgefangenschaft endete.
Ioris Trupp aber gelangte laut seiner Aufzeichnungen bis ins Allgäu. Erst als der Krieg offiziell zu Ende war, am 8. Mai 1945, konnte er sich endlich auf den Weg zurück nach Italien machen. Im Gepäck sein detailliertes Tagebuch, das 70 Jahre später noch einmal nach Neckarelz gelangte – und auch daran erinnert, dass in der alten Wilhelm-Stern-Schule und der Turnhalle einst italienische Zwangsarbeiter untergebracht worden waren.