Von Stephanie Kern
Katzental. Wenn es um den Naturschutz geht, stehen sich manchmal (oft) mehrere Fronten gegenüber. Den einen reicht der Schutz nicht weit genug, den anderen gehen geplante Maßnahmen zu weit. Im aktuellen Fall gibt es noch eine dritte Komponente: Denn eigentlich gibt es schon eine Lösung, mit der alle zufrieden waren. Die Rede ist von dem von Bundesumweltministerin Svenja Schulze geplanten Insektenschutzgesetz. Es soll am Donnerstag im Kabinett verabschiedet werden. Doch Landespolitiker, CDU-Abgeordnete und auch Landwirte schlagen Alarm. "Wenn das Gesetz so kommt, bedeutet das für manche Kollegen eine Art Berufsverbot", ist Arno Gätschenberger überzeugt.
Mühsam erarbeiteter Kompromiss
Er ist einer der Geschäftsführer des gleichnamigen Obstbaubetriebs in Katzental. Seit 1958 gibt es den Betrieb, prägen die Obstbäume der Gätschenbergers die Landschaft rund um Billigheim. "Es hat sich wahnsinnig viel geändert in dieser Zeit." Am deutlichsten ist das an der Größe des Betriebs zu sehen: Von ehemals fünf ist er auf 150 Hektar angewachsen. Und nun steht eine neue Änderung bevor. Das neue Insektenschutzgesetz sieht vor, dass in FFH-Gebieten keinerlei Pestizide (zum Beispiel gegen Insekten oder Pilze) mehr ausgebracht werden dürfen.
MdB Alois Gerig hat sich gemeinsam mit anderen Abgeordneten nun schriftlich an die Kanzlerin gewendet. "Die jetzt vorliegenden Entwürfe zum Insektenschutzgesetz sowie zur Änderung der Pflanzenschutzanwendungsverordnung würden auf Kosten der heimischen Land- und Forstwirtschaft gehen", heißt es in einer Pressemitteilung von Alois Gerig. Zumal durch das neue Gesetz der mühsam erarbeitete baden-württembergische Kompromiss hinfällig würde. "Es ärgert mich, dass uns pauschal etwas übergestülpt werden soll, obwohl wir schon eine gute Lösung haben", sagt Arno Gätschenberger.
Arno Gätschenberger (rechts) zeigt Kai Bauer einen Nistkasten für Wildbienen. Foto: Stephanie KernOhne Schutz kein Obstbau
In seinem Betrieb werde nach der Leitlinie "integrierte Produktion" gearbeitet, auch das einer der Eckpunkte des baden-württembergischen Kompromisses. "Wir wollen so wenig wie möglich Pflanzenschutz ausbringen, aber so viel wie nötig." Denn ohne Schutz sei Obstbau heute gar nicht mehr möglich. Kirschessigfliege, Schorf, Läuse – sie alle verderben das Obst. Wenn man Schädlinge schon in der ersten Generation eines Jahres erwische, reiche für den Rest des Jahres aber oft der Schutz, den die Natur selbst bietet. Ohrenzwicker, Marienkäfer und andere Nützlinge sind in den Wiesen der Gätschenbergers nämlich ebenfalls beheimatet.
Viele der Maßnahmen, die im Eckpunktepapier gefordert werden, setzen die Gätschenbergers schon lange um. Zwischen den Baumreihen sind bereits seit Jahren Nisthilfen für Wildbienen aufgebaut, auch eigene Bienen helfen bei der Bestäubung der Obstbäume. "Der Obstbauer ist der letzte Mensch, der will, dass Bienen sterben. Das ist für uns das wichtigste Lebewesen", erklärt Gätschenberger.
Kai Bauer ist Berater beim Obstbau Beratungsdienst Hohenlohe-Neckar. Auch er sieht das geplante Gesetz kritisch. "Unsere Anlagen sind oft sehr artenreich." Genau dieser Artenreichtum könnte durch das geplante Gesetz aber gefährdet sein. Denn wenn Flächen nicht mehr bewirtschaftet werden können, werden sie eben anders genutzt. Landwirte verdienen mit dem Boden Geld. Ein Ackerbauer könne Konsequenzen ziehen und von betroffenen Flächen abwandern. Ein Obstbauer kann das nicht. "Wir brauchen Planungssicherheit. Einen Obstbaum kann ich ja nicht mitnehmen", sagt Gätschenberger.
Wenn die Bäume nicht mehr gegen Pilze und Schädlinge geschützt werden können, würden sie vielerorts gefällt, davon ist Kai Bauer überzeugt. "Die Maßnahmen, die ja die Insekten schützen sollen, könnten so genau das Gegenteil bewirken." Die Produktion heimischen Obsts werde dann verlagert – ins Ausland. "Sehen Sie sich doch mal um, wo die Äpfel im Supermarkt herkommen", sagt Bauer. "Wir machen unsere heimischen, über viele Jahrzehnte gewachsenen Strukturen kaputt und akzeptieren Produktionswege, über die wir keinerlei Kontrolle haben, auf die wir keinen Einfluss haben", so Bauers Fazit.
Reine Glückssache
Auch der baden-württembergische Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Peter Hauk, äußerte sich zuletzt kritisch zum Gesetzesentwurf: "Diese Regelungen würden die Erzeugung marktfähiger Qualitätsprodukte deutlich erschweren und auf Kosten der heimischen Landwirtschaft gehen. Das in Baden-Württemberg im letzten Jahr verabschiedete Biodiversitätsstärkungsgesetz wird durch das geplante Gesetz und die geplante Verordnung des Bundes konterkariert. Deshalb darf das geplante Insektenschutzpaket des Bundes so nicht verabschiedet werden", sagte er.
Seit 2017 ist die Landwirtschaft zudem auch durch den Klimawandel immer stärker gefordert. "Obstbau wird auch Poesie der Landwirtschaft genannt", sagt Kai Bauer. Landwirte, die Obst anbauen, kennen ihre Bäume, begegnen ihnen mehrmals im Jahr, müssen sie oft von Hand bearbeiten, mit ihnen arbeiten, damit sie auch Früchte tragen. "Ich möchte nichts anderes machen", sagt Gätschenberger. Er übt seinen Beruf mit Leidenschaft aus. "Was keinen Spaß macht, ist, dass den Landwirten pauschal die Verantwortung für alles gegeben wird." Am Insektensterben sei nicht die Landwirtschaft alleine schuld. "Der Landwirt lebt vom Boden, vom Acker, von den Insekten, von dem, was die Natur ihm gibt. Warum sollte ich das kaputt machen wollen?", fragt der Unternehmer.
In seinem Hofladen wird klar, wie weit der Einfluss von Arno Gätschenberger reicht: bis zum Kunden. "Krumme Dinger", die auch er und sein Bruder schon angeboten haben, bleiben oft liegen. Im Jahr 2017, als Spätfröste bei Deutschlands Obstbauern für massive Ernteverluste gesorgt haben, hat der Verbraucher im Supermarkt das nicht gespürt – es wurden einfach mehr Äpfel aus dem Ausland importiert. Er merke aber, dass die Regionalität seiner Lebensmittel wieder mehr Wertschätzung erfahre.
Für ihn selbst hat der Gesetzentwurf keine Auswirkungen. "Das war aber reine Glückssache", erläutert der Landwirt. Denn ein Blick auf die Karte mit den FFH-Gebieten zeigt: An einem seiner Obstgrundstücke verläuft die Grenze zu einem FFH-Gebiet. "Es war pures Glück, dass dieses Grundstück damals nicht dazu genommen wurde. Aber dieses Glück haben nicht alle." Davon kann Kai Bauer berichten, der auch im Bereich Hohenlohe viele Landwirte betreut. "Es gibt Anbieter, die dann aufhören müssten", sagt er. Am Bodensee seien viele Obstanbaugebiete in FFH-Gebieten. Wie betroffen das den Kollegen Gätschenberger macht, kann man ihm im Gesicht ablesen. Ein Miteinander wünscht er sich. So eines, wie das, das in Baden-Württemberg schon einmal zum Erfolg geführt hat. Oder zumindest zu einem Kompromiss. Auch das ist eben eine Art Poesie: Entlang der Fronten für Gespräche zu sorgen. Ein Miteinander. So, wie Arno Gätschenberger sich das wieder wünschen würde ...