Auch auf dem Land soll alle 30 Minuten ein Bus kommen. Foto: Sebastian Gollnow
Von Carsten Blaue
Stuttgart. Die Landesregierung will den Öffentlichen Personennahverkehr in Baden-Württemberg bis zum Jahr 2030 verdoppeln – gemessen an den zurückgelegten Kilometern von Bussen und Bahnen und ausgehend vom Angebot des Jahres 2010. Die Taktung soll dichter, die Infrastruktur ausgebaut und die Qualität des Nahverkehrs besser und zuverlässiger werden. Am Ende wird alles noch digital vernetzt. Wie das funktionieren soll, hat eine "Zukunftskommission" erarbeitet. Diese stellte ihre Ergebnisse mit Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) vor und wollte dabei die strittigste Frage auch gar nicht groß verbergen: Wer soll das alles bezahlen?
"Das wird Diskussionen geben", gab Hermann zu. Geht es nach ihm, dann müssen auch die Kommunen tief in die Tasche greifen. Zur Not will er den Nahverkehr sogar zur Pflichtaufgabe für Kreise, Städte und Gemeinden machen. "Wenn das geregelt ist, dann wäre das ein großer Schub." So einfach wird es aber nicht gehen. "Wir sehen das Land in der Pflicht", konterte Alexis von Komorowski, Hauptgeschäftsführer des Landkreistages.
Der ÖPNV als Pflichtaufgabe sei "ein Problem", sagte er. Außerdem seien die Kommunen längst in Vorleistung getreten. Seit dem Jahr 2000 hätten diese ihre Investitionen in den Nahverkehr verdoppelt. Jedenfalls müsse man die Verantwortlichen für die Finanzierung eindeutig benennen, "und da haben wir noch keine Klarheit."
Auch würden die steigenden Kosten, etwa für umweltfreundliche Fahrzeugflotten, an den Verkehrsunternehmen hängen bleiben, warnte Alexander Pischon, Landesvorsitzender des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen.
Eine wesentliche Rolle in Hermanns Finanzierungsstrategie spielt auch der Autofahrer, dem ungefragt "Mobilitätspässe" aufgedrückt werden sollen. Mit diesen kann er den Nahverkehr nutzen. Tut er es nicht, dann hat er eben einfach nur bezahlt. Und dann der Kunde: Wird das Angebot besser, ziehen auch die Preise an, um die Kosten zu decken. So darf man es verstehen, wenn der Minister sagt: "Wir müssen den ÖPNV so gut machen, dass er es wert ist". Noch deutlicher formulierte es Gerd Hickmann, Abteilungsleiter für den Nahverkehr im Ministerium: "Erst müssen wir den Ausbau finanzieren, bevor wir über Vergünstigungen und Rabatte nachdenken." Unabhängig davon, so Hermann, muss das Tarifsystem der Zukunft leistungsbezogen und einfach sein.
Ebenso simpel klingt die Gleichung, die hinter den Verdoppelungsplänen des Ministers steht: Fahren mehr Busse und Bahnen, dann fahren auch mehr Menschen mit. Deshalb will er in Ballungsräumen einen dichteren, zuverlässigen 15-Minuten-Takt und einen 30-Minuten-Takt "in der Fläche", also in ländlichen Bereichen – auch abends und an Wochenenden. Gerade auf dem Land dürfte das aber nicht einfach werden. Viele Dörfer kämpfen seit Jahren und nicht selten vergebens um bessere Anschlüsse. Matthias Lieb, Landesvorsitzender des Verkehrsclubs Deutschland und Landesfahrgastbeirat, formulierte es so: "In der Fläche gibt es noch viel zu tun in Sachen Verlässlichkeit." Auch hier sah Hermann das Problem wieder bei den Kreisen: "Manche haben viel gemacht, andere haben es laufen lassen." Eine Lösung der Zukunft könnten für ihn "virtuelle Haltepunkte" oder Fahrten "on demand", also nach Bedarf und Anforderung, sein.
Auch abseits solcher Ideen lassen die Ergebnisse der Zukunftskommission Raum für Fantasie. So will Hermann im Land einen regelrechten "ÖPNV-Kult" auslösen. Der Nahverkehr müsse Teil einer modernen Kultur werden, um die Mobilität der Zukunft umweltfreundlich zu gestalten, um den CO2-Ausstoß zu senken und Klimaziele zu erreichen. Dafür bedürfe es zudem sauberer Haltestellen und Bahnhöfe, an denen man sich gerne aufhält. "Das muss dringend angegangen werden", so Hermann. Ebenso wie ein ganzheitliches Landesmobilitätskonzept, das von Komorowski anmahnte: "Das brauchen wir! Das ÖPNV-Konzept kann nicht alles sein."
Das alles sei aber sowieso Makulatur, wenn es vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie nicht gelinge, das Vertrauen der Menschen in den Nahverkehr wieder zu stabilisieren.