Im Rahmen der Kreistagssitzung in Ketsch wurden unter anderem die Kandidaten für die Vorschlagsliste für die Wahl ehrenamtlicher Verwaltungsrichter gewählt. Anschließend hing der Haussegen schief. Foto: Burkhardt
Von Stefan Hagen
Rhein-Neckar. Im Vergleich zur "Hau-Drauf-Mentalität" anderer Parlamente sind die Sitzungen des Kreistags des Rhein-Neckar-Kreises die reinsten Kuschelveranstaltungen. Unstimmigkeiten werden zwischen den Fraktionen meist schon im Vorfeld ausgeräumt, der Landrat muss selten bis gar nicht zur Ordnung rufen. Verbale Scharmützel? Fehlanzeige! Man kennt sich, man schätzt sich. Spötter könnten von gepflegter Langeweile sprechen.
Doch seit der jüngsten Sitzung in Ketsch ist plötzlich "Stimmung in der Bude" oder vielmehr Feuer unterm Dach. Zwischen den Fraktionen fliegen Giftpfeile hin und her, von Kuschelkurs ist nun rein gar nichts mehr zu spüren. Ausgelöst hat die Verwerfungen der wenig Spannung versprechende Tagesordnungspunkt "Erstellung der Vorschlagsliste für die Wahl ehrenamtlicher Verwaltungsrichter" beim Verwaltungsgericht Karlsruhe für die Jahre 2020 bis 2025. Normalerweise eine Routineangelegenheit, ein Gähner sozusagen. Nach dem Motto "Jeder wählt jeden" geht es gleich weiter zum nächsten Tagesordnungspunkt. Doch dieses Mal wurde geheime Wahl beantragt, und damit begann der Ärger.
> Das Prozedere: Der Rhein-Neckar-Kreis darf in Anlehnung an die Einwohnerzahl 91 Wahlvorschläge einreichen, die auf der Basis der Sitzverteilung im Kreistag auf die Parteien umgelegt werden. Demnach hat die CDU 23 Wahlvorschläge, es folgen Bündnis 90 / Die Grünen (18), Freie Wähler (17), SPD (16), AfD (7), FDP (6) und die Die Linke mit vier Wahlvorschlägen. Dabei hatte jeder der 95 anwesenden Kreisräte eine Stimme. Um auf die Liste zu gelangen, benötigten die Kandidaten zwei Drittel davon – also mindestens 64 Stimmen.
> Das Ergebnis: Kurz zusammengefasst ist Folgendes passiert: Die Grünen und Die Linke haben keinen Kandidaten auf die Liste gebracht. Was natürlich besonders bei den Grünen als zweitstärkste Fraktion als faustdicke Überraschung zu werten ist – es war im Vorfeld nicht erwartet worden, dass ihre Kandidaten aus den Reihen der anderen Parteien so gut wie keine Unterstützung bekommen. 57 bis 61 Stimmen bekamen die grünen Verwaltungsrichter in spe – zu wenige, um auf der Liste zu landen. Auf diesem ominösen Papier konnte zwar auch die AfD ihre Kandidaten nicht platzieren, aber die bekamen 30 und 35 Stimmen – also zahlreiche Wertungen aus den Reihen anderer Parteien.
> Der Ärger danach: Die Stimmen waren gerade ausgezählt, da gab es in Ketsch auch schon lange bis grimmige Gesichter. "Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie man Leuten mit einem solchen Hintergrund die Eignung als Verwaltungsrichter zusprechen kann", zeigte sich Ralf Frühwirt ob der Stimmen für die AfD fassungslos. "Wir grenzen uns von der AfD ab, aber wir grenzen die AfD nicht aus", erklärte Bruno Sauerzapf (CDU), warum er jedem Kandidaten, also auch denen der AfD, eine Stimme gegeben hatte. Der Gedanke, dass man bei den Vorschlägen für die ehrenamtlichen Verwaltungsrichter seine Stimmen nach Parteienproporz verteilen müsse, sei "naiv und verantwortungslos", hatte Edgar Wunder, Fraktionschef der Linken, gekontert. "Da glauben wohl einige, dass jeder, der im Kreistag sitzt, auch für das Richteramt geeignet wäre."
> Kritik an CDU, Freien Wählern und SPD: Kaum hatte sich der Pulverdampf halbwegs verzogen, goss der Ur-Grüne Uli Sckerl, Parlamentarischer Geschäftsführer der grünen Landtagsfraktion, wieder Öl ins Feuer. "Die Ablehnung des Wahlvorschlags einer demokratischen Fraktion im Kreistag ist kein gutes Zeichen", merkte er aus Stuttgart zum Ergebnis der Grünen an. Und dann gab es einen kräftigen Hieb in Richtung CDU, SPD und Freie Wähler. Deren Fraktionsvorsitzende würden so tun, als ob sie mit diesem desaströsen Wahlergebnis nichts zu hätten, polterte Sckerl. "Sie tragen aber die Verantwortung dafür, ob ihre Fraktionen demokratische Spielregeln einhalten oder nicht."
> Auf den Schlips getreten: Diese Vorwürfe wollen CDU und SPD natürlich nicht auf sich sitzen lassen – man fühlt sich auf den Schlips getreten. "Abgrenzen und nicht ausgrenzen", wiederholt CDU-Fraktionschef Sauerzapf gebetsmühlenartig, wenn er auf das Verhältnis seiner Partei zur AfD angesprochen wird. Es werde keine Zusammenarbeit geben. "Aber man darf die AfD nicht in eine Märtyrerrolle drängen, so dass sie im Endeffekt gestärkt wird. Vielleicht sollten sich diesem Grundsatz auch diejenigen Fraktionen anschließen, die derzeit wohl eine Ausgrenzungspolitik betreiben." Im Übrigen habe es eine Empfehlung, Kandidaten nicht zu wählen, nicht gegeben. Die CDU-Kreisräte hätten sich gesetzestreu verhalten. Über seine Stimmgabe habe jeder selbst zu entscheiden. "Die Grünen wurden nicht ausgegrenzt", wehrt sich SPD-Fraktionsvorsitzender Ralf Göck gegen die Vorwürfe von Sckerl. Seine Fraktion habe die grünen Kandidaten mitgewählt, es seien aber auch zahlreiche Stimmen von CDU und Freien Wählern gekommen, nimmt er die Kollegen von der Konkurrenz in Schutz. Dass es nicht gereicht habe, "liegt ganz einfach daran, dass sich die aktuelle grüne Fraktion immer mal wieder gerne profiliert anstatt gemeinsam an der Sache zu arbeiten". Als Beispiel nennt Göck einen Antrag der Grünen zum Klimaschutz unmittelbar vor dem Urnengang. Während die anderen Parteien ihre Klimaschutz-Anträge auf Anregung von Landrat Stefan Dallinger verschoben hätten, seien die Grünen ausgeschert, erzählt Göck. Man darf also getrost eine Retourkutsche vermuten ...