Ein richtiges Winterwunderland: An den beregneten Bäumen in Oftersheim hängen Eiszapfen. Fotos: Kienle
Von Rolf Kienle
Heidelberg/Oftersheim. Wenn die Temperaturen im Januar/Februar unter Null gehen, können die Erwerbs-Obstbauern in der Region noch ruhig schlafen. Im April sieht das anders aus. Dann wird es für ihre Apfelbäume, Birnen und Pfirsiche gefährlich. Die Blüten sind jetzt fast vollständig ausgebildet und werden in kalten Nächten ein schnelles Opfer des Frostes. Folge: Wo keine Blüte ist, ist auch keine Frucht. Der Ertrag bleibt aus.
Seit Jahren gehen Obstbauern wie Ralf Gieser vom Kurpfalzhof in Heidelberg-Kirchheim mit vollen Rohren regelmäßig gegen Väterchen Frost vor: Sie beregnen ihre Bäume bei Minusgraden. Das erzeugt zwar einerseits eine bizarre Eislandschaft, aber der Effekt ist wichtiger. "Wenn das Wasser auf den Blüten gefriert, wird eine Kristallisationswärme erzeugt", erklärt Gieser. Die Blüten und Knospen werden geschützt; sie erfrieren nicht. Es ist gerade die gleiche Prozedur wie im letzten Jahr. Kaum haben sich die Blüten vor allem der Apfelbäume in ihrer vollen Schönheit entwickelt, kommen noch mal frostige Nächte. Obstbauer Ralf Gieser hat 10.000 Apfelbäume im Heidelberger Süden und auf Oftersheimer Gemarkung stehen. Die lässt er seit Montag gewissermaßen im Regen stehen, damit sie einfrieren und es warm haben.
Ralf Gieser begutachtet die eisige Schutzschicht an einigen seiner Obstbäume auf Heidelberger Gemarkung. Fotos: KienleDas wirkt auf den ersten Blick anachronistisch, aber das Prinzip funktioniert. Die Kristallisationswärme entsteht, wenn das Wasser seinen Aggregatszustand von flüssig zu fest verändert. Das Eis legt sich wie ein Panzer um die Blüten und hält die Temperatur bei null Grad, wobei das Eis allein noch kein echter Schutz ist. Das macht Ralf Gieser diese Woche jede Nacht so, solange Minustemperaturen angekündigt sind. Zwischen null und sieben Grad minus jedenfalls. In den Vorjahren war das Beregnen ein probates Mittel gegen die Kälte zur falschen Zeit. "Es hat gut geklappt. Die Apfelernte war gut."
Nur die Pfirsiche werden womöglich wieder einen Totalausfall erleben. Schon im letzten Jahr wurden sie ein Opfer der April-Kälte. Pfirsich-Bäume lassen sich nicht gut beregnen, weil ihre Äste zu schwach sind. Das Eis bringt ordentlich Gewicht auf die Bäume, die Äste der Pfirsich-Bäume neigen da leicht zum Abbrechen.
Für Ralf Gieser und seine Kollegen zwischen Weinheim im Norden und Neulußheim im Süden – insgesamt zehn Obstbauern – gehört der Blick auf die Temperaturen und auf die Wolken zum gewohnten Ablauf. Vor allem jetzt zur Obstbaumblüte aber sind sie besonders aufmerksam. Sie bekommen ihre Wetterdaten vom Deutschen Wetterdienst und vom Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg. Aber "man entwickelt selbst ein Gespür dafür, wann es wieder mal gefährlich kalt wird", sagt Gieser, der seit 24 Jahren im Geschäft ist. Bahnen sich kritische Wetterlagen an, tauschen sie sich telefonisch aus. Nicht überall in der Region wird es schließlich gleich kalt. Drei Minusgrade halten Apfelbäume gerade noch aus, aber bei vier wird es kritisch.
Dann wirft Gieser seine Generatoren an und beregnet seine Bäume. "Das kostet 100 Liter Diesel pro Nacht." Und mit dem verbrauchten Wasser kommt er auf 1000 Euro pro Saison zusätzlich. Was den Obstbauern gerade außerdem Sorge bereitet, das ist der Wind. Sie sprühen das Wasser aus ihren Beregnungsanlagen gezielt auf die Bäume, aber der Wind verweht das Wasser. "Es kommt nicht dort an, wo wir es brauchen", sagt Gieser. Kalt wurde es in der Vergangenheit im April immer mal, wissen die Obstbauern, aber die Winter wurden in den letzten Jahrzehnten gleichzeitig immer milder. "Die Vegetation ist weiter."
Hobbygärtner könnten den alten Trick der Erwerbs-Obstbauern zwar gleichermaßen anwenden, aber oft ist es einfacher und preiswerter, ein Vlies über die Bäume zu hängen, zumal die nächtliche Dauer-Beregnung ein Handicap in der Praxis sein dürfte. Unsere Obstgehölze leiden grundsätzlich stark unter den derzeitigen Temperaturschwankungen: Von zweistelligen Minusgraden bis zu 26 Grad vor Ostern, das lässt die Rinden der Stämme aufplatzen.