Ein Mund-Nasen-Schutz mit Sichtfenster oder ein Visier würden das Kommunikationsproblem im Alltag lösen. Foto: dpa
Von Katharina Schröder
Heidelberg. Maskenpflicht. Was für die einen eine Frage der Befindlichkeit und des Schutzes ist, das ist für andere ein existenzielles Problem: Gehörlose und Schwerhörige sind im Alltag meist auf das Mundbild ihres Gegenübers angewiesen. Das aber verdeckt die Maske gänzlich, ein echtes Kommunikationsproblem entsteht.
"Beim Bäcker oder Metzger wissen die Verkäufer, dass ich schlecht höre, sie nehmen dann kurz ihre Maske ab", erzählt Thomas Kolbenschlag. Er ist Vorsitzender des Gehörlosenvereins Alt-Heidelberg und Schatzmeister beim Landesverband der Gehörlosen Baden-Württemberg. Fremde Verkäufer im Supermarkt dagegen wollen ihre Masken oft nicht absetzen. "Ich verstehe das, sie wollen sich nicht anstecken und machen ihre Pflicht", meint Kolbenschlag. Aber: "Ich muss von den Lippen ablesen."
Immer mehr Behörden und auch Banken verhängen in ihren Räumen ebenfalls die Pflicht, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. "Bei Behördengängen muss man auf Verständnis und Hilfsbereitschaft der anderen Menschen hoffen, beziehungsweise ist darauf angewiesen", erzählt Nicole Braun vom Heidelberger Verein "Schlappohren" für Schwerhörige und Ertaubte. Wie beim Einkaufen gelte: "Entweder Abstand und Maske runter oder aufschreiben". Anders gehe es nicht. Ein Satz, den Kolbenschlag identisch verwendet. "Denn die meisten können ja keine Gebärdensprache", fügt Braun hinzu. Doch auch die Kommunikation mit Zettel und Stift sei für Gehörlose schwierig.
Dem stimmt Hendrik Fehr zu. Sein erwachsener Sohn ertaubte im Kindesalter. "Gehörlose haben ein sehr optisches Verstehen", sagt er. "Sie nehmen viel mehr wahr als wir Hörenden." Er schwärmt: "Mein Sohn kann sogar über Skype Lippen lesen, das ist einfach fantastisch." Wörter zu verstehen, sei dagegen ein immer währender Lernprozess.
"Gerade emotionale Wörter sind schwer für sie zu verstehen", meint der Vater. Er wünscht sich mehr Texte in leichter Sprache für seinen Sohn. Und er weist auf ein anderes Problem hin: "Gehörlose werden oft vergessen, denn ihnen sieht man ihre Behinderung nicht an."
Die Maskenpflicht gilt auch in Bus und Bahn. "Im ÖPNV bekommt man halt noch weniger mit, wenn man angesprochen wird", erzählt Braun. Problematischer als im Supermarkt sei die Situation beim Arzt. "Mein Sohn brauchte eine Bescheinigung für die Arbeit, und der Arzt hatte eine Maske an", erzählt Fehr. Sein Sohn konnte den Mediziner nicht verstehen. "Wir sind dann zum Empfang gegangen, da war eine Plexiglasscheibe." Mit zwei Metern Abstand und der Scheibe zwischen ihnen nahm der Arzt seinen Mund-Nasen-Schutz ab. Nur so war die Kommunikation möglich.
Braun und Kolbenschlag erzählen, dass viele Menschen nicht wissen, wie man mit Gehörlosen und Schwerhörigen umgeht. Hier wird Kolbenschlag deutlich: "Ganz schlimm finde ich Ärzte, die keine Ahnung davon haben." Er wünscht sich, dass Medizinstudenten an Seminaren für Gebärdensprache teilnehmen. Seine Ärztin habe sich geweigert, ihren Mund-Nasen-Schutz abzunehmen – trotz Plexiglasscheibe.
"Sie schickt uns dann raus und gibt uns einen Brief, in dem steht, was wir machen müssen", schildert Kolbenschlag. "Da bin ich ratlos." Eine Anfrage der RNZ dazu, wie das Universitätsklinikum Heidelberg mit Gehörlosen Menschen umgeht, blieb seit vergangener Woche unbeantwortet
Insgesamt finden Braun, Fehr und Kolbenschlag, dass oftmals nicht genug auf Gehörlose und Schwerhörige geachtet wird. "Helfen würde, wenn es für die Politik selbstverständlich wäre, auch an die Belange der Behinderten zu denken und nicht immer erst, wenn sie darauf hingewiesen werden", sagt Braun. Dass bei Corona-Pressekonferenzen oftmals im Hintergrund ein Gebärdendolmetscher zu sehen ist, sei schon ein guter Anfang, findet die 49-Jährige.
Und was wäre eine Lösung für den Alltag? "Die Maskenpflicht ist schon vernünftig", sagt Vater Hendrik Fehr. "Aber mit einem Visier, das wäre ideal, damit wäre das Problem gelöst", meint Fehr, fügt jedoch hinzu: "Aber dazu bringt man den Einzelhandel nicht." Dem widerspricht Kolbenschlag. Er habe in einigen Lebensmittelläden bereits Klarsichtmasken bei den Verkäufern gesehen. "Das ist super, wir können von den Lippen ablesen und ihre Mimik sehen", meint er. In Baden-Württemberg sind Gehörlose von der Maskenpflicht ausgenommen. Kolbenschlag findet die Verordnung aber wichtig.
"In der Gesellschaft müssen wir zusammenhalten und gemeinsam dafür sorgen, dass sich das Virus möglichst nicht weiterverbreitet." Deswegen trage er eine Maske, obwohl er nicht dazu verpflichtet ist. Aber: "Uns ist nur wichtig, dass wir uns nicht strafbar machen, wenn wir ohne Maske kommunizieren müssen." Er findet, dass auch Verkäufer von der Maskenpflicht befreit sein sollten. "Uns hilft es nicht, wenn wir von der Maske befreit sind, und der Verkäufer muss eine tragen, weil er sich sonst strafbar macht", sagt Kolbenschlag. "Das wäre ein Witz."