Von Christiane Barth
Sinsheim-Hilsbach. Aufstehen, Tiere versorgen, Kaffee trinken und dann der Mutter auf dem Friedhof einen Besuch abstatten: Ein Ritual, das Bernd Peter Fleming jeden Morgen pflegt. Auch am Donnerstag. Wenngleich es etwas anders sein wird.
Denn am Donnerstag vor einem Jahr ist sie gestorben, die Frau mit der unschlagbaren Stimme: Joy Fleming. Dass auch ihre Fans um sie trauern, kann der Sohn nicht nur in den Facebook-Einträgen nachlesen.
Auch die vielen Blumen, die ständig auf dem Grab niedergelegt werden, sind Zeugnis, dass die begnadete Sängerin sehr vermisst wird.
Wenn es zu viele Blumen sind, bringt Bernd Peter sie ins Haus seiner Mutter, wo er mit dem Witwer, Bruno Masselon, seinem Ehemann und den vielen Tieren lebt: "Für die Friedhofsordnung sind es manchmal zu viele Blumen, für uns aber nie."
Joy Fleming mochte Blumen, vor allem Nelken und Rosen. Am liebsten aber waren ihr die Wiesensträuße, die ihr Bruno von Spaziergängen mitgebrachte. Die Fanrituale werden gepflegt: "Wir lesen ihr am Grab auch die Briefe ihrer Fans vor", berichtet Bernd Peter. Auch mit Teddybären und Kerzen vorm Haus bekundeten Fans das ganze Jahr über ihre Trauer um die verstorbene Künstlerin. Der Sohn und der Ehemann legen auch diese aufs Grab.
Flemings Sohn, Bernd Peter, und ihr Ehemann, Bruno Masselon, pflegen Rituale. Foto: Barth
Beim Fototermin auf dem Hilsbacher Friedhof bitten die Angehörigen jedoch darum, nicht zusammen mit dem Grab abgelichtet zu werden. Denn Joy Fleming war abergläubisch und achtete nicht nur auf schwarze Katzen, die von links nach rechts die Straße querten, sondern auch darauf, dass Bilder von Toten nicht zusammen mit Fotos der Lebenden an der Wand hingen.
Heute vermeiden es Bernd Peter und sein Stiefvater, am Grab fotografiert zu werden. Ob sie Unglück fürchten? Vielleicht ist es eher der Respekt vor dem Aberglauben der Mutter. Auch vor dem Tag, an dem sich ihr Tod zum ersten Mal jährt, ist Bernd Peter ein wenig bange: "Ich kann es mir noch gar nicht vorstellen, was da psychisch und seelisch passiert."
Eigentlich sei geplant, in trauter Runde zusammen zu sitzen und Fotoalben durchzublättern - nach dem täglichen Ritual auf dem Friedhof freilich: "Aber ich weiß noch nicht, ob wir das so schaffen." Auch Flemings Bruder Rainer, der in Sinsheim lebt, trauert mit der Familie: "Aber er möchte nicht in der Öffentlichkeit stehen."
An den Todestag seiner Frau kann sich Bruno Masselon, der 20 Jahre lang mit ihr verheiratet war, noch gut erinnern. Sie starb kurz vor dem Anpfiff des UEFA Champions League-Spiels des FC Bayern München gegen Paris St. Germain: Joy Fleming war Bayern-Fan und wartete auf ihren Mann, der an diesem Abend von einem beruflichen Frankreich-Aufenthalt zurück kam und mit dem sie das Spiel verfolgen wollte.
Als dieser gegen 20.30 Uhr das Haus betrat, schien es so, als sei sie auf der Couch eingeschlafen. Das Essen, das sie für ihn vorbereitet hatte, war noch warm. Er hatte Baguettes aus Frankreich mitgebracht und wollte seine Frau wecken, das Spiel mit ihr anschauen, die Brille war ein wenig verrutscht: "Ich dachte noch, sie schläft aber tief. Ich habe nicht verstanden, denn ich wollte nicht verstehen."
Eigentlich habe er immer gedacht, er stürbe zuerst. Doch Joy mahnte ihn stets, wenn sie stürbe, müsse er unbedingt weiterhin Musik machen. Dann habe er gesagt: "Ich sterbe doch sowieso vor dir, sprich bitte von etwas anderem."
Und eigentlich wollte er sich immer in seiner Heimat an der Loire beerdigen lassen. Doch am Tag nach ihrem Tod entschied er, den Bestattungsplatz neben seiner Frau zu reservieren. Für sich, wenn er mal stirbt: "Die Heimat an der Loire ist mir jetzt nicht mehr so wichtig."
Sechs Monate lang musste Bruno Masselon nach dem Tod seiner Frau im Krankenhaus behandelt werden: "In mir war alles blockiert." Als es ihm wieder besser ging, verbrachte er eine Zeit lang in Frankreich bei seinen Kindern, um sich besser zu fühlen. "Heute weiß ich, es geht mir dann besser, wenn ich ins Studio gehe und Musik mache."
Ein Trost ist für Bernd Peter Fleming nun: "Meine Mutter würde sich freuen, wenn sie sehen könnte, wie wir alle - Bruno, mein Mann, mein Bruder und ich - zusammen gefunden haben und ihr Erbe weiterführen, wie wir Musik machen, die Tiere versorgen, dass ihr Grab unweit des Hauses ist und dass alles so gekommen ist, wie sie es festgeschrieben hat." Und auch, dass von den Fans ein derart großer Schwung Zuneigung kommt, "hätte sie schon sehr gefreut".
Info: Die Einnahmen beim Joy Fleming-Tribute-Konzert am 9. März 2019, 20 Uhr, im Mannheimer Capitol, das Bernd Peter Fleming und Bruno Masselon auf die Beine stellen, kommen der Tierherberge Donzdorf und der Schloss-Schule Ilvesheim für blinde und sehbehinderte Kinder zugute.