Martin Boeckh auf dem Flachdach seines Reihenhauses mit PV-Anlage. Er hält die Kündigung seines Netzbetreibers in der Hand. Foto: Hebbelmann
Von Sabine Hebbelmann
Gaiberg. Auf dem Flachdach seines Reihenhauses in Gaiberg hatte Martin Boeckh am 1. April 2001 eine Fotovoltaikanlage in Betrieb genommen. 21 Solarmodule, aufgeständert in sieben Reihen und nach Süden ausgerichtet. "Mit der Anlage auf dem Dach habe ich das gute Gefühl, den Strom, den ich verbrauche, klimaschonend seit 20 Jahren selbst zu erzeugen", sagt er.
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) legte im Jahr 2000 den Grundstein für die Energiewende. Dank einer über 20 Jahre garantierten Einspeisevergütung haben die Bundesbürger inzwischen über 1,8 Millionen PV-Anlagen errichtet. Doch für viele Pionier-Anlagen, die in den kommenden Jahren aus der Förderung fallen, ist der Weiterbetrieb fraglich.
Die Anlage von Martin Boeckh stammt von Siemens, ist also, wie er betont, "deutsche Wertarbeit". China spielte damals bei der Herstellung von Solarpanelen noch keine Rolle; eher schon die Anlagen aus Japan. Die Anlage mit 2,1 kWp installierter Nennleistung liefert im Schnitt 1721 kWh pro Jahr, etwas mehr als er und seine Frau verbrauchen. Finanziert hatte er die Anlage über einen zinsreduzierten Kredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau KfW. 100.000-Dächer-Programm hieß die Förderung, die von 1999 bis 2003 lief.
Wie zahlreiche andere sogenannte "Einspeiser" bekam das Ehepaar jetzt Post vom regionalen Netzbetreiber. "Ihre EEG-Anlage – Beendigung des ursprünglichen Zahlungsanspruchs nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) – Kündigung des Einspeisevertrages", steht im Betreff. In seinem Fall erlischt der ursprüngliche gesetzliche Anspruch auf Abnahme und Zahlungen von 50 Cent pro kWh netto für den erzeugten Strom Ende 2021. Der Hausbesitzer könnte den Strom künftig selbst vermarkten, was aufwendig ist und sich beim derzeitigen Marktwert von zwei bis vier Cent pro kWh für die kleine Anlage nicht rechnet. Zumal er ein intelligentes Messsystem nachrüsten und hierfür eine jährliche Miete entrichten müsste.
"Das sind Kosten, die künftig in keinem Verhältnis zum bescheidenen Ertrag stehen", stellt er fest. Schon zuvor hatte er eine Mahnung bekommen, er möge die Anlage endlich bei der Bundesnetzagentur anmelden, damit diese sie registrieren könne. Bisher hatte er mit dem eigenen Zähler keine Probleme gehabt. "Das wird künftig alles sehr viel komplizierter", sagt er. Alternativ könnte er den Strom seiner PV-Anlage selbst nutzen und sich die rund 30 Cent pro kWh beim Strombezug sparen. Doch dafür müsste er einen Stromspeicher anschaffen, eine Kiste – groß wie ein Kühlschrank. "Das lohnt sich eher für moderne Anlagen, die etwa das Doppelte an Leistung bringen", meint er.
Außerdem müsste er auf den selbst erzeugten und verbrauchten Strom noch EEG-Umlage zahlen. "Das ist in etwa so, als müsste man auf die Äpfel aus dem eigenen Garten Steuern zahlen, wenn man sie isst", sagt er. Unter den geltenden Bedingungen habe er überhaupt keine Veranlassung, die Anlage weiter laufen zu lassen, ärgert sich Boeckh und schickt hinterher: "Ich drücke im Keller auf den Aus-Knopf und habe Schrott auf dem Dach stehen." Doch diese Vorstellung schmerzt ihn. Die Anlage ist gut in Schuss, die Leistung stabil. "Was mache ich mit den schönen Modulen? Soll ich sie zur AVR bringen und noch für die Entsorgung zahlen?", fragt er. Die Niederlande und weitere Länder nutzen "Net-Metering": Übersteigt die Eigenproduktion den eigenen Strombedarf, wird Strom eingespeist. Dabei läuft der normale Strombezugszähler rückwärts.
"Das wäre für mich die ideale Lösung", sagt Boeckh. Doch nicht nur als Eigenheimbesitzer beteiligt er sich an der Energiewende, er ist mit einem kleinen Anteil auch an der "Sonnenenergie Gaiberg GbR" beteiligt. Diese Gesellschaft bürgerlichen Rechts betreibt eine Gemeinschafts-Solaranlage auf dem Dach der Kirchwaldschule in Gaiberg. Gesellschafter sind zwölf Privatpersonen aus Gaiberg, die sich zusammengetan haben, um mit einer rentablen Geldanlage einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Die Anlage wurde im Dezember 2004 in Betrieb genommen und fällt in wenigen Jahren ebenfalls aus der Förderung. Wie und ob es danach weitergeht – er weiß es nicht.
Mit seiner Ratlosigkeit ist er nicht allein. Bis Ende 2025 sind in Deutschland fast 180.000 PV-Anlagen mit einer Gesamtnennleistung von rund 2000 MWp betroffen. Nicht nur die Fotovoltaik-Pioniere, auch die Gesellschaft insgesamt muss sich angesichts der Klimakrise fragen: Können wir es uns leisten, auf die Leistung und die Erträge dieser alten PV-Anlagen zu verzichten?
Die unklare Lage der Ü20-PV-Anlagen ist einer von vielen Kritikpunkten am neuen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG 2021). Im Bundestag ringen die Fraktionen noch um Nachbesserungen. Eine ursprünglich für den 26. November anvisierte Lesung im Bundestag ist auf den Dezember verschoben. Am 1. Januar 2021 soll das Gesetz in Kraft treten.