1899-Mäzen Dietmar Hopp auf der Tribüne der Sinsheimer Arena. Der SAP-Mitbegründer geht zur Zeit gerichtlich gegen Beleidigungen durch Gästefans vor. Foto: dpa
Von Tim Kegel
Sinsheim. Einer der vier Zeugen auf dem Gang - drei Polizisten aus der Region und ein szenekundiger Beamter aus Dortmund - sprach von "Nebelkerzen", welche die Verteidigung zünde. Dort sieht man es anders. Es gehe um etwas Grundsätzliches; darum, was Fankultur ist, was sie tut, was sie darf und wie es bewertet wird, wenn es rau zugeht in der Fankurve und Schmähgesänge angestimmt werden. Nach über fünfstündigen Ausflügen in rechtsphilosophische Bereiche und solche der Fußball-Etikette ist am heutigen Freitag am Amtsgericht in Sinsheim ein Prozess gegen drei Anhänger von Borussia Dortmund zum zweiten Mal innerhalb von drei Wochen unterbrochen und verschoben worden.
Die Angeklagten im Alter von 25, 30 und 34 Jahren sollen TSG-Mäzen Dietmar Hopp als "Sohn einer Hure" tituliert und dadurch beleidigt und in seiner Ehre verletzt haben. Zur Zeugenbefragung kam es erneut nicht. Wieder wurde ein Befangenheitsantrag gegen Richterin Müller-Foell gestellt, über den bis zur dritten Verhandlung Ende des Monats entschieden werden muss. Zuvor hatten Gericht und Staatsanwalt Komheiser sämtliche fünf Anträge der Verteidigung abgelehnt. Für Andreas Hüttl, den Verhandlungsführer des Verteidiger-Trios, ein Hinweis darauf, "dass das Gericht nicht an einer Sachaufklärung interessiert" sei.
Hopp-Interviews aus den Jahren 2013 und 2009 wurden zuvor angeführt im "Spiegel" und bei "Spiegel Online", Mitschnitte von Fußball-Talks bei "YouTube", in denen der Mäzen öffentlich unter anderem geäußert habe, "dass die Hurensohn-Gesänge zu verschmerzen" seien. Schmährufe könne man als "betriebliche Übung" auffassen, sagte Hüttl, "das machen alle so". Angesichts ähnlicher Vorfälle "in Richtung Polizei, der Scheiß-Bayern und der BVB-Hurensöhne" falle es schwer, "zu glauben, dass eine Person so dünnhäutig ist, und dieses Ritual ernst" nehme. In dieser Haltung hätten die Angeklagten die Schmährufe angestimmt, ihr Handeln nicht als Ehrverletzung wahrgenommen und daher "bewusst fahrlässig", nicht "bedingt vorsätzlich" gehandelt. Auch die Erstellung eines kriminologischen Gutachtens zur Frage, wie typisch Schmähgesänge in Stadien sind, wurde beantragt - und von Staatsanwalt und Gericht abgelehnt.
Auswertungen von Polizeivideos und eines umstrittenen Richtmikrofons im Sinsheimer Stadion, dessen Tonspur die Verteidigung erst am heutigen Freitag erhielt, hatten zur Ermittlung der Angeklagten geführt. Bei der Aufbereitung des Materials hätten Polizeibeamte einzelne Personen in der Menschenmenge mit Einkreisungen markiert, dadurch "möglicherweise andere relevante Dinge" in den Hintergrund gerückt, bereits Identifizierungsaussagen getroffen und sich "um klassische Sachverständigenfragen" gekümmert. Man halte dies für "prozessual unzulässige Regiearbeit" und ziehe die Verwendbarkeit der Videos in Zweifel.
Nach wie vor fordert die Verteidigung eine Aussage Hopps, etwa zum Grad seiner Ehrverletzung. Bislang kenne man nur die Antworten zu einem Fragenkatalog der Polizei; angeblich ausformuliert "vom Sekretariat" des Hopp-Verteidigers, wie es mehrfach hieß. Die Aussage von Belastungszeugen sei ein Grundrecht eines Angeklagten. Sämtliche Anträge wurden abgelehnt: Der Strafbefehl sei fehlerfrei formuliert; "Spezialwissen" eines Gutachters hält das Gericht zur Beurteilung nicht für notwendig; hierzu reiche "Lebenserfahrung" aus. Auch hielt man es "aus tatsächlichen Gründen" für nicht erheblich, dass Hopp bereits "Beleidigungen hingenommen" habe.
Eine Ladung Hopps sei nicht erforderlich: Es handle sich um "hiesige konkrete Fälle". Die Verhandlung wird am 27. Mai, 9 Uhr, fortgesetzt.