Mieter Günther (Boris Ben Siegel) muss weg: Das findet die Maklerin (Tanja Götemann). Foto: Theater Oliv
Von Stefan Otto
Mannheim. "Der Wohnraum gehört denen, die drin wohnen und leben", besagt das Transparent im Treppenhaus. Zu sehen in dem sozialkritischen Kurzfilm "Mieter Günther will nicht weg", den das Mannheimer Theater Oliv jetzt produziert hat. "Unser Spielbetrieb ruht, aber ganz ausgebremst sind wir nicht", erklärt der Theater- und nun Filmemacher Boris Ben Siegel.
Wir Betrachter übernehmen die Rolle des Kaufinteressenten einer Immobilie in der Neckarstadt. "Schön, dass Sie da sind", heißt uns die Maklerin willkommen und reißt die Tür auf zu einem gewöhnlichen, gleichwohl pittoresken Hinterhof. In ihren Augen ist er jedoch keineswegs gut genug, sondern gehört dringend luxussaniert. "Ein bisschen Fantasie", fordert sie, damit wir uns überhaupt vorstellen können, wie das hier dereinst aussehen werde, sobald der Ausbau abgeschlossen ist.
Ein gläserner Fahrstuhl und eine eigene Einfahrt samt Tiefgarage würden in Zukunft ein gänzlich anderes, viel nobleres Ambiente schaffen, verspricht die geschäftstüchtige Mittlerin, die von der Mannheimerin Tanja Götemann gespielt wird. Alles, was hier jetzt noch herumstehe und störe, die abgestellten Fahrräder und der ganze Krempel, würden alsbald verschwunden und der Hof unvergleichbar lichtdurchflutet sein, "spätestens dann, wenn der Kaufvertrag unterschrieben ist".
Und anstelle der in die Jahre gekommenen hölzernen Tür, die jetzt noch in den unscheinbaren Schuppen führt, werde ein Stahltor "aus mattem Gold" eingesetzt: "Damit Sie Ihre Wohnoase standesgemäß betreten können." Nur: In dem Schuppen liegt in einem Schlafsack und auf Pappkartons noch ein renitenter Mieter. Günther Mahlberg, der mit dem Mietzins im Rückstand ist, aber deswegen noch lange nicht einsieht, warum er hier weg soll. "Wollen Sie mich verkaufen?!" fragt er entgeistert.
Bereits 2017 hat das Theater Oliv "Mieter Günther will nicht weg" zuerst in Stuttgart und dann in Innsbruck gespielt. "Wir spielten dort in Wohnungen, die kurz vor der Sanierung standen", berichtet Boris Ben Siegel, der Theaterleiter und Darsteller des Günther. Aktueller Anlass sei der umgreifende "Gentrifizierungswahn". Mannheim sei zunächst noch nicht so sehr von diesem Problem betroffen gewesen, "was sich dann aber schlagartig änderte, insbesondere in der Neckarstadt Ost", rekapituliert Siegel.
2020 wollte er sein Stück deshalb auch in Mannheim aufführen, "was aber wegen der Pandemie schnell zum Erliegen kam". Daher nun der knapp viertelstündige Film, der einen vielversprechenden und in sich geschlossenen Einblick gewährt in das Stück, das vor Ort und vor Publikum aufgeführt, stets zu Interaktionen auf- und starke Reaktionen hervorrief. "Es kam immer zu Situationen, in denen das Publikum Position bezog und sich auf die Seite von Günther stellte - oder aber der Maklerin half, ihn aus der Wohnung zu transportieren", so Siegel.
Dahinter muss der Kurzfilm, der ab sofort auf der Startseite des Theater Olivs abzurufen ist, zurückstehen. Doch er bietet Einsicht nicht nur in das Stück, sondern ebenso in das "Traumhinterhofambiente" der Neckarstadt. Siegel und Götemann unterstützen mit ihrem Film das Hausprojekt "Viertel 8", das sich für solidarische und bezahlbare Wohnräume einsetzt und gegen die Gentrifizierung, also den forcierten Strukturwandel zugunsten einer zahlungskräftigeren Klientel, einsetzt. "Das Wohnhaus das als Drehort diente, konnte vor der drohenden Gentrifizierung gerettet werden", freut Siegel sich. "Ein Lichtblick!"