Drogenverein Mannheim

"Wir stellen zunehmende Verelendung fest"

Drogenverein betreut Süchtige via Telefon - Videokonferenzen sind jetzt auch geplant

08.05.2020 UPDATE: 09.05.2020 06:00 Uhr 1 Minute, 41 Sekunden
Heroinsüchtige gehören zur Corona-Hochrisikogruppe, weil sie oft Folgeerkrankungen haben. Symbolbild: dpa

Von Volker Endres

Mannheim. Ausgangsbeschränkungen, Reglementierungen im Alltag, Distanz zur anderen – was dem Durchschnitt schon schwerfällt, ist für Menschen am Rand der Gesellschaft eine umso größere Belastung. Das gilt auch für die rund 1400 Mitbürger, die der Drogenverein Mannheim betreut. "Wir sind systemrelevant", betont Geschäftsführer Philipp Gerber. "Unsere Telefonrechnung und auch die Portozahlungen sind ein wenig nach oben gegangen."

Eigentlich nur eine Randbemerkung, für ihn und seine Mitarbeiter allerdings eine von entscheidender Bedeutung, denn anstelle des persönlichen Kontakts musste sich auch der Drogenverein andere Wege für Betreuung und Beratung suchen. "Ich glaube, das ist uns nach einer kurzen Orientierungsphase ganz gut gelungen", zieht Gerber nach rund fünf Wochen eine positive Bilanz. So werde der Kontakt mittlerweile telefonisch gepflegt. "Unsere Mitarbeiter haben die Telefonnummern mit nach Hause bekommen und rufen mit unterdrückter Nummer bei unseren Klienten an", erklärt Gerber den Alltag während der Pandemie.

Aber nicht alle etwa 1400 aktuellen und auch ehemaligen Abhängigen erhalten so einen Anruf. "Wir mussten uns auf die Klienten mit einer höheren Verantwortung konzentrieren", so der Geschäftsführer. Drogenabhängige mit Kindern beispielsweise, oder auch Menschen, die ihre Sucht mit der Hilfe von Substitutionsmitteln in den Griff bekommen wollen. "Aber wir haben nur den Kontakt zu Menschen, die auch mit uns in Kontakt stehen wollen", so Gerber und umschreibt damit das Problem, dass etwa Menschen, zu deren Strafmaß vom Gericht auch eine regelmäßige Betreuung gehört, aktuell von seinen Mitarbeitern nicht erreicht werden.

Nutzer von Opioiden, zu denen das Heroin gehört, gehören zur Hochrisikogruppe. "Der Körper altert vorzeitig. Vieler Süchtige haben Folgeerkrankungen, etwa Hepatitis", erklärt Philipp Gerber. Dementsprechend müssten gerade Drogenabhängige die Beschränkungen der Landesverordnung besonders streng erfüllen. Aber vor allem für sie wird die Pandemie auch zu einer Existenzfrage. "Wir stellen eine zunehmende Verelendung fest", betont der Geschäftsführer. Weder legal, etwa durch Betteln oder Flaschensammeln, noch illegal komme seine Klientel in der aktuellen Situation zu Geld. "Es besteht zwar die kognitive Einsicht zum Rückzug, aber die wird durch die pure Bedürftigkeit überdeckt." Anders ausgedrückt sorgt das Kontaktverbot für zusätzliche Vereinsamung und Verarmung der Abhängigen. Ängste und Depressionen sind an der Tagesordnung.

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Immerhin hält der Drogenverein weiter Kontakt. Und das künftig auch wieder von Angesicht zu Angesicht. Zumindest fast. "Wir gehen demnächst mit Videokonferenzen an den Start. Das war bis jetzt ein Datenschutzproblem", sagt Gerber, der aber für seine Bedürftigen in eine ganz andere Richtung denkt: "Ich hoffe, dass wir eine Regulierung finden können, mit der wir unseren Kontaktladen wieder öffnen können." Denn nichts ersetze in der Betreuung den persönlichen Kontakt. Auch nicht die regelmäßigen Anrufe von Experten.

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