Wohnung in Handschuhsheim

Täglich zehn Stunden Bohrgeräusche (plus Video)

Bürgermeister Erichson vermutet: Hausbesitzer will Mieterin loswerden – Der spricht dringend notwendigen Sanierungsarbeiten

24.08.2018 UPDATE: 25.08.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 50 Sekunden

Eine Lärmapp, herausgegeben vom Verband der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, zeigt in der betroffenen Wohnung bis zu 89 Dezibel. Experten sagen, dass das Gehör dauerhaft geschädigt wird, wenn es in der Woche 40 Stunden lang einem Pegel von über 80 Dezibel ausgesetzt wird. In diesem Fall starte das Geräusch morgens um 7 Uhr und dauerte bis 17 Uhr. Foto: Rothe

Von Micha Hörnle

Heidelberg. So wie Silvia Knapp gerade wohnt, kann niemand aushalten - selbst wenn man jünger als 82 Jahre und gesünder ist als sie. Ein gleichmäßig starkes Geräusch von bis zu 89 Dezibel dringt aus dem ersten Stock in die Erdgeschosswohnung der Handschuhsheimerin. Der Lärm, so berichtet Knapp, beginnt um 7 Uhr und dauert bis 17 Uhr - zehn Stunden, ohne Pause. Bauarbeiter hat sie in der Wohnung nicht gesehen, sie weiß nicht, was und wer genau dieses bohrende Gedröhne verursacht.

Der neue Hausbesitzer spricht gegenüber der RNZ von dringend notwendigen Sanierungsarbeiten ("Hier werden Leitungen herausgefräst"), über die Silvia Knapp informiert worden sei- was sie und ihr Sohn Christian weit von sich weisen: "Das sind unangemeldete Umbauarbeiten mit einem höchst irritierenden Lärmpegel."

Auch ein Fachmann wie der Ziegelhäuser Bauunternehmer Hans-Günther Schwab steht vor einem Rätsel. "Ich wüsste nicht, was das sein könnte", sagte er der RNZ. "Kein Gerät läuft zehn Stunden am Stück - wenn es kein Entfeuchter ist." Ein Entfeuchter brummt aber eher, ähnlich wie ein Ventilator. Das Geräusch, das in Knapps Wohnung dringt, ist eher ein Dauerbohren auf einer Stelle.

Das Video wurde am Freitagnachmittag in der Wohnung aufgenommen. Video: Hörnle

Auch Bürgermeister Wolfgang Erichson wurde darauf aufmerksam gemacht - durch Knapps Nachbarn, denen das schleifende, bohrende Geräusch auf die Nerven ging: Es ist in der ruhigen Wohnstraße aktuell das Gesprächsthema. Erichson hatte als Umweltbürgermeister am vergangenen Donnerstag eine Sommertour auf dem nahen Handschuhsheimer Friedhof absolviert, als er sich kurz darauf in Knapps Wohnung wiederfand - und er war entsetzt:

"Diese Wohnung ist mit einem solchen Lärm unbewohnbar. Es sind auch keinerlei Bautätigkeiten zu sehen. Das sieht für mich danach aus, als wolle man eine ältere Dame auf sehr unerfreuliche Art und Weise entmieten. Ich bin ja aus meiner alten Heimat Berlin einiges gewohnt, aber das macht mich schon baff, dass es so etwas in Heidelberg gibt."

Erichson informierte die RNZ, und bei einem Vorort-Termin gestern Mittag bietet sich das gleiche Bild: ein lautes, monotones, unangenehmes Geräusch, das seinen Standort nicht verändert. Auf Klopfen und Klingeln in der Wohnung, in der gearbeitet werden soll, reagiert niemand. "Ich habe das am Anfang noch hingenommen", sagt Silvia Knapp, "ich dachte, das geht in zwei bis drei Tagen wieder vorbei."

Aber nun, am fünften Tag der Beschallung, wirkt sie nervlich am Ende: "Das bohrt sich in meinen Kopf. Das macht mich fertig." Umbauarbeiten hätte sie ja hingenommen - so wie auch in den letzten Wochen, als zwei Wohnungen unter und über ihr entkernt wurden, der Bauschutt liegt noch im hinteren Garten. Aber sie zweifelt daran, dass momentan überhaupt gearbeitet wird. Im Gegenteil: Sie fürchtet, einfach nur einem Lärmterror ausgesetzt zu sein.

Gestern Mittag zeigt die Lärmapp des Handys im lautesten Zimmer, dem Bad, Werte zwischen 85 und 89 Dezibel an, im Wohn- und Schlafzimmer sind es um die 75 Dezibel - ein Gespräch in normaler Lautstärke ist hier nicht zu führen, man muss sich geradezu anbrüllen. Im leisesten Raum misst das Handy immer noch 65 bis 67 Dezibel.

Hier schaut Knapp mit Kopfhörern fern, die einzige Art und Weise, tagsüber dem Lärm zu entkommen. Sie und ihr Sohn haben bereits den Mieterverein eingeschaltet, sie tragen sich mit dem Gedanken, eine einstweilige Verfügung zu erwirken. Ihrer Darstellung nach habe der neue Eigentümer nicht auf eine SMS reagiert, in der der unerträgliche Lärm moniert wird.

42 Jahre wohnt Silvia Knapp hier - und das ist auch ein Grund des Konflikts. Das Gebäude wurde vor einiger Zeit von einem Heidelberger Projektentwickler gekauft, der daraus - in einer der gesuchtesten Lagen Handschuhsheims - Eigentumswohnungen machen will. Im Moment ist

Knapp neben einer Studenten-WG die einzige Mieterin in dem Fünf-Parteien-Haus. Beide Konfliktparteien bestätigen, dass es Verhandlungen für einen Umzug gab, die aber scheiterten - Silvia Knapp sagt: "Da war einfach nicht das Passende dabei." Zumal sie am liebsten sowieso in ihrer alten Wohnung bleiben wollte, in der sie sich mit ihren schlechten Augen ideal zurechtfindet.

Der Bauträger weist jeden Vorwurf, Silvia Knapp entmieten zu wollen, weit von sich und betont, dass er sich immer bemühe, Konflikte gütlich zu lösen. Zudem bot er der RNZ an, sich nächste Woche selbst ein Bild von der Situation in der Wohnung über Knapp zu machen, er sei im Moment verreist.

Ob Zufall oder nicht: Kurz nach dem Termin der RNZ in Handschuhsheim betrat ein Mann das Haus, und als er nach zwei Minuten herauskam, herrschte vollkommene Stille. Offensichtlich wurde irgendeine Apparatur abgestellt.

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