Von Sebastian Riemer
Heidelberg. Dem Mannheimer Universitätsklinikum geht es schlecht, sehr schlecht. Ein Minus von rund 40 Millionen Euro hatte es Ende 2019 gemacht, die Jahre davor waren nicht viel besser. Und nun trifft Corona den Maximalversorger besonders hart. Die Probleme haben auch viel mit einer deutschlandweit einmaligen Konstruktion zu tun: Das Krankenhaus darf sich zwar Universitätsklinikum nennen, wird aber nicht vom Land Baden-Württemberg getragen. Die Stadt Mannheim muss als Trägerin für die Krankenversorgung aufkommen.
Vor einigen Wochen schrieb Mannheims SPD-Oberbürgermeister Peter Kurz einen Brandbrief nach Stuttgart: Das Land müsse helfen, so gehe es nicht weiter. "Als Stadt sind wir mit dieser Aufgabe dauerhaft überfordert", sagte Kurz auch jüngst im RNZ-Interview. Es sei sinnvoll, so Kurz, das Klinikum dem Land zu übertragen.
Mal eben ein "echtes" fünftes Universitätsklinikum zu schaffen, das will in Stuttgart aber kaum einer. Und auch in Heidelberg, Tübingen, Ulm und Freiburg nicht. Die existierenden Landes-Unikliniken befürchten, dass weniger vom Kuchen übrig bleibt, wenn dieser künftig durch fünf statt wie bisher durch vier geteilt werden müsste. Auch Kurz scheint das zu wissen, der RNZ sagte er: "Es geht nicht darum, wer die Verluste zu tragen hat, sondern welche Rolle das Haus in einer Gesamtstrategie spielt."
Für eine solche Gesamtstrategie ist Landeswissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne), in deren Ressortverantwortung die Unikliniken liegen, zuständig. "Das Mannheimer Universitätsklinikum, das sich seit Jahren – auch ohne die Einbußen durch die Corona-Pandemie – in einer wirtschaftlichen Krise befindet, braucht Hilfe", sagt sie gegenüber der RNZ. "Eine Nothilfe alleine würde auf kurze Sicht helfen, die strukturellen Probleme aber nicht lösen."
Zum Verständnis muss man wissen: Am Mannheimer Uniklinikum gibt es nach RNZ-Informationen ein bauliches Investitionsdefizit von mindestens 600 Millionen Euro. Inzwischen ist in Mannheim und Stuttgart jedem klar: Die Grundkonstruktion mit einer vom Land bezahlten Lehre und Forschung sowie einer von der Stadt getragenen Infrastruktur und Krankenversorgung funktioniert nicht. Das gilt fürs Finanzielle, aber auch in Sachen Qualität: In Rankings der deutschen Unikliniken landet Mannheim regelmäßig ganz hinten.
Ministerin Bauer hat deshalb jetzt einen Prozess angestoßen, um die Mannheimer Probleme möglichst mit einem großen Wurf zu lösen. "Wenn wir als Land stärker in die Verantwortung gehen, muss das auch einen Mehrwert für das ganze Land haben", sagt Bauer. "Wir brauchen kein fünftes Landes-Uniklinikum. Wenn wir als Land einsteigen, dann im Rahmen einer strukturellen Reform." Die Ministerin, die auch Heidelberger Landtagsabgeordnete ist, will dem Prozess nicht vorgreifen. So viel sagt sie aber doch: "Ich kann mir ein großes Universitätsklinikum an zwei Standorten – Heidelberg und Mannheim – gut vorstellen." Mit einem solchen Großklinikum könne man Doppelstrukturen vermeiden, die Stärken beider Standorte ausbauen "und so den einzigartigen Gesundheitsstandort Rhein-Neckar auf Weltniveau weiterentwickeln", so Bauer.
Doch dieser Weg wird holprig sein: Die Fusion würde wohl keine Liebesheirat, eher eine Zweckehe. Denn die Pläne lösen Ängste aus, wie die RNZ aus Klinikkreisen in beiden Städten erfuhr. In Mannheim fürchtet man, vom großen Nachbarn geschluckt zu werden, im schlimmsten Fall gar kannibalisiert – sodass am Ende nur noch ein Klinikgerippe in Mannheim verbliebe. Die Heidelberger wiederum wollen verhindern, dass der eigene gute Ruf Schaden nimmt, indem man sich die national und international nicht gerade renommierten Mannheimer ans Bein bindet. Eine Fusion unter dem Namen "Universitätsklinikum Heidelberg-Mannheim" kann sich in Heidelberg keiner vorstellen. Und eine Struktur, bei der Heidelberg nicht eindeutig den Hut aufhat, auch nicht.
Die Ängste beider Seiten versucht Theresia Bauer zu entkräften: "Mannheim hat große Qualitäten, etwa im Bereich Medizintechnik, dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit oder mit seiner innovativen Lehre. Diese Stärken brauchen wir weiterhin, diese müssen wir in Mannheim erhalten." Sie sagt aber auch: "Natürlich ist Heidelberg die internationale Marke. Dies herauszustellen, nutzt dem Gesamtstandort in seiner Wahrnehmbarkeit."
Drei Arbeitsgruppen kümmern sich jetzt um die Sache. Offiziell geht es um ein Zukunftskonzept für das Uniklinikum Mannheim. Aber an der Zusammensetzung der ersten AG wird schon deutlich, wohin die Reise gehen könnte: Darin sitzen die Klinikleitungen von Mannheim und Heidelberg, die Chefs der beiden Fakultäten und Mannheims OB Kurz. Auch Vertreter wichtiger regionaler Partner, etwa das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ), werden in den Prozess eingebunden. Eine zweite AG besteht aus nationalen und internationalen Experten, die beratend zur Seite stehen. Und schließlich gibt es eine dritte Arbeitsgruppe direkt in der Landesregierung: Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat Wissenschafts-, Sozial- und Finanzministerium beauftragt, ein Konzept zu entwickeln.
Dass das Finanzministerium frühzeitig mitredet, ist logisch: Wegen der Coronakrise hat das Land den vier Landes-Unikliniken bereits außerplanmäßig 600 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Bei einer Fusion Heidelbergs mit Mannheim müsste das Land seine Mittel für die Unikliniken nachhaltig deutlich aufstocken. Ein zusätzlicher dreistelliger Millionenbetrag könnte jährlich nötig sein, um das Mammutprojekt zu stemmen, ohne dass Tübingen, Ulm und Freiburg darunter leiden.
Ende September soll ein erstes Konzept vorliegen, wie es weitergehen könnte. Dann entscheidet sich, ob die Fusion vorangetrieben wird. Die Wissenschaftsministerin will keine Zeit verlieren: "Wir haben in dieser Krisensituation jetzt ein Zeitfenster, das uns eine einmalige Chance bietet, uns strukturell neu aufzustellen zum Wohle der ganzen Region und des Landes." Noch vor der Landtagswahl im März 2021 könnte das Kabinett eine Grundsatzentscheidung treffen.