Das Deutsche Krebsforschungszentrum im Neuenheimer Feld in Heidelberg. Foto: Reinhard Lask
Von Sebastian Riemer
Heidelberg. Eine Arbeitsgruppe am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) hat gegen die Vorschriften bei Tierversuchen verstoßen. Das teilte die Forschungseinrichtung der RNZ in einer Stellungnahme mit. Demnach haben die Wissenschaftler bei einer Studie mit Mäusen zum Ewing-Sarkom - einer bösartigen Krebserkrankung, die vor allem bei Kindern und Jugendlichen auftritt - drei Verstöße begangen.
So benutzten sie eine andere Tumorzelllinie als jene, für die sie vom Regierungspräsidium Karlsruhe (RP) eine Genehmigung hatten. Zudem wurde der bewilligte Versuchszeitraum von fünf Jahren um etwa sechs Wochen überschritten. Und schließlich wurde bei sechs von 76 Mäusen die festgelegte Abbruch-Tumorgröße nicht eingehalten. "Diese sechs Tiere wurden höchstens vier Tage zu spät getötet", heißt es in der Stellungnahme des DKFZ.
Ans Licht kamen die Verstöße, nachdem der Verein "Ärzte gegen Tierversuche" im August 2018 schwere Vorwürfe gegen das DKFZ erhoben hatte: So hätten die Forscher in der besagten Studie die Mäuse "qualvoll an den Folgen der Krebserkrankung sterben lassen". Diesen Vorwurf wies das DKFZ zurück. Und obwohl das Forschungszentrum auch alle anderen konkreten Anschuldigungen von "Ärzte gegen Tierversuche" umgehend zurückwies, versicherte es bereits damals auf Anfrage der RNZ, das Vorgehen bei der Studie, die im Dezember 2017 endete, zu überprüfen.
Bei dieser Überprüfung wurden die nun eingestandenen Verstöße festgestellt. "Die betroffenen Wissenschaftler haben durch eine Selbstanzeige erheblich zur Klärung des Sachverhalts beigetragen", sagt DKFZ-Sprecherin Sibylle Kohlstädt gegenüber der RNZ. Den drei Forschern sei ihr Fehlverhalten nicht bewusst gewesen. "Sie gingen irrtümlicherweise davon aus, dass sie sich innerhalb des genehmigten Verfahrens bewegen." Die Nutzung einer anderen Zelltumorlinie hätte mindestens eine Änderungsanzeige beim Regierungspräsidium erfordert. Das sei den Forschern - ebenso wie bei den anderen beiden Verstößen - nicht bewusst gewesen.
Arbeitsrechtliche Konsequenzen habe es nicht gegeben, da die Leiterin der Studie inzwischen in Rente und die Erstautorin der Studie nicht mehr am DKFZ tätig sei. Der Co-Leiter der Studie sei ebenfalls in Rente und lediglich noch geringfügig am DKFZ beschäftigt. Nach RNZ-Informationen könnten den beteiligten Forschern aber strafrechtliche Konsequenzen drohen. Aktuell liegt der Fall beim RP. "Wir prüfen das weitere Vorgehen", so RP-Pressesprecherin Irene Feilhauer. Und der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Heidelberg, Tim Haaf, erklärt: "Es wurde vereinbart, dass sich das Regierungspräsidium bei uns meldet, wenn der Anfangsverdacht einer Straftat vorliegt."
Das DKFZ zieht Konsequenzen aus dem Fall: Der hauseigene Tierschutzausschuss überarbeitet den Maßnahmenkatalog zur Einhaltung der Vorschriften. So wurde bereits die Datenbank mit allen Tierversuchen angepasst, um eine Überschreitung der Experiment-Laufzeit zu verhindern. Zudem wurden ganz neu verpflichtende Fortbildungen für alle Leiter von Tierversuchen eingeführt.
Das DKFZ nimmt den Fall aber auch selbst zum Anlass für Kritik: "Das Genehmigungswesen von Tierversuchen ist mit den Prinzipien und Erfordernissen der experimentellen Forschung nur schwer in Einklang zu bringen", heißt es in der Stellungnahme. Für die Forscher sei es meist nicht möglich, ihre Experimente im Detail über einen Zeitraum von fünf Jahren vorauszuplanen. Die notwendigen häufigen Änderungsanträge seien aufwendig und führten häufig zu Verzögerungen bei den Forschungsprojekten. Das ginge auch zulasten der Patienten, die von dieser Forschung profitieren würden.
Und die Forschungseinrichtung geht sogar noch weiter: "Das DKFZ befürchtet durch die Praxis des Genehmigungsverfahrens negative Folgen für die Krebsforschung am Standort Deutschland." Man werde sich bei Behörden und Ministerien dafür einsetzen, die notwendige Detailtiefe der Anträge zu verringern.