Von Daniel Bräuer
Heidelberg. Die Krise der deutschen Autoindustrie könnte auf ihre Standorte durchschlagen: Im Städteranking 2019 gehören Autostädte zu den größten Verlierern. Der Ost-West-Vergleich offenbart ein sehr gemischtes Bild – und auch regional gibt es Gewinner und Verlierer.
> Methodik: Das Institut IW Consult erstellt anhand vieler Kennzahlen für 71 deutsche Großstädte drei Noten: Das „Niveau-Ranking“ zeigt den Ist-Zustand in Sachen Arbeits- und Wohnungsmarkt, Lebensqualität und Wirtschaft, das „Dynamikranking“ Entwicklungen der letzten fünf Jahre. Das „Zukunftsranking“ misst Wirtschaftsfaktoren wie Forschungsinstitute, Industrie 4.0, Kreativberufe und Kulturleben. Den Auftrag zur Studie geben die „Wirtschaftswoche“ und das Portal „Immobilienscout 24“.
> Rekordmeister: Zum siebten Mal in Folge liegt München im Niveauranking vorne. Hohes BIP, Steuerkraft, viele Jobs – und die höchsten Immobilienpreise (dazu später mehr). Die Kombination aus Wissenschaft und Wirtschaft wirke „wie ein Turbo für den Großraum München“, erklärt Hanno Kempermann von IW Consult.
> Dynamisches Franken: Mittelfranken gilt als „neues wirtschaftliches Kraftzentrum“: Fürth (3), Nürnberg (7) und Erlangen (11) sind alle in den Top 15 der dynamischsten Städte, im Ist-Ranking in den Top 20. Sei eint ein vitaler Arbeitsmarkt, vor allem im Gesundheitswesen (Spitzname: „Medical Valley“).
> Auto-Krise: Noch immer gehören Ingolstadt (4) und Wolfsburg (7) zu den Top-10, büßen aber gegenüber 2018 zwei Plätze ein. Drastischer ist der Sturz bei der Dynamik: um 37 bzw. 45 Plätze ins hintere Mittelfeld. Grund ist vor allem die Steuerkraft: Im Schnitt aller Städte ist sie über fünf Jahre um 200 Euro pro Einwohner gestiegen, in Wolfsburg um 176 Euro gesunken, in Ingolstadt um 94. Ein Trost: Im Zukunftsranking bleiben Top-10-Plätze, wenn auch mit Einbußen. Ähnlich geht es der Porsche- und Daimler-Stadt Stuttgart: Aktuell und für die Zukunft Top-Plätze (3 bzw. 4), in der Dynamik abgerutscht (14, minus 2).
> Wo die Zukunft wohnt: Darmstadt verteidigt seinen Spitzenplatz im Zukunftsranking. Akademiker, Ingenieure, Jobs in Forschung und Entwicklung – alles Werte mit Top-10-Platz. Hinzu kommen so viele Absolventen in MINT-Fächern wie nirgendwo; verbesserungswürdig ist die Glasfaserversorgung.
> Aufbau Ost: 30 Jahre nach dem Mauerfall ist Berlin die Stadt mit der dynamischsten Entwicklung; auch Leipzig hat sich in die Top-10 vorgearbeitet (9). Dahinter machen Potsdam und Dresden große Sprünge (Rang 19 und 20). Andere Ost-Städte wie Halle, Cottbus und Chemnitz verharren bei Ist-Zustand und Dynamik in trostlosen 50er-Rängen fest.
Lichtblick im Zukunfts-Index ist Jena (Rang 5): Die Ansiedlung von Forschungsinstituten macht sich in einer Akademikerquote von 32,5 Prozent bemerkbar. Aktuell gibt es dagegen Rückschläge: Dynamik-Rang 31 (minus 9) und Ist-Zustand Rang 22 (minus 5).
> Abgehängt: Am Ende der Ist-Tabelle liegen Bremerhaven (69), Herne (70) und Gelsenkirchen (71); alte West-Industriestandorte bilden auch das Ende der Dynamikliste (Hagen, Duisburg, Salzgitter) und des Zukunfts-Index (Hamm, Herne, Bottrop).
> Rhein-Neckar-Region: Heidelberg gehört beim Ist-Zustand zu den größten Verlierern – ein mit Vorsicht zu genießender Befund. Mannheim (23, plus 1) zieht vorbei, in der Dynamik (33, plus sieben) schließt es praktisch auf. Positiver Ausreißer der Quadratestadt ist die geringe Jugendarbeitslosigkeit (Rang 2), in den Top-10 liegt die Zahl der Gründungen (43 pro 10.000 Erwerbsfähigen).
Ludwigshafen reicht weder bei Ist-Zustand (Rang 34, unverändert) noch bei Dynamik (53; minus 8) oder Zukunft (43, minus 11) an die Nachbarn heran. In die Top-10 schaffen es aktuell das hohe BIP pro Kopf, die Produktivität und die geringe Gewerbesteuer. Bedenkliche Fünf-Jahres-Trends sind ein sinkender Pendlersaldo (Rang 67), der weniger Arbeitsplätze pro Einwohner anzeigt, und die sinkende Steuerkraft. Im Zukunfts-Index liegt LU bei der Industrie 4.0 recht gut (Rang 16). In Sachen Forschung gibt es zwar viele Beschäftigte (39 pro 1000 Einwohnern, Rang 4), aber nur wenig Patente (Schlusslicht). Auch in Sachen Kreativjobs, Künstlern und Theaterbesuchen reicht es nur zu hinteren Plätzen.
Karlsruhe kommt mit vorderen Mittelfeldrängen bei Arbeitsmarkt (18), Lebensqualität (21) und Immobilienmarkt (21) sowie einer guten Wirtschaftsstruktur (Rang 9) mit vielen wissensintensiven Dienstleistungen erneut auf Rang 12.
> Immobilien: Hohe und steigende Mieten und Kaufpreise schrecken viele ab – bringen in der Studie aber Plus-Punkte. Kempermann erklärt das so: Wo viele Jobs sind und hohe Gehälter, da wollen viele wohnen, da steigen die Preise. Doch während Jobangebot oder Kinderbetreuung von sich aus eine Stadt attraktiv machen, ist der Immobilienmarkt nur ein Indikator, um dies zu messen. Kempermann selbst nennt denn auch die niedrigen Preise im Ruhrgebiet als Chance – ein Widerspruch.
Wie zukunftsfähig ein überhitzter Wohnungsmarkt ist, darauf geht das Ranking nicht ein. Aber: Laut Immoscout liegt München selbst beim „Erschwinglichkeitsindex“, der Preise und Löhne abgleicht, vorne.