Rund 20 Anhänger von „Extinction Rebellion“ bekundeten vor dem Gerichtsgebäude ihre Solidarität mit den neun Angeklagten. Foto: Philipp Rothe
Von Denis Schnur
Heidelberg. Es war der erste Prozess gegen "Extinction Rebellion" (XR) in Deutschland – und er endete mit einem Erfolg für die Klimaschutz-Bewegung. Neun Menschen im Alter von 21 bis 27 Jahren mussten sich am Mittwoch vor dem Heidelberger Amtsgericht für eine Brückenblockade verantworten, wurden jedoch freigesprochen. Die Aktivistinnen und Aktivisten, die zum größten Teil in Heidelberg studieren, gaben zwar zu, dass sie am 22. Mai 2019 – mit rund 140 anderen – die Theodor-Heuss-Brücke blockiert hatten, um Aufmerksamkeit auf die Klimakrise zu lenken. Aber Richter Reiner Wolf sah – im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft – dadurch den Straftatbestand der Nötigung nicht erfüllt.
Dass die Klimaschützer durch ihre Aktion, die um 14 Uhr begann und ab 14.36 Uhr von der Polizei aufgelöst wurde, Zwang auf die Autofahrer ausgeübt hatten, war dabei unstrittig. Schließlich mussten diese einige Minuten warten, ausweichen oder einen Umweg fahren. Jedoch, so argumentierte der Richter, "war die Sache für mich nicht verwerflich". Denn nur, wenn Zwang unangemessen und sozial unverträglich ist, wird er zur Straftat. Damit hatte er bestätigt, was er im September 2019 schon einmal entschieden hatte, als er Geldstrafen für die Aktivisten mit derselben Begründung abgelehnt hatte. Weil die Staatsanwaltschaft dagegen Beschwerde eingelegt hatte, kam es überhaupt erst zu dem Prozess.
Damals wie heute argumentierte der Amtsrichter, dass das Anliegen, für Klimaschutz zu werben, natürlich legitim sei. Außerdem adressiere man es mit einer Straßenblockade unmittelbar an Autofahrer (Fußgänger, Radfahrer, Busse und Bahnen konnten die meiste Zeit vorbeifahren), und zeitgleich zu der Aktion fand wenige Hundert Meter weiter in der Stadthalle die internationale Klimakonferenz statt. Zudem ist der Richter der Ansicht, dass die Auswirkungen verkraftbar gewesen seien: So habe die Aktion inklusive Räumung eine Stunde gedauert – "das hielt sich in Grenzen". Außerdem hätten Autofahrer auf die Ernst-Walz-Brücke ausweichen können – und seien zudem Schlimmeres gewohnt: "Der Umbau des Hauptbahnhofs hat sicher mehr Leute in den Wahnsinn getrieben."
Vor allem den letzten Punkt sah die Staatsanwältin anders: "Die Brücke ist ein Hauptverkehrsknotenpunkt", argumentierte sie und forderte eine Verurteilung der Angeklagten wegen Nötigung. Denn die Autofahrer seien ihrer Ansicht nach zu unverhältnismäßig großen Umwegen gezwungen worden. "Das sehe ich schon als massive Betroffenheit an." Und weil sie zwar Verständnis für das Anliegen der Bewegung habe, jedoch auch eine "große Wiederholungsgefahr" sehe, forderte sie eine Geldstrafe von je 15 Tagessätzen.
Als der Richter dem nicht nachkam und stattdessen den Freispruch verkündete, war die Freude bei den Angeklagten natürlich groß. "Wir freuen uns sehr", erklärte die Heidelberger Studentin Nadja Lang im Anschluss. "Dass der erste Prozess gegen unsere Bewegung in Deutschland so endet, ist ein schönes Zeichen." Zwar sei man zuversichtlich gewesen, aber: "Die letzten Tage waren natürlich trotzdem nochmal super stressig", ergänzte Maximilian Solfrank, der ebenfalls angeklagt war.
Und auch, wenn sie der Staatsanwältin sonst kaum zustimmten, gaben die Aktivisten ihr in einem Punkt doch recht: "Es stimmt, die Wiederholungsgefahr ist gegeben", so Jochen Stadler, Pressesprecher von XR Heidelberg, nach der Verhandlung. "Wir sehen friedlichen zivilen Ungehorsam immer noch als bestes Mittel, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Und jetzt hat das Gericht bestätigt, dass er nicht verwerflich ist." Auch die Angeklagten wollen sich nach dem juristischen Erfolg weiter an ähnlichen Aktionen beteiligen: "Es hat sich ja noch nichts getan, was die Klimakrise verhindern könnte", betonte Lang.
Das Urteil ist rechtskräftig, wenn die Staatsanwaltschaft keine Berufung einlegt.