Sechs Kandidaten, eine Konferenz: Benjamin Brandstetter, Anja Boto, Sahra Mirow, Timethy Bartesch, Daniel Al-Kayal (von links oben im Uhrzeigersinn) und Theresia Bauer (unten) diskutierten unter der Moderation von RNZ-Redakteur Sören Sgries. Screenshot: RNZ-Repro
Von Philipp Neumayr
Heidelberg. Der 14. März steht vor der Tür. An diesem Tag wählen die Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg den Landtag für die kommenden fünf Jahre. Die Kandidatinnen und Kandidaten im Wahlkreis Heidelberg diskutierten am Freitagabend auf Einladung des Stadtteilvereins Emmertsgrund und des Kulturkreises Emmertsgrund-Boxberg über die drängenden Fragen der Zeit.
Bei dem virtuellen Zoom-Gespräch dabei waren Ministerin Theresia Bauer (Grüne), Anja Boto (CDU), Daniel Al-Kayal (SPD), Timethy Bartesch (AfD), Benjamin Brandstetter (FDP) und Sahra Mirow (Die Linke). RNZ-Politikredakteur Sören Sgries moderierte, für technische Unterstützung sorgten der Stadtjugendring und das Stadtteilmanagement Emmertsgrund. Auszüge der Diskussion im Überblick:
> Sozialer Zusammenhalt: "Wir halten ganz ordentlich zusammen", findet Theresia Bauer, seit 2001 für die Grünen im Landtag und seit 2011 Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Das bedeute aber nicht, dass es in Baden-Württemberg nichts zu tun gebe. "Wir müssen härter daran arbeiten, dass Kinder eine bessere Chance über Bildungsaufstiege haben, auch zugewanderte Menschen."
Für Sahra Mirow ("Linke") ist der soziale Zusammenhalt in erster Linie eine materielle Frage. "Es sind Einkommen bis 1500 Euro netto, die durch Corona die größten Verluste zu verzeichnen haben", sagte sie. Die Kosten der Krise könnten nicht von den kleineren und mittleren Einkommen geschultert werden. Mirow fordert: "Wir müssen über Umverteilung reden." Und meinte damit: eine Sonderabgabe für Multimillionäre und Multimilliardäre.
"Wenn wir über Solidarität sprechen, wird daraus immer sehr schnell eine Neiddebatte", sagte hingegen Benjamin Brandstetter (FDP). Für den 23-jährigen Geschichtsstudenten ist eine Vermögensabgabe als Antwort auf wachsende soziale Ungerechtigkeit keine Option. Man befinde sich nicht nur in einer sozialen Krise, sondern auch in einer Wirtschaftskrise. "Wenn wir jetzt Unternehmen, die wir eben noch gerettet haben, dazu auffordern, eine Abgabe zu zahlen, fahren wir den Karren wirklich an die Wand."
Mehr soziale Gerechtigkeit erreiche man generell nicht durch einen Erlass der Kita-Gebühren. Dieser Meinung ist nicht nur Brandstetter, sondern auch Anja Boto (CDU) und Ministerin Bauer. "Eine gebührenfreie Kita klingt so sozial, ist aber letztlich ein Entlastungsprogramm für die Mittel- und Besserverdiener", sagte Bauer. Sie – und darin war sie sich mit fast allen anderen Kandidaten einig – sprach sich dafür aus, stattdessen Erzieherinnen und Erzieher besser zu bezahlen, mehr Geld in die personelle Ausstattung von Kitas und in die individuelle Förderung von Kindern zu investieren.
> Wohnen: "Wir haben in Heidelberg nicht genügend Wohnraum", sagte Anja Boto. Das Mietpreisniveau könne sich hier kein Normalverdiener mehr leisten. Sie plädiert dafür, den Sozialwohnungsbau stärker in den Blick zu nehmen – und sich dafür einzusetzen, dass mögliche Fördergelder von Bund und Land auch abgerufen werden.
"Wir brauchen eine Landesbaugesellschaft, die in sozialen Wohnungsbau investiert", sagte Daniel Al-Kayal (SPD). Zudem müssten die Ballungsräume entzerrt werden, durch Maßnahmen wie ein Zweckentfremdungsverbot oder einen Mietendeckel.
Für Sahra Mirow gäbe es mit den vielen Konversionsflächen in Heidelberg derzeit "eigentlich gute Möglichkeiten, zu handeln". Nur würden diese nicht genutzt. Sie fordert deshalb: "Wir müssen in Patrick-Henry-Village den großen Wurf schaffen für bezahlbares Wohnen."
> Die Zukunft des Ankunftszentrums: Die Entwicklung von Patrick-Henry-Village (PHV) sei ein Pilotprojekt für einen klimaneutralen Stadtteil – eine einmalige Chance, wie Boto findet. Diesen Stadtteil mit einem Ankunftszentrum in seiner Mitte zu entwickeln, das funktioniere nicht, sagte sie.
SPD-Kandidat Al-Kayal kritisierte, dass es "bis heute keine Machbarkeitsstudie" für ein Ankunftszentrum auf PHV gebe. "Wir können nicht an der Sachlage diskutieren, weil das Land sich querstellt." Ein Punkt, in dem Ministerin Bauer zustimmte. Im Moment wisse man nicht, ob die Wolfsgärten als Ort für das Ankunftszentrum machbar seien. CDU-Innenminister Thomas Strobl müsse nun schnell den Raumbedarf definieren und das Finanzministerium dann eine Machbarkeitsstudie erarbeiten. Bauer gibt die Hoffnung noch nicht auf, dass die Heidelbergerinnen und Heidelberger beim Bürgerentscheid am 11. April auf dieser Grundlage entscheiden können.
Für Timethy Bartesch (AfD) indes ist die Frage, wo das Ankunftszentrum hinkommt, völlig uninteressant. "Wir wollen gar kein Ankunftszentrum in Heidelberg", sagte er. Seine Partei werde gegen die Wolfsgärten und jeden anderen Stadtteil stimmen.
> Bildungssystem: Sollte das Modell einer Gesamtschule, wie sie etwa in der Waldparkschule im Boxberg funktioniert, auch im Land Schule machen? Ja, findet Sahra Mirow. Ihre Partei wolle die Gemeinschaftsschule zum Standard machen. "Eine wirklich solidarische, gemeinschaftliche Gesellschaft erreicht man auch dadurch, dass Kinder länger miteinander lernen."
Daniel Al-Kayal fordert vielmehr die Einführung eines "Zwei-Säulen-Modells": das Gymnasium bleibt, zugleich werde das Modell Gemeinschaftsschule etabliert, das den Weg zum Abitur ebenfalls möglich macht. Anderer Meinung sind Boto und Brandstätter: Sie wollen Kinder gezielt nach ihrer Begabung fördern, auch wenn Boto Gemeinschaftsschulen "als zusätzliches Angebot" grundsätzlich begrüßt.
> Klimaschutz: "Wir sind in einem Wettrennen gegen die Klimakrise. Die Ziellinie ist die CO2-Neutralität", sagte Al-Kayal. Er ist für einen Ausbau von Photovoltaik und Windrädern. Das schaffe Arbeitsplätze vor Ort, genauso wie die energetische Sanierung von Gebäuden im Handwerk.
Benjamin Brandstetter findet, Klimapolitik werde zu stark "in Verboten, in einer Lenkung unserer Wirtschaft" gedacht. Er will der Krise mit Innovation und Fortschritt begegnen. Auch Anja Boto sieht im Klimaschutz vor allem eine Chance für die Innovation und damit für die Wirtschaft, während AfD-Kandidat Timethy Bartesch erklärt, das Klima habe "keinerlei Priorität für uns". Das Ziel seiner Partei sei es, den Wohlstand der Leute zu mehren, das Lebensgefühl der Leute zu verbessern. "Wir wollen nicht, dass Leute ihr Leben einer Klimareligion unterordnen müssen."
Ministerin Bauer versprach für eine künftige Regierungsbeteiligung schon einmal, das Thema "ganz vorne anzustellen", denn: Das Zeitfenster sei klein. "In den nächsten zehn Jahren entscheidet sich, ob wir das 1,5 Grad-Ziel schaffen."