Jahresrückblick 2017

Die Heidelberger Amokfahrt - Tat eines Schwerkranken

Ein halbes Jahr nach dem Tod eines Passanten wird der Fahrer verurteilt - Er ist nicht schuldfähig und muss dauerhaft in die Psychiatrie

29.12.2017 UPDATE: 30.12.2017 06:00 Uhr 1 Minute, 34 Sekunden

Den Mietwagen, der aus der Bergheimer Straße kam, stoppte auf dem Bismarckplatz nur der Aufprall gegen einen Pfeiler des Vordachs. Foto: Alex

Von Micha Hörnle

Heidelberg. An jenem Fastnachtssamstag, an dem ein Auto auf dem Bismarckplatz in Passanten fuhr, waren sich manche sofort ganz sicher: Das war ein Anschlag, der Fahrer habe bei seiner Festnahme "Allahu akbar" gerufen. Doch diese Voreiligen saßen ein paar Monate später nicht im Gerichtssaal.

Genau ein halbes Jahr nach der Amokfahrt fiel das Urteil gegen Matthias K., einem 35-jährigen Deutschen ohne ausländische Wurzeln: Er muss - wenn er sich nicht zur Therapie entschließt - sein weiteres Leben in der Psychiatrie verbringen. K. ist kein Islamist, er ist "nur" schwer krank - Diagnose: paranoide Schizophrenie. So plötzlich die Amokfahrt kam, sie hatte doch ihre Vorgeschichte: Matthias K. baute bereits im November 2016 einen Unfall - wohl um sich umzubringen. Er kam in eine Klinik, lief zwei Mal weg, sah sich bald von der ganzen Welt verfolgt. In seiner Ziegelhäuser Wohnung schob er einen Schrank vor die Tür und hortete Messer, um sich vor Eindringlingen zu schützen.

An seiner Arbeitsstelle nahm sich die wissenschaftliche Hilfskraft, die auch als Student eingeschrieben war, lange frei, in der Zwischenzeit mietete er sich über Wochen einen Leihwagen. Mit dem reiste er einen Tag vor der Tat am Bismarckplatz sogar in die Schweiz. Er wollte in der russischen Botschaft Asyl beantragen. Auf dem Weg zurück nach Heidelberg hatte er ursprünglich den Plan, direkt von der Autobahn zum Polizeirevier Mitte in der Römerstraße zu fahren, um dort einen Anschlag zu verüben, überlegte es sich aber anders und lenkte das Auto von der Bergheimer Straße kommend auf dem Bismarckplatz in eine Menschenmenge.

Für Richter Edgar Gramlich ist klar, dass er dadurch in Kauf nahm, andere Personen zu verletzen oder gar zu töten: Matthias K. sieht das anders: Das Auto habe sich selbstständig gemacht. Er selbst sah bei sich keine Schuld, obwohl er den 73-jährigen Passanten Albert F. derartig schwer verletzt hatte, dass er kurz darauf in der Kopfklinik starb. Der Senior hinterlässt eine gebrechliche Lebensgefährtin, deren größter Wunsch es ist, in der gewohnten Umgebung zu bleiben - was bei ihrer knappen Rente schwierig ist. Auch deswegen initiierte die RNZ zusammen mit dem Ernst-Körner-Fonds aus Dielheim eine Spendenaktion.

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Nicht nur die Angehörigen des Toten müssen mit dem Urteil zurechtkommen, sondern auch einer der Verletzten vom Bismarckplatz: Der junge Arzt Joe P. erlitt schwere Prellungen, half aber sofort Albert F.. Seit der Tat am Bismarckplatz ist er in psychologischer Betreuung. Ihn verfolgt seitdem der Gedanke, dass er als Arzt Albert F. nicht retten konnte.

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