„Sie glauben ja gar nicht, was diese Stirnlampenleute für das Wild bedeuten“, sagen Volker Rutkowski und Heinz Kaltschmidt (v.l.) von der Heidelberger Jägervereinigung. Foto: Rothe
Von Holger Buchwald
Heidelberg. Königstuhl und Heiligenberg liegen derzeit in einer traumhaften Winterlandschaft. Sie wird auch an diesem Wochenende wieder viele Spaziergänger und Hundebesitzer anlocken. Zu viele, befürchten Heinz Kaltschmidt und Volker Rutkowski von der Heidelberger Jägervereinigung: Das Wild brauche Ruhe. Angesichts zweier Vorfälle mit Wildschweinen im Stadtgebiet am letzten Wochenende fordern sie die Spaziergänger zur Rücksichtnahme auf. Dabei war eine Frau von einem Borstentier in der Weststadt umgerannt worden, und eine panische Sau hatte sich in Rohrbach so schwer verletzt, dass sie getötet werden musste.
Es gab zwei dramatische Vorfälle mit Wildschweinen innerhalb kürzester Zeit. Ist das ein Zufall?
Kaltschmidt: Nein. Es sind einfach zu viele Menschen im Wald unterwegs. Und zwar zu einer Zeit, in der das Wild Ruhe sucht. Wenn die Tiere gestört werden, geraten sie in Panik und sind innerhalb kürzester Zeit mitten in der Ortschaft.
Rutkowski: Der Stadtwald ist am Wochenende für viele ein regelrechter Vergnügungspark. Coronabedingt wollen alle ins Freie, und Heidelberg ist ein beliebtes Ausflugsziel. Auf dem Königstuhl sieht man Autos mit Nummernschildern aus Frankfurt, Heppenheim, aus der Pfalz. Sie alle wollen hier rodeln. So einen Ansturm ist das Wild nicht gewohnt. Die Wildtiere fühlen sich bedrängt.
Was haben die Vorfälle in der Weststadt und in Rohrbach gemeinsam?
Rutkowski: Beide Tiere waren in Panik. Das sieht man auch daran, dass die Frau, die umgerannt wurde, von der Bache gebissen wurde. Normalerweise rennen Wildschweine eher davon und sind nicht aggressiv.
Kennen Sie noch weitere Vorfälle?
Kaltschmidt: Am selben Wochenende sind zwei Rehe an einer Treppe bei der Bergbahn in ein Gitterrost geraten. Beide Hinterläufe waren gebrochen. Sie mussten auch getötet werden. Es handelte sich um ein Muttertier und ein Jungtier aus dem letzten Jahr.
Wieso braucht das Wild derzeit Ruhe?
Rutkowski: Das Rehwild hat derzeit Ruhezeit, bei den Böcken und Schmalrehen dauert sie bis zum 1. Mai. Wir dürfen derzeit nur Schwarzwild jagen, aber auch nur, um die Verbreitung der Afrikanischen Schweinepest zu verhindern.
Kaltschmidt: Die Geißen sind schon hochträchtig und daher auch nicht mehr so schnell, dass sie vor Hunden davonrennen könnten.
Apropos frei laufende Hunde: Sie haben vermutet, dass das Rohrbacher Wildschwein von einem Hund gehetzt worden war. Warum?
Kaltschmidt: Das ist meine Vermutung. Sie liegt nahe, weil sich in letzter Zeit einige solcher Vorfälle in der Region ereignet haben. Es könnte aber auch ein Spaziergänger gewesen sein.
Können auch ganz normale Spaziergänger das Wild stören?
Rutkowski: Wenn sie auf den Wegen bleiben nicht.
Kaltschmidt: Wir haben es doch erlebt, als der erste Schnee gefallen ist. Da hat die Polizei oben auf dem Königstuhl Straßen abgesperrt. Die Leute haben aber weiter unten geparkt und sind querfeldein durch den Wald spaziert. Wir würden es begrüßen, dass bereits im Tal die Zufahrtsstraßen abgesperrt werden, um das zu verhindern, besonders am Wochenende.
Sie können den Leuten doch nicht auch noch verbieten, in den Wald zu gehen?
Rutkowski: Das wollen wir auch gar nicht. Sie sollen sich nur an die einfachen Regeln halten: immer auf den Wegen bleiben, Hunde anleinen, laute Geräusche wie Autohupen oder Rufen vermeiden, keinen Müll liegenlassen. Und sie sollen bitte vor Einbruch der Dunkelheit wieder den Wald verlassen. Die ganzen Stirnlampenleute, die derzeit unterwegs sind, Sie glauben ja gar nicht, was das für das Wild bedeutet.
Aber Hunde müssen doch im Wald gar nicht angeleint werden.
Kaltschmidt: Das stimmt. Aber dann muss der Hund auch gehorchen und auf dem Weg bleiben. Wenn er im Wald herumspringt, ist das Stress für das Wild.
Rutkowski: Außerdem könnte die Stadt problemlos und auf gesetzlicher Grundlage die Regeln ändern.
Wie denn?
Rutkowski: Im baden-württembergischen Jagdrecht gibt es den Paragrafen 51, der der zuständigen Kommune die Möglichkeit gibt, Regeln für eine bestimmte Zeitdauer zu erlassen, damit das Wild nicht gestört wird: Das umfasst einen Leinenzwang für Hunde, aber auch Spaziergänger dürften die Wege im Wald nicht verlassen. Aber keine Kommune hat sich das bisher getraut. Gerade Heidelberg als Ausflugsziel sollte hier Vorreiter sein.
Kaltschmidt: Diese Regeln zu beachten, empfehle ich übrigens auch im Interesse der eigenen Sicherheit. Einige Bachen haben derzeit schon Frischlinge. Und wenn ein Spaziergänger sich den Jungen einer Bache nähert, greift sie als Muttertier unvermittelt an.