Nicht nur außen, auch von innen wurde die Kirche gründlich überholt, die Stuckdecke wurde komplett gereinigt und dabei in Teilen auch retuschiert. Gebaut wurde sie Mitte des 17. Jahrhunderts auf Geheiß von Kurfürst Karl Ludwig. Foto: Philipp Rothe
Von Diana Deutsch
Heidelberg. Unter den vier großen Altstadtkirchen ist sie die zurückhaltendste. Und die unbekannteste. Fast scheu reiht sich die Providenzkirche in die Häuserzeile der Hauptstraße ein. Dabei wurde Providenz einst als Manifest erbaut. Für Toleranz und Religionsfreiheit. Und dafür, dass die Liebe zwischen zwei Menschen alle Konventionen überwinden kann. In den vergangenen drei Jahren wurde Providenz komplett renoviert. Am kommenden Sonntag wird sie nun feierlich wiedereröffnet. Ein Kirchenbesuch.
Heidelberg im Jahr 1649: Wüstes Land, der Dreißigjährige Krieg hatte die Residenz ausgezehrt. Die Häuser verfielen, die Menschen in Lumpen, klapprige Kühe stakten durch den Schlamm. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hatte der Krieg dahingerafft. Jetzt hielt ein neuer Kurfürst Einzug. Karl Ludwig, Sohn des "Winterkönigs", war ein pragmatischer Mann. Mit nüchternem Unternehmerblick erkannte er den enormen Personalbedarf seines Landes und handelte. "Kommt in die Kurpfalz", ließ Karl Ludwig, der strenggläubige Calvinist, in ganz Europa verkünden. "Hier gibt es kostenloses Land und Religionsfreiheit."
Die Kurpfalz als Zuflucht für Glaubensflüchtlinge aller Couleur – das war neu, eine Sensation, und hat funktioniert. Mennoniten kamen, Wiedertäufer und Sabbatianer. Im reformierten Heidelberg gab es bald wieder eine jüdische, eine katholische und eine lutherische Gemeinde. 1651 wurden Universität und Schulen wiedereröffnet. Heidelberg brummte.
Karl Ludwig hätte sich nun gelassen auf seinem Thron zurücklehnen können, wäre da nicht der Ärger mit der Gattin gewesen. Kurfürstin Charlotte war eine höchst eigenwillige Person. Zwei Kinder hatte das Paar, Lieselotte und Karl, doch seit geraumer Zeit herrschte Krieg im Ehegemach. Kein Zustand, den ein absoluter Herrscher bereit war hinzunehmen. Karl Ludwigs Blick fiel auf die sanfte Hofdame Luise von Degenfeld, die er 1657 sogar heiratete. Zur linken Hand, denn die Kurfürstin hat nie in eine Scheidung eingewilligt.
Karl Ludwig und Luise – eine große Liebe. 13 Kinder sind ihr entsprungen – allesamt nicht erbberechtigt. Weshalb der Kurfürst seiner Herzensdame wenigstens ihren größten Wunsch erfüllen wollte: Luise glaubte lutherisch und sehnte sich nach einer Kirche für ihre Gemeinde, die immerhin 3000 Mitglieder zählte. Als Namen für das neue Gotteshaus wählte Karl Ludwig seinen eigenen Wahlspruch: "Dominus providebit" – "Der Herr wird sorgen." 1659 wurde der Grundstein für Providenz gelegt, 1661 war die Kirche fertig.
Nie zuvor hatte man eine Kirche gesehen, die so exakt auf den lutherischen Gottesdienst zugeschnitten war. Zwei elegante Emporen übereinander umrahmten von drei Seiten den turmlosen Saal. Die gesamte Ostwand des Langhauses blieb der Kanzel vorbehalten. Im Chor stand der Altar, über dem hoch und mächtig die Orgel aufragte. Eine Altar-Orgel-Schauwand. Das war neu, innovativ, und fand schnell Nachahmer in ganz Europa. Die Heidelberger Providenzkirche wäre heute weltberühmt, wenn irgendetwas übrig geblieben wäre vom ursprünglichen Bau.
Doch Providenz stand nur knapp drei Jahrzehnte. 1685 starb der neue Kurfürst Karl II., nur 34 Jahre alt und kinderlos. Seine Schwester Lieselotte war da die Schwägerin des französischen Sonnenkönigs, was Ludwig XIV. als Vorwand nutzte für die Annexion und Zerstörung der Kurpfalz. 1693 ging Heidelberg in Flammen auf. Von Providenz blieben nur die Außenmauern.
Doch Lutheraner sind zäh. 40 mühselige "Kollektenreisen" durch ganz Deutschland unternahm man, dann hatte die Providenzkirche wieder eine Zukunft. Der Neubau entstand im modernen Stil des Barock. Mansarddach, stattlicher Glockenturm, elegante Zwiebel mit Kreuz und Hahn. Der barocke Innenraum kopierte die Vorgängerkirche: Eine Altar-Orgel-Wand im Chor, doppelte Emporen an drei Seiten und die Kanzel solo im Osten. Neu waren die Ausmalung der Decke und der Emporen. Zahllose starkfarbige Bilder erzählten biblische Szenen. Die Dreifaltigkeitskirche in Speyer ist eine Schwesterkirche von Providenz. Hier erhält man eine Vorstellung davon, wie das Heidelberger Gotteshaus früher ausgesehen hat.
Dann kam der Evangelische Oberbaurat Hermann Behaghel. Der Großmeister des Historismus konnte mit der Üppigkeit des Barock nichts anfangen. Die Doppelempore und die Altar-Orgel-Wand wurden abgebrochen, lediglich das opulente Marmorgrabmal für Eleonora Charlotte von Bettendorf überlebte. Es stammt aus der Werkstatt von Paul Egell und ist heute das schönste Barockgrabmal Heidelbergs.
Als Behaghel seine Renovierung abgeschlossen hatte, zierte nur mehr ein Glasfenster mit einer monumentalen Christusdarstellung den entleerten Chorraum. Die neue eingeschossige Empore ist eher schlicht ausgefallen, ebenso wie der Tischaltar im seltenen Stil der "Neo-Renaissance". Die Kanzel steht heute versteckt schräg hinter dem Altar. Nur die Orgel von Mathias Burkard war ein Volltreffer. Sie zählt zu den besten Instrumenten der Stadt.
Doch man darf nicht undankbar sein. Die neue Leere von Providenz lässt auch Raum für liturgische Experimente jeder Art, über die Grenzen der Konfessionen und Religionen hinweg. Karl Ludwig und seiner Luise würde das gefallen. Und wer erleben will, wie atemberaubend die Providenzkirche noch immer sein kann, dem sei ein Besuch zur Mittagsstunde empfohlen. Wenn die Sonne direkt im Süden steht, erglüht der überlebensgroße Christus.