Von Jonas Labrenz
Heidelberg. Ludwig Schmidt-Herb ist ein Stadtteil-Chronist, der Geschichte nur aus der Not heraus studierte, war jahrzehntelang selbstständiger Buchhändler, obwohl er Beamter werden wollte, und 17 Jahre lang Schriftführer im Stadtteilverein – dabei wollte er eigentlich nur kurz aushelfen. Schon als Kind verliebte sich der gebürtige Allgäuer in die Stadt, als Erwachsener in seinen Stadtteil. Der 75-Jährige hat sich immer wieder ins Ungewisse gestürzt, und ist dabei nie auf die Nase gefallen: Eine höhere Macht habe es immer gut mit ihm gemeint – "wie man sie auch nennen mag", sagt er.
In seinem Haus in Rohrbach werkelt Schmidt-Herb immer noch fleißig an seiner Stadtteilchronik. Seit fast 25 Jahren ist es sein Projekt. 2016 erschien sie in Buchform und ist heute bereits 75 Seiten länger. "Es ist work in progress", sagt Schmidt Herb. Der USB-Stick mit der Originaldatei steckt im Computer, in den Regalen stapeln sich Bücher, alle Ausgaben des "Blick in die Stadtteile" der RNZ sind in Ordner abgeheftet, im Nebenraum hängt ein alter E-Bass an der Wand. Seit 1983 lebt er hier – zehn Jahre lang war im Erdgeschoss sogar seine Buchhandlung untergebracht.
Zum Wintersemester 1968 kam Schmidt Herb in Heidelberg an: "Direkt in den brodelnden Hexenkessel." Die Stadt war da schon lange ein "Sehnsuchtsort" für ihn. Bereits als Kind, auf dem Weg zur mütterlichen Verwandtschaft in der Pfalz, hat Schmidt-Herb immer aus dem Zugfenster gesehen, er kam aus dem verschneiten Allgäu "und hier blühten schon die Kirschbäume", erinnert er sich. Sein Vater war Dorfschullehrer, wurde immer wieder versetzt. Und Schmidt-Herb wuchs "im Kuhmist" dieser bayerischen Bauerndörfer auf.
Eingeschrieben hatte sich Schmidt-Herb für ein Lehramtsstudium: Germanistik und Geschichte. "Deutsch wollte ich auf jeden Fall machen", erzählt er, Geschichte studierte er "aus der Not heraus", denn Germanistik auf Lehramt konnte man nicht mit jedem Fach kombinieren. Diese Entscheidung sollte ihn später wieder einholen – und die Arbeit als Historiker ihn schließlich begeistern: "Alle Epochen haben heute einen Duft bekommen, ich kann mich in sie hineinfühlen."
Während des Lehramtsstudiums merkt Schmidt-Herb, dass er kein Lehrer werden möchte. Und am letzten Tag der Anmeldefrist für das Staatsexamen trägt er sich aus. "Sechs Wochen später habe ich meine erste Buchhandlung eröffnet. Das war eine "Befreiung und Erlösung", sagt Schmidt-Herb: "Ich habe mir selber einen Beruf gegeben, ohne Vorgesetzten oder Beurteilungen."
In der Römerstraße, zwischen Blumen- und Kaiserstraße, empfing Schmidt-Herb ab 1977 seine Kunden. Viele davon aus dem Kreis der Gründer der 1975 ins Leben gerufenen links-alternativen Zeitung "Heidelberger Rundschau". "Ich wusste: Mit diesen Leuten brauchte ich mir keine Sorgen um meine wirtschaftliche Existenz machen", sagt Schmidt-Herb.
"Musebrot" nennt Schmidt-Herb seine Buchhandlung, nach der Weststadt, dem "Musebrot-Viertel". "Das hat mir so gefallen", sagt Schmidt-Herb, dass er den Namen übernahm. "Aus Respekt und Ehre vor der Weststadt, die ich so geliebt habe." Doch 1992 musste die Buchhandlung schließen. Die Vermieterin war gestorben, mit den Erben gab es Meinungsverschiedenheiten. "Eine böse Geschichte", sagt Schmidt-Herb. Er ging und räumte in seinem Haus das Erdgeschoss leer. Zehn Jahre betrieb er seine Buchhandlung dort weiter.
Mitte der Neunzigerjahre – Schmidt-Herb war mittlerweile fest in Rohrbach verwurzelt – sprach ihn Gustav Knauber an: "Sie haben doch Geschichte studiert, wir bräuchten jemanden, der uns mit dem Heimatmuseum hilft", erinnert sich Schmidt-Herb. Es war die Zeit, in der die damalige Oberbürgermeisterin Beate Weber die Bürgerämter in den Stadtteilen aufgebaut hat. Das "Alte Rathaus", ehemals Sitz des Museums, wurde gebraucht, es zog in eine alte Bäckerei. Schmidt-Herb half beim Einrichten, schrieb kleine Erklärungstafeln: "So bin ich zur Rohrbacher Geschichte gekommen. Vorher hat es mich eigentlich nicht so interessiert", gesteht er.
1996 eröffnete das neue Museum. "Es waren alle Promis da", erinnert sich Schmidt-Herb. Natürlich auch Karl-Heinz Frauenfeld, der Anfang der Achtzigerjahre die letzte Stadtteilchronik geschrieben hatte. "Sie wären doch der Mann, meine Chronik weiterzuschreiben", sagte Frauenfeld nun dem studierten Historiker. "Das war natürlich ein Ritterschlag", freut sich Schmidt-Herb. Doch in der Chronik fehlten die Quellenangaben. "Und das war für mich doch die Grundlage als Historiker, dass man alles belegen muss." Schmidt-Herb sammelte erst einmal in einer Excel-Tabelle auf dem Computer die historischen Ereignisse in Rohrbach, zu denen er in Kleinarbeit die Quellen sammelte. Daneben stellte er die Ereignisse in der Kurpfalz und Umgebung und das Weltgeschehen. Irgendwann nahm die Datei solche Ausmaße an, dass Schmidt-Herb sicher war, niemals ein Buch daraus zu machen: "Das Material war nicht mehr beherrschbar als Buch."
Ein Jahr nach der Eröffnung des Museums wird Schmidt-Herb wieder angesprochen: "Du kannst doch Computer." Eine Fähigkeit, die man im Stadtteilverein gerne beim neuen Schriftführer gesehen hätte. "Ich habe erst gedacht: Was soll ich da?", sagt Schmidt-Herb. Er wollte ein oder zwei Jahre aushelfen. "Am Ende sind es siebzehn geworden." 2014 hörte Schmidt-Herb auf, doch zwei Jahre später feierte der Stadtteil das 1250-jährige Bestehen. "Was ist jetzt mit deiner Chronik? Wir könnten sie jetzt gebrauchen", hieß es. Also machte sich Schmidt-Herb mit seinem USB-Stick auf den Weg zur Druckerei, und lieferte eine 332 Seiten lange Chronik – in Tabellenform.
Seinen zweiten Buchladen eröffnete Schmidt-Herb 2002. Auf dem Weg zur Post fiel ihm auf, dass ein Geschäft zum Verkauf stand. "Und das Glück wollte, dass ich gerade flüssig war." Das Geld kam vom Verkauf des Elternhauses. "Es hat nur darauf gewartet, sinnvoll angelegt zu werden." Um acht Uhr hatte Schmidt-Herb den Laden entdeckt, um 11 Uhr war er mit dem Makler einig, sechs Wochen später eröffnete er die Eichendorff-Buchhandlung. Bis 2016 war Schmidt-Herb Rohrbachs "Ortsbuchhändler". "Und ich wär’s wahrscheinlich heute noch, aber dann kam das Lebensschicksal dazwischen." Schmidt-Herb bekam Herzprobleme, "ein Zeichen von oben". Seine Buchhandlung wird heute als Filiale der Tiefburgbuchhandlung geführt. "Jetzt machen die Buchhändlerarbeit andere." Und Schmidt-Herb widmet sich weiter dem Heimatmuseum – und seiner Chronik: "Ich bin jetzt bei Seite 406. Sie wächst weiter."