Unterstützt von Autorin Ruth Johanna Benrath (Mitte) lernten die Schüler, den Bergsstadtteil Emmertsgrund mit anderen Augen zu sehen - ein Viertel, das reichlich Nischen zum Chillen und Entspannen mit Freunden bietet. Foto: Badawi
Von Selma Badawi
Heidelberg-Emmertsgrund. Boxberg-Boy, Himmelsblick, Polizistin im Augustinum, Aral: Viele bunte Zettel waren auf dem Boden des Medienzentrums verteilt. Die Suhrkamp-Autorin Ruth Johanna Benrath hat sie mit Schlagworten zum Emmertsgrund beschrieben. Für den Präsentationsabend von "Literarisches Block-Chillen" sammelte sie die Gedanken von Schülern der Willy-Hellpach-Schule. Unterstützt durch Lehrerin Maike Lührs und das Stadtteilmanagement hatte sie im Sommer einen Schreib-Workshop veranstaltet.
Dabei sollte Lührs’ Klasse mit ein paar Schülern aus anderen Stadtteilen die Umgebung "literarisch erkunden". Benrath war beeindruckt von manchen Plätzen, die die Jugendlichen ihr gezeigt hatten. Die Berlinerin sagte: "Ich habe mich wahnsinnig gefreut, wie sauber es hier ist. Man hört ja, der Emmertsgrund sei so ein Getto, aber bei uns in Moabit ist es viel dreckiger."
Die drei anwesenden Willy-Hellpach-Schüler genossen die positive Resonanz. Sie selbst äußerten sich kaum über ihre Eindrücke, ließen die Texte sprechen. Vor einer Leinwand mit Fotoshow trugen sie die Werke ihrer Mitschüler vor. Warum über die Hälfte der Autoren fehlte, blieb ungeklärt. Lehrerin Lührs schätzte es umso mehr, dass Projektteilnehmer aus anderen Ecken Heidelbergs gekommen waren.
Die Schüler von außerhalb hatten so manchen Fleck auf dem Emmertsgrund für sich entdeckt: Rachel Groß trug einen Text über den "Himmelsblick" vor. Sie erzählte von Nischen zum Chillen mit Freunden und Möglichkeiten zum Entspannen. Die Schülerin nahm auch den Geruch von Gras wahr, beobachtete merkwürdige Treffen und schilderte traurige Momente: "Gestern habe ich einen Jungen gesehen, er traut sich nicht aus dem Emmertsgrund rauszugehen, weil er Angst hat, geschlagen zu werden."
In dem Workshop verwoben sich Geschichten auf vielen Ebenen: Beobachtungen mit eigenen Empfindungen, Fiktives mit Erlebtem. Ein Raptext von zwei anderen Schülern beschrieb das Bild einer Mutter allein am Küchentisch. Sie wartet auf ihren Sohn, der gerade vor der Polizei flieht. Mit dem Text zeigten die Rapper etwas Persönliches. Weil sie am Präsentationsabend fehlten, wurde ein Video von den Proben gezeigt.
Unter den Anwesenden traute sich ein Nicht-Muttersprachler nach vorne. Hossein Hosseini las einen Text über versuchten Suizid: "Man sieht ihn in der Mitte der Nacht alleine. Er bildet sich Sachen ein und beschwert sich lautstark über sein Leben. Es ist alles zu viel." Der 18-jährige Afghane sprach flüssig und klar. Seit drei Jahren lebt er in Neckargemünd und lernt Deutsch.
Christian Weigl, ein Schüler aus Dossenheim, zog ein Fazit: "Der Emmertsgrund ist aus meiner Sicht nicht der beste Stadtteil, aber auch nicht der schlechteste. Die Leute sind hier freundlich, aber manche muss man ein bisschen auf Distanz halten." Lehrerin Lührs ergänzt: "Wir haben das Projekt durchgeführt, weil der Emmertsgrund oft schlecht wegkommt. Klar, wir haben vor kurzer Zeit diese Einschulung mit der Messerstecherei gehabt, aber trotzdem glaube ich, dass die Schüler mitbekommen haben, dass das hier ein lebenswerter Platz ist."