Heidelberg demonstrierte

Allein am Samstag fanden in der Stadt acht Demos statt

Corona-Maßnahmen-Gegner und deren Gegner trafen in Kirchheim aufeinander. Auf dem Uniplatz ging es um eine bessere Bildungspolitik und am Neckarufer radelte Greenpeace.

24.05.2020 UPDATE: 24.05.2020 21:15 Uhr 6 Minuten, 35 Sekunden
Am Bismarckplatz fand am Samstag eine Mahnwache gegen Rechts statt. Foto: Rothe

Heidelberg. (jola) Das pauschale Versammlungsverbot ist in Heidelberg seit dem 20. April Vergangenheit. Und von einem Verbot ist auch nichts mehr zu spüren: Am Samstagnachmittag fanden acht Demonstrationen im Stadtgebiet statt. Zwischenfälle gab es keine: "Es gab überhaupt nichts, das von polizeilicher Seite ein Einschreiten erforderlich gemacht hätte", erklärte ein Polizeisprecher auf RNZ-Anfrage.

Zur Demo "Unser Grundgesetz" auf dem Parkplatz des Kirchheimer Messplatzes kamen etwa 70 Personen, die Gegendemo "Verschwörungstheoretikern entgegentreten!" hatte etwa 30 Teilnehmer. Das "Bündnis Heidelberg hat Platz, aber nicht für rechts" hatte gleich zwei Demos angemeldet: auf dem Bismarckplatz und zeitgleich auf dem Friedrich-Ebert-Platz. (siehe Bericht weiter unten)

Die Uferstraße war zwischen 13.30 und 14.30 Uhr gesperrt, weil Greenpeace Mannheim-Heidelberg zur Raddemo "Verkehrswende und Klimaschutz: Mehr Platz und Sicherheit für Radfahrer" aufgerufen hatte. (Bericht weiter unten)

Außerdem gab es die Demos "Aufstehen für Julian Assange" am Anatomiegarten und "Grenzenlose Solidarität", eine Seebrücke-Demo, auf dem Uniplatz. Dort demonstrierten auch 150 Eltern bei "Samstags für Schule". (Der Bericht weiter unten)


Besorgte Bürger und Verschwörungstheoretiker

Bei der Anti-Corona-Demo in Heidelberg trafen berechtigte Anliegen auf krude Thesen - Nur 70 Teilnehmer auf dem Messplatz

Einige Teilnehmer zogen mit Deutschland-Fahnen auf den Messplatz in Heidelberg-Kirchheim. Foto: Alex

Von Michael Abschlag

Heidelberg. Die Worte wehen über den halbleeren Platz. Von "Widerstand" ist die Rede und von einer "Diktatur internationaler Konzerne". Davon, dass die Bundesrepublik mit ihren Corona-Beschränkungen an die DDR erinnere. Ein Redner zitiert sogar Richard von Weizsäcker und verweist auf das Hambacher Fest. Doch der Pathos wirkt seltsam deplaziert, und von dem beschworenen Aufstand des Volkes kann in Heidelberg keine Rede sein. Es ist Samstagnachmittag, 15 Uhr, und zur großen Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen auf dem Messplatz in Heidelberg-Kirchheim sind etwa 70 Leute gekommen. Auf der anderen Seite stehen rund 30 Gegendemonstranten. Dazwischen zwei Absperrungen und mehrere Meter Sicherheitsabstand. Aus grauem Himmel fällt Nieselregen.

Die Demonstranten, die unter dem Motto "Unser Grundgesetz" gegen die Beschränkungen protestieren, stehen verstreut um eine Rednertribüne. Mehrere Deutschlandfahnen sind zu sehen, einige tragen Mundschutze mit der Aufschrift "Gib Gates keine Chance", wie sie auch Demonstrationen in anderen Städten zu sehen waren – Hinweise auf die in rechten Kreisen verbreitete Verschwörungstheorie, wonach Bill Gates hinter der Corona-Pandemie stecke. Viele der Besucher wirken allerdings eher wie normale Spaziergänger, die in kleinen Gruppen zusammenstehen – schwer zu sagen, ob sie politisch rechts stehen, oder links, oder ob sie aus reiner Neugierde hier sind. Reden will kaum jemand von ihnen.

Barbara hält Corona nicht für eine Verschwörung. Für sie sind die Maßnahmen aber zu hart.. Das Argument, dass in Deutschland schon überall gelockert wird, will sie nicht gelten lassen. "Die Corona-Verordnung gilt immer noch, die Lockerungen bringen mir da nichts", sagt sie. "Ich arbeite im Kindergarten, und wir können unsere Kinder nicht aufnehmen, weil die Leute nicht arbeiten dürfen. Die Kinder können nicht kommen, und die Eltern können nicht arbeiten gehen. Alles steht still." Sie fordert eine völlige Aufhebung der Maßnahmen. Ob das nicht die Infektionszahlen in die Höhe treiben würde? "Bei uns in der Kita nicht."

Deutlich radikaler in ihren Ansichten ist da Helga. Sie sieht in den Masken einen "Gesslerhut", ein Symbol der Unterdrückung. "Dahinter stecken die Kräfte, die schon zwei Weltkriege gegen Deutschland finanziert und geführt haben, und die heute in unserer Regierung sind", erklärt sie. Wen sie damit meint? "Das möchte ich lieber nicht sagen." Sie verweist nur recht vage auf Schriften von Thorsten Schulte, einem Vertreter der neuen Rechten und Verbreiter von antisemitischen Verschwörungstheorien.

Was derweil von der provisorischen Rednertribüne zu hören ist, klingt nicht sehr viel zurückhaltender. Die Schutzmasken dienten nur dazu "Panik zu erzeugen", heißt es dort, es brauche eine "Renationalisierung" und einen "solidarischen Patriotismus". Und auch hier wird die in rechten Kreisen populäre Behauptung verbreitet, Bill Gates habe bereits öffentlich eine Dezimierung der Weltbevölkerung durch Impfungen gefordert – erwiesenermaßen eine Lüge. "Es darf keine Impfpflicht geben", ruft er unter lautem Applaus – ungeachtet der Tatsache, dass bisher weder die Bundesregierung noch das Robert-Koch-Institut eine solche Pflichtimpfung fordern.

Auf der anderen Seite findet die Gegendemo statt, unter dem Motto "Verschwörungstheoretikern entgegentreten". Das Bild könnte kaum unterschiedlicher sein: Hier sind rote Antifa-Fahnen zu sehen und Plakate, auf einem steht "Verschwörungstheorien töten". "Wir glauben, dass das strukturell antisemitische und antidemokratische Verschwörungstheorien sind, die dort verbreitet werden", sagt einer der Demonstranten. "Das ist eine Mischung aus Rechten, auch NPD-Funktionären, Verschwörungstheoretiker und Reichsbürger, und einigen Bürgern, die besorgt sind."

Insgesamt bleibt es ziemlich ruhig an diesem Tag, wie auch ein Polizeisprecher bestätigt. Das dürfte auch an der überschaubaren Größe der Demonstrationen liegen. Das "Volk" das in den Reden beschworen wurde, ist an diesem verregneten Nachmittag wohl lieber zuhause geblieben.


"Unbefriedigend" für die Kultusministerin

Rund 150 Eltern und Kinder forderten auf dem Uni-Platz eine höhere Priorität für die Bildungspolitik

Mit Plakaten wie „Ich vermisse meine Freunde“ forderten Eltern und Kinder eine sofortige Öffnung von Schulen und Kindergärten. Foto: Philipp Rothe

Von Maria Stumpf

"Samstags für Schule" heißt ihre Losung: Eine neue Eltern-Initiative machte am Samstag zum ersten Mal mit einer Kundgebung auf dem Universitätsplatz auf sich aufmerksam. Rund 150 Erwachsene und Kinder verlangten von der Landespolitik den Beginn des regulären Schulbetriebs mit Präsenzunterricht und die Öffnung aller Betreuungseinrichtungen für Kinder. Grundsätzlich forderten die Teilnehmer einen Strategiewechsel in der Bildungspolitik. "Dieses Thema muss endlich Priorität haben und mehr Tempo aufnehmen", hieß es. Weitere Veranstaltungen dieser Art sollen folgen.

Mit 30 Stunden Anwesenheit in der Schule bis zu den Sommerferien, das heißt zwei Stunden in der Woche, könne kein vernünftiger Unterricht stattfinden, kritisierte Lydia Hilberer vom Veranstaltungsteam die bisherigen Pläne des Kultusministeriums. Auch in einem offenen Brief an Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hatten die Veranstalterinnen bereits betont, dass sie weder den Lockdown noch die Hygiene- und Abstandsregeln infrage stellen, aber für die Kindereinrichtungen praktikable Lösungen erwarten (RNZ vom Samstag).

Anspannung und Unmut waren zu spüren auf dem Uniplatz. "Da wird über Bundesliga, Autoprämie und Restauranteröffnungen diskutiert und wir bleiben mit unseren Problemen alleine", schimpften viele Eltern. "Es ist ja nicht so, dass Corona uns erst wenige Tage beschäftigt." Dass zehn Wochen ohne Kita und Freunde für kleine Kinder eine Ewigkeit sind und daraus auf gar keinen Fall eine Unendlichkeit werden darf, schilderte Catherine Krebs als betroffene Mutter anschaulich mit Beispielen aus ihrem Alltag. Michael Munz berichtete über die Belastungen als Lehrer im digitalen Fernunterricht und auch darüber, wie Schule seiner Meinung nach im Vergleich zum Präsenzunterricht zurzeit funktioniert: "Maximal 20 Prozent Wissensvermittlung und null Pädagogik." Interaktionen seien kaum möglich.

"Wir fühlen uns von der Politik aktuell im Stich gelassen. Die Verantwortung für Bildung wird seit Wochen auf Schulen, Lehrer und Eltern abgewälzt", fasste Mitveranstalterin Anja Titze das Gefühl der Kundgebungsteilnehmer zusammen. Sie und Hilberer erinnerten nicht nur an das Recht aller Kinder auf Teilhabe und Bildung, sondern betonten, dass die gegenwärtige Situation besonders auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie betreffe. "Wie sollen wir denn mit zwei Stunden Präsenzunterricht in der Woche das hinbekommen, noch dazu mit mehreren Kindern in verschiedenen Einrichtungen?" Auch die ausgeweitete Notbetreuung sei da keine Lösung. Längst befürworteten medizinische Fachgesellschaften eine umgehende unbeschränkte Wiederöffnung von Kindergärten und Schulen. Weder der Schutz von Lehrern, Erziehern, Betreuern und Eltern, noch die allgemeinen Hygieneregeln stünden dem entgegen. Die bisherige Politik von Kultusministerin Eisenmann sei nur mit der Note "unbefriedigend" zu bewerten, rief Lydia Hilberer in ihr Megafon. "Eltern müssen jetzt endlich laut werden, sonst passiert gar nichts!" Dafür gab es viel Applaus.


Gerade einmal rund 20 Menschen befuhren am Samstag die autofreie Uferstraße in Neuenheim. Ursprünglich wollten die Aktivisten durch die Berliner Straße fahren. Foto: Rothe

Nur wenige Radler nutzten die freie Fahrt

Bundesweite Aktion von Greenpeace - Uferstraße wurde für eine Stunde zum "Pop-up-Radweg" - Jedoch kaum Menschen unterwegs

Von Maria Stumpf

In vielen europäischen Städten gibt es diese neuen Radwege schon. Nun haben Mitglieder der Greenpeace-Ortsgruppe Mannheim/Heidelberg vor Ort gezeigt, wie man den Platz auf einer Straße neu verteilen kann – in Corona-Zeiten für den Infektions- und Klimaschutz. Die Uferstraße in Neuenheim wurde am Samstag mit wenig Aufwand für eine Stunde zu einem sogenannten Pop-up-Radweg. Die Aktion war Teil einer bundesweiten Greenpeace-Demonstration. Rund 30 Städte beteiligten sich an der Informations- und Vorführkampagne.

"Corona ist eine Chance, verkehrspolitisch in Bewegung zu kommen", sagt Katrin Scharpf, Mobilitätsexpertin der Greenpeace-Ortsgruppe. Weltweit nutzten schon über 150 Metropolen die Krise genau dafür. Laut Greenpeace widmete das besonders hart von der Corona-Pandemie getroffene Mailand bereits 35 Kilometer Straße in Fahrradwege um und drosselte die Geschwindigkeit von Autos auf 30 Stundenkilometer. Madrid richtete in 29 Straßen Fußgängerzonen ein, damit Menschen dort joggen und dennoch Abstand halten können. Edinburgh sperrte zahlreiche Straßen für Autos und weitete Gehwege aus. Und Brüssel hat zum Beispiel die komplette Innenstadt zur Tempo-20-Zone erklärt. "Für viele Städte drängt sich doch die Frage auf: Wie werden sich die Menschen fortbewegen, wenn das Wirtschaftsleben nun schrittweise wieder hochfährt? Werden sie statt in den Bus aufs Rad steigen? Oder werden sie jeden Morgen wieder ihr bislang meist geparktes Auto nutzen?", fragt man sich bei Greenpeace. Denn ausgerechnet im öffentlichen Personennahverkehr, dem Herzstück einer klimafreundlichen, ressourcenschonenden Mobilität, fühlten sich viele Menschen aus Angst vor Ansteckung nicht mehr sicher.

"Wie die Antwort ausfällt, liegt auch an der Reaktion der Städte. Die rechtlichen Möglichkeiten für sichere Radwege sind da, der Bedarf auch. Was fehlt, ist der politische Wille", meint Katrin Scharpf. Berlin habe bislang als einzige deutsche Stadt gezeigt, wie es geht: Straßenspuren mit Warnstreifen versehen, Piktogramme aufmalen oder Baustellenbaken aufstellen – und schon sind die Pop-up-Radwege fertig. Die Straßenverkehrsordnung (StVO) lasse das zu. "Das ist eine riesige Chance, um beim schnellen Umstieg auf sichere, saubere und klimafreundliche Verkehrsmittel voranzukommen", betont Scharpf. Das könnten ja auch temporäre Versuche sein.

Also wurde auch in Heidelberg die Uferstraße von der Ecke Quinckestraße bis zur Theodor-Heuss-Brücke von der Polizei für eine Stunde abgesperrt und war ausschließlich für Radfahrer befahrbar. Eigentlich habe man die Aktion für zwei Stunden geplant und dafür eine Teilsperrung in der Berliner Straße im Auge gehabt, erzählt Scharpf. "Aber aus uns unerfindlichen Gründen wurde von der Stadt nur eine Stunde genehmigt und auch nicht in der Berliner Straße, sondern in der Uferstraße." Die Aktion verlief daher – und wohl auch wegen des nasskalten Wetters am Samstag – eher im Verborgenen. Außer den rund 20 aktiven Greenpeace-Aktivisten waren so gut wie keine Menschen unterwegs.

"Eigentlich ist das Radfahren ja schon fast gar nicht mehr mein Thema", erklärte eine 83-Jährige aus Handschuhsheim ihre Unterstützung der Greenpeace-Aktion vor Ort. Sie fahre nicht mehr so viel Rad wie früher. "Aber es geht auch darum, wie umweltfreundlich Heidelberg in der Zukunft sein wird."

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