Der Karlstorbahnhof im Jahr 1992: Oberbürgermeisterin Beate Weber hatte die Idee, dass ihr neues soziokulturelles Zentrum an den Rande der Altstadt ziehen soll. 1993 fiel dafür der Beschluss im Gemeinderat. Danach ging es an die Umbauarbeiten. Archiv-Foto: Welker
Von Anica Edinger
Heidelberg. Es hätte eine große Feier werden sollen. Doch die Corona-Krise kam dazwischen. Deshalb feiert das Kulturhaus Karlstorbahnhof seinen 25. Geburtstag am Dienstag, 8. Dezember, auf andere Art und Weise – mit einem Online-Jubiläumsprogramm, das bereits an diesem Montag startet. 25 Jubiläumsbeiträge von Kulturschaffenden werden in den nächsten Wochen und Monaten im Netz gezeigt. Dazu gibt es ein 100-seitiges Magazin zum Geburtstag, das man für fünf Euro kaufen kann. Zudem bleibt die Hoffnung auf eine große Party im nächsten Jahr. Das ist die Geschichte des Hauses, das die Kultur dieser Stadt seit 25 Jahren prägt wie kaum ein anderes.
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Zur Eröffnungsparty kam auch Brigitte Unger-Soyka (vorne l.) und Oberbürgermeisterin Beate Weber (daneben). Foto: KresinDie Idee: Oberbürgermeisterin Beate Weber fasst 1991 den Entschluss: Sie möchte ein soziokulturelles Zentrum für Heidelberg. Heute, mehr als 25 Jahre später, sagt sie der RNZ am Telefon: "Diese Zeit war furchtbar aufregend." Große Mehrheiten für das Projekt habe es anfangs im Gemeinderat nicht gegeben. Deshalb gibt es natürlich auch Gegenwind, als die Oberbürgermeisterin vorschlägt, doch den jetzigen Standort, in dem damals ein Teil der Stadtverwaltung untergebracht war, zum Kulturhaus zu machen. Kritiker aus CDU und der Vereinigung der Freien Wähler fürchten einen Haushaltskollaps und wollen lieber andere Prioritäten setzen. Befürworter befinden, dass ein Kulturzentrum in Heidelberg eine "längst überfällige Sache" sei, wie es die damalige FDP-Stadträtin Annette Trabold ausdrückt. Die finale Entscheidung fällt im Gemeinderat am 17. Dezember 1993: 19 Stadträtinnen und Stadträte stimmen für das Projekt, 15 dagegen.
Beim Umbau packten Studenten mit an, um Geld für die Technikausstattung zu sparen. Archiv-Foto: KresinDer Umbau: "Ein Trupp aus 20 Studentinnen und Studenten", erinnert sich Christian Weiss, damals Mitglied im Karlstorbahnhof-Gründerverein "Kulturcafé" und Grünen-Stadtrat, krempelt die Ärmel hoch – und nimmt beim Umbau des heutigen Karlstorbahnhofs einige Arbeiten selbst in die Hand. Weiss erzählt: "Ich war im Sommer 1994 im Urlaub in Schweden – als ich zurückkam, wurde mir eröffnet: Ich muss den Umbau leiten." Also verbringt er gemeinsam mit seinen Mitstreitern den restlichen Sommer genau damit: Den Karlstorbahnhof zu dem zu machen, was er heute ist. "Wir haben Wände abgebrochen und Hilfsarbeiten gemacht", sagt Weiss. So konnten gut 100.000 D-Mark gespart werden, die in die Technikausstattung investiert werden konnten.
Die Eröffnung: Am 8. Dezember 1995 wird das Kulturhaus Karlstorbahnhof eröffnet. Mit dabei ist neben der Oberbürgermeisterin auch die damalige Ministerin für Familie, Frauen, Weiterbildung und Kunst in Baden-Württemberg, Brigitte Unger-Soyka. Der damalige Programmchef Johannes Rühl sagt zur Eröffnung: "Die Reise geht in ein unbekanntes Land. Es wird ein gutes Land." Vier Gruppen ziehen als erste in das Haus ein: der freie Theaterverein, das Medienforum, der Eine-Welt-Laden und der Verein "Kulturcafé". Im heutigen Klub-K entsteht ein Restaurant: das "Gleis 5".
Die Krise: 1998 wird bekannt: Schon in seinen Anfangsjahren schreibt der Karlstorbahnhof rote Zahlen in Höhe von rund 250.000 Mark. Die damaligen Geschäftsführer müssen gehen, Weiss übernimmt als Interimsgeschäftsführer. Er ist es auch, der "den Konkurs", wie Weiss sagt, überhaupt erst ans Tageslicht bringt. "Ich habe mitgerechnet und schnell festgestellt: Hier stimmt etwas nicht." Unter anderem das "Gleis 5" sei nicht so gut gelaufen wie erwartet. Eineinhalb Jahre lang leitet Weiss fortan die Geschäfte im Kulturhaus – und rettet es vor der Insolvenz.
"Das war für mich eine extrem existenzielle Situation", erklärt Weiss. Denn, wäre es nicht gelungen, das Haus in schwarze Zahlen zu überführen, hätte er persönlich haften müssen. Doch es gelingt, die Geschäftsführer-Stelle wird neu ausgeschrieben, Ingrid Wolschin übernimmt zum 1. Januar 1999 die alleinige Geschäftsführung. Die Stadt erlässt dem Karlstorbahnhof zum fünften Geburtstag einen Teil der übrigen Schulden. 2002 kann eine erneute finanzielle Krise abgewendet werden, weil die Stadt das Defizit ausgleicht, das durch verringerte Landeszuschüsse verursacht worden war.
Der Gang hinter dem großen Saal erstrahlte nach dem Umbau im neuen Licht. Archiv-Foto: KresinDie Gegenwart: 100.000 Besucher kommen Jahr für Jahr zu den gut 500 Veranstaltungen im Karlstorbahnhof – vom Corona-Jahr 2020 einmal abgesehen. Das Kulturhaus bekommt einen Preis nach dem anderen – mehrfach etwa den Spielstättenprogrammpreis für herausragende Live-Programme. Dabei geht es um weit mehr als Livemusik im Karlstorbahnhof. Das Kulturhaus ist auch ein Ort der Vielfalt und Offenheit, ein Ort, wo alle Kulturen, Religionen und Geschlechter gleichermaßen zu Hause sind. Das spiegelt sich im Programm: Neben dem Queer-Festival gibt es seit einigen Jahren die Jüdisch-Muslimischen Kulturtage, die auf eine Initiative des Karlstorbahnhofs zurückgehen, und das Iranische Theaterfestival des Tikk-Theaters.
Der Führungswechsel: Am 1. März 2020 wird Ingrid Wolschin nach 22 Jahren als Geschäftsführerin verabschiedet. Ihre Nachfolgerin Cora Maria Malik ist gerade mal zwei Wochen im Amt, als sie die vorübergehende Schließung des Kulturzentrums wegen Corona verkünden muss. Heute sagt Malik mit Blick auf das Jubiläum: "Es war uns wichtig, viele Wegbegleiter des Karlstorbahnhofs einzubeziehen, ihnen eine Stimme zu geben und einen Blick von Außen auf uns werfen zu lassen." Umso mehr freue sie sich auf die 25 Geburtstagsständchen aus 25 Jahren Musikgeschichte – und dankt allen Beteiligten.
Die Zukunft: 2015 fällt der Gemeinderat den Grundsatzbeschluss: Der Karlstorbahnhof soll in die ehemalige Kutschenhalle auf dem Gelände der Campbell Barracks in der Südstadt ziehen. Das alte Haus ist sanierungsbedürftig, außerdem wird mehr Platz benötigt. Der Spatenstich in der Südstadt ist mittlerweile über ein Jahr her. Die Rohbauarbeiten in der Kutschenhalle sind weitestgehend abgeschlossen. Parallel wurde mit dem Ausbau der haustechnischen Gewerke, dem Trockenbau und dem Verlegen des Estrichs begonnen. Daneben werden die Dach- und Zimmerarbeiten mit Hochdruck vorangetrieben, damit die Gebäudehülle geschlossen werden kann. Die Neubauten, etwa der zum "Marlene-Dietrich-Platz" gelegene Anbau, in dem der Klub-K untergebracht sein wird, sowie die neue Technikzentrale sind ebenfalls im Zuge der Rohbauarbeiten gebaut worden. Sie lassen bereits die künftige Gestalt des neuen Karlstorbahnhofs erahnen. Die Stadt rechnet damit, dass das Gebäude Mitte 2022 übergeben werden kann.